20 JAHRE PLAKATE AUTONOMER BEWEGUNGEN
Die Geschichte politischer Plakate
lässt sich bis in die französische Revolution zurückverfolgen, dort wurden erstmals in
größerer Zahl politische Texte und später auch mit Zeichnungen versehene Plakate an die
Hauswände der Stadt geklebt. Unser Schwerpunktthema beschäftigt sich mit politischen
Plakaten der letzten zwanzig Jahre. Anlass ist das im Herbst erschienene Buch "hoch
die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" der Verlage Libertäre
Assozation, Schwarze Risse und Rote Strasse.
Jochen Knoblauch, Berlin - Der Mensch ist gefangen in seinen Wahrnehmungen.
Unsere visuellen Möglichkeiten werden zunehmend auf die Probe gestellt durch eine Fülle
von Bildern, die zumindest den Großstadtmenschen überfluten. Zwischen all den
Werbeplakaten, Straßenund sonstigen Hinweisschildern muss sich das politisch
ambitionierte Plakat einen Platz erkämpfen. So, wie wir uns unsere Freiräume zum Leben
erkämpfen müssen, braucht die (Gegen-)Information ihre Räume, und da diese selten legal
sind, müssen eben Hauseingänge, Bauzäune, Mauern, Stromkästen usw. dafür herhalten.
Politische Plakate dienen der Information
für Demos, Aktionen etc., zur Agitation, oder/und als Reaktion auf Ereignisse, die die
MacherInnen bewegen. Meistens handelt es sich um kurzlebige Plakate, die - wenn ihr Zweck
erfüllt ist - eben überklebt oder abgerissen werden. Nichts ist so alt wie das Plakat
zur letzten Demo, zur letzten Soli-Party oder Diskussionsveranstaltung. Und da
mittlerweile die Räume enger werden - weniger besetzte Häuser, weniger politische Buch-
und Infoläden - treibt es die Plakate immer mehr in den öffentlichen Raum. Und hier
werden wir sie eben geklebt, dem verrotten oder der Schmach des abgerissenwerdens
ausgesetzt.
Wer will und kann diese Devotionalien der
Bewegung(en) sammeln? Wie können diese Mengen archiviert werden? Immerhin sind es doch
Zeugnisse der politischen Willensbekundungen, eng verknüpft mit Ereignissen der
Zeitgeschichte - und unserer Geschichte. Jedes Plakat macht seine visuelle Aussage und
versteckt die der MacherInnen, ihrer Zeit, Ihrer Wünsche und Träume und ihrer Kämpfe.
Die Idee, diese Zeugnisse zu sammeln, scheint der militanten Linken etwas spät gekommen
zu sein, aber vielleicht noch nicht zu spät. Ein Unterfangen, welches ein guter Anfang
ist, liegt jetzt in Buchform vor: "hoch die kampf dem" ist nicht bloß eine
Ansammlung von Plakaten, sondern gleichzeitig ein Lesebuch mit Kurzüberblick auf die
politisch-unabhängigen Bewegungen. Es macht Spaß dieses Buch zu lesen - vielleicht zur
Enttäuschung jener, die sich schon gefreut haben, endlich mal `nur' was zum Anschauen zu
haben.
Natürlich stellt sich auch die Frage, ob
und warum alles gesammelt und archiviert werden muss? Zumal, wenn wie mit der
68er-Bewegung auch eine Geschichtsklitterung vorgenommen, Geschichte verpersonalisiert,
zum Geschäft degradiert wird. Seine eigene Geschichte zu kennen, ist jedoch kein Fehler.
Neben den Erinnerungen bietet es auch Anregungen.
Die KritikerInnen derartiger Projekte werden
sich schon von ganz allein melden. Jedenfalls bietet das Buch neben der CD-ROM einen
Grundstock, und es werden vermutlich durch dieses Buch noch weitere Plakate hinzukommen,
denn in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Archiv der sozialen Bewegungen soll das
Plakat-Archiv ausgebaut werden.
Geschichte
Die politische Proklamation per
öffentlichen Anschlag wurde bereits in der Französische Revolution von 1789 ff.
praktiziert. Aber nicht nur die politischen Verhältnisse spielten eine Rolle bei der
Verbreitung politischer Plakate, sondern vielmehr die technischen Voraussetzungen Plakate
zu entwerfen und herzustellen. Dies war eigentlich - vor allem von politisch unabhängigen
Gruppen ohne riesigen Kostenaufwand erst seit den 70er Jahren möglich, wenngleich selbst
heute noch die Produktion von Plakaten auch nicht gerade sehr billig ist. Wurden Ende der
60ger, Anfang der 70er Jahre noch vornehmlich `Strich'-Vorlagen benutzt (also Schrift,
Zeichnungen etc., die den komplizierten fototechnischen Aufwand bei der Herstellung der
Druckvorlagen (damals noch) erschwerten), so sind heute, dank High Tech, entwurfsmäßig
keine Grenzen mehr gesetzt. Plakate, die nicht nur direkte Informationen transportierten
wurden in den 70er und 80er Jahre zum beliebten Wandschmuck für WG-Küchen, Kneipen mit
Anspruch sowie den politischen Buch- und Infoläden. Die "Sekt-Generation" der
80er forderte auch eine größere Ästhetik ein, und u.a. war hier die Zeitschrift radikal
durchaus auch ein Vorreiter für neue Ideen im Bereich des Lay-outs, der Gestaltung im
Allgemeinen.
In der Zeit entwickelte sich auch (wieder) das Plakat zum Kaufen, mit
"Grundsätzlicheren" Themen, die einfach `in' waren. Daneben war es aber auch
immer ein Medium das die Straßenbilder beherrschte, wenn auch nur in den Großstädten,
und da oft auch nur in bevorzugten Gegenden.
Zwischen dem Che-Plakat und dem Poster wo
Frank Zappa auf dem Klo sitzt aus den 60er nehmen immer mehr die Fahndungsplakate des
Staates an Raum in Beschlag. Dagegen setzten die verschiedenen Bewegungen, ob Frauen-,
Friedens- oder Anti-AKW-Gruppen, ihre visuellen Zeichen. 1994 bringt die Zeitschrift
CONTRASTE in Zusammenarbeit mit dem ID-Archiv in Amsterdam eine Plakat-Mappe heraus zum
Thema "Stadtguerilla" mit 14 Plakaten im A-3-Format aus den "letzten 25
Jahren",. Ein zaghafter Versuch das Medium Plakat aus den letzten Jahrzehnten auch
als etwas historisches zu betrachten. Plakatmappen waren in den 70er und 80er Jahren
ebenfalls von Internationalismus-Gruppen verbreitet worden. Die Mischung von Plakat und
Buch aus den letzten Jahren brachte z.B. das Buch "Kunst als Widerstand" von
Bernd Langer zusammen. Hier wurde vor allem die Arbeit der Göttinger Gruppe KUK (Kunst
und Kampf), dokumentiert, die für eine ganze Anzahl Antifa-Plakate IdeengeberIn war und
ist.
Längst sind Plakate über die Kämpfe des
Tages hinaus auch zu einem bekennenden Wandschmuck geworden.
Das Buch
Das Plakat ist die Kommunikation mit der
Öffentlichkeit, mit der Gesellschaft. Anders als bei Zeitschriften oder Broschüren, die
meist nur in geschlossenen Kreise zirkulieren, heischt das Plakat im öffentlichen Raum um
jeden Blick den es einfangen kann. Plakate markieren aber auch einen gewissen "Linken
Raum", einen Bewegungsradius der "Szene". Nicht jedes Plakat allerdings
schafft es, auch sein Anliegen zu transportieren. Einige Plakate werden daher auch recht
harsch aus der heutigen Sicht kritisiert. Die rund 3.000 abgebildeten Plakate (incl. denen
auf der CD-ROM) bilden aber alles in allem einen ziemlich repräsentativen Einblick in die
politische Arbeit der letzten Jahrzehnte.In einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften der
Szene wurden Anzeigen und Aufrufe gestartet, um möglichst viele Plakate für dieses Buch
zusammen zu bekommen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann wohl niemand erwarten, und
die zeitliche Eingrenzung auf die letzten 20 Jahre war wohl eher der etwas hilflose
Versuch die Ansprüche an ein solches Projekt nicht zu hoch zu stellen. So ist der
Untertitel denn auch etwas zweideutig: "20 Jahre autonomer Bewegungen" liest
sich auf den ersten Blick als wären hier nur die Autonomen gemeint, aber dies sollte eben
nicht der Fall sein. Die Schwierigkeit lag nun darin, Plakate der 60er und 70er Jahre
aufzutreiben, wenngleich auch Plakate vor 1979 im Buch abgedruckt wurden. Schwierig war
auch, Plakate aus der Ex-DDR zu bekommen, und selbst aus der Nachwendezeit sieht es noch
ziemlich mau aus. Die SammlerInnen hatten auch nichts gegen Plakate aus der Schweiz oder
Österreich, aber im Endergebnis lagen eben nicht so viele davon vor, so dass eben letzten
Endes doch mehr oder weniger die Plakate der (West-)Autonomen hier versammelt, samt
diverser Einsprengsel. Für die Verlage - selbst in der Kooperation - war es eine große
finanzielle Anstrengung. Es sollte nicht zu teuer werden, so dass bei der Auflage von
3.000 Exemplaren eine Deckungsauflage von über 2.000 Stück erreicht werden muss, um die
Unkosten auf Seiten der Verlage abzusichern (normalerweise liegt die höchstens bei einem
Viertel der Auflage). Außerdem wird dieser Band vermutlich zur Folge haben, dass jetzt
weitere Plakate auftauchen, und ob dann ein zweiter Band in gleicher Ausstattung erfolgen
kann, wäre zu bezweifeln. Wenn es hoch kommt, vielleicht eine erweiterte CD-ROM, wodurch
das Projekt - wie so einige Archiv- und Sammelprojekte - nur wieder was für
SpezialistInnen werden würde. Aber das ist alles noch in weiter Ferne.
Dieses Buch ist zugleich eine kleine Geschichte der politischen
Bewegungen in den letzten 20 Jahre, die z.T. so gar nicht mehr existieren. In den 18
Textbeiträgen geht es aber nicht nur um die diversen politischen Bewegungen und ihre
visuellen Darstellungen, auch KleberInnen, ÄsthetikerInnen und MacherInnen kommen zu
Wort. Die Beiträge, die sich mit den politischen Kämpfen wie um die besetzten Häuser,
Frauen/Lesben-Bewegung, Soldaritäts- und Friedensbewegung, Antiimp, Antifa, AntiAKW,
Antirassismus und Antimilitarismus usw. auseinander setzen, sind überraschend
selbstkritisch, nicht nur was die Gestaltung der Plakate angeht. Meistens sind es
Rückschauen von Menschen, die aktiv in diesen Bewegungen steckten, oder noch stecken. Und
um bloß nicht alles `nur' als umfassende politische Arbeit der Bewegung zu betrachten
kommen eben auch Leute zu Wort, die Plakate herstellen, kleben, betrachten und darüber
einfach nur reden. In den Annotationen zu den einzelnen Abbildungen finden sich nicht nur
das Erscheinungsjahr und der vermeintliche Druckort - sofern diese rückwirkend
ermittelbar waren - sondern auch, leider jedoch noch zu wenige Anmerkungen zu den
Ereignissen um das Plakat herum. Dies hätte sicherlich noch im größeren Umfange genutzt
werden können, denn hinter jedem Plakat steckt auch eine Geschichte, stecken Menschen,
die das produzieren von Plakaten meistens ja nicht von Berufswegen machen und/oder aus Jux
und Dollerei.
Im Übrigen ist das Pseudonym der
Herausgeber(Innen?) `HKS 13' nicht unbedingt der Code für eine Geheime Gruppe von
FreundInnen bedruckten Papiers, sondern vor allem im Bereich der DruckerInnen die
Bezeichnung für die Farbe Rot, ohne die die meisten Plakate kaum auskommen.
Die CD-ROM
Dass auf dem Buch selbst kein Hinweis auf
die CD-ROM in Form eines Aufklebers oder ein sonstiger Hinweis ist, mag ein
verkaufsstratigischer Fehler sein, denn für jene, die die technischen Möglichkeiten
besitzen, verdoppelt sich der Gebrauchswert des Buches. Auf der CD-ROM, die unter Mac und
PC läuft sind zusätzlich noch ca. 2.400 Plakate zu besichtigen. Über eine Suchmaschine
kann hier nach verschiedenen Kriterien bestimmte Plakate gesucht werden oder via
"Slideshow" kann mensch auch alle Plakate an sich vorüberziehen lassen. Die
Suche nach bestimmten Worten oder Begriffen gestaltet sich mitunter etwas schwierig. Die
Kategorien sind mitunter nicht so tauglich, wenn mensch ein spezielles Plakat sucht. Eine
Volltext-Recherche kann aber eben auch nur funktionieren, wenn die Texte auf den Plakaten
alle eingegeben werden, und dies scheint nicht immer passiert zu sein.
Was fehlt
Ohne das Buch in seinem Wert, oder seiner
Wichtigkeit zu schmälern, soll hier noch kurz drauf eingegangen werden was fehlt, bzw.
wonach noch gesucht werden könnte. So lose, wie bereits in den 70er Jahren die
Sponti-Bewegung organisiert war, so entstanden auch Plakate oder Poster, die neben dem
direkten Informationsträger für Sit-Inns, Demos usw. ein Lebensgefühl der damaligen
Zeit ausdrückten - wie etwa das Plakat "Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde
Vögel fliegen", welches zu einem der weit verbreitetsten Motive in der linken Szene
zählt.
Wie 68 so gilt wohl heute auch wieder das
schlichte Che-Guevara-Plakat, dank der Musikgruppe "Rage against the machine"
als ein angesagter Wandschmuck. Seit den 60er Jahren hat der Grafiker Klaus Stäck mit
seinen zahlreichen Plakaten sicherlich auch zu einer Kultur der politischen Plakate
beigetragen, selbst wenn die oft im Auftrag von Gewerkschaften oder der SPD hergestellt
wurden. Wodurch sie sich allerdings für dieses Buch nicht empfehlen, aber durchaus
erwähnenswert wären.
Ab Mitte der 70er Jahre gab es in Berlin
z.B. das "Produktionskollektiv Kreuzberg" welches nicht nur eine eigene
Postkarten- und Plakat-Edition vertrieb sondern auch für zahlreiche Gruppen grafische
Hilfestellungen leistete. Die Gruppe, die sich später "SehStern" nannte, machte
z.B. Mitte der 80er Jahre ein Plakat zum Paragraphen 218, welches ihnen prompt ein
Verfahren wegen `Pornografie' einbrachte. Und nicht zuletzt waren sie auch zuständig für
die ersten Plakate, die für eine unabhängige, linksradikale Tageszeitung werben sollten.
Was letztendes daraus geworden ist? Nun, wie so manches hoffnungsvolles Projekt haben wir
auch die taz schon seit Jahren begraben müssen, da es inzwischen zu einem Sprungbrett
karrieresüchtiger JournalistInnen vergekommen ist. Die Gruppe "SehStern" ist
heute noch tätig, wenn auch vielleicht nicht mehr ausschließlich für ein linksradikales
Klientel. Ähnlich wie das im Buch beschriebene Projekt der Druckerei in der "Roten
Flora" Hamburg.
In den 70er und 80er Jahren gab es z.B.
einige Motive im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Nordamerikanischen Ureinwohner. Von
Gerhard Seyfried gab es auch einige nette Plakate, wie das vom dem fein säuberlich
auseinander gelegten Panzerfahrzeug, oder dem wildgrinsenden Latzhosenmännchen mit der
Zwille. Und was war mit dem Tunix-Kongress in Berlin von 1978? Wo sind die Plakate der
Stadt-Land-Projekte und Kongresse usw. Plakative Revolutionsdevotionalien - bunt, und
dafür gut, um einen schlecht gestrichenen Untergrund an der Zimmerwand in einfacher Weise
zu verschönern.
Und noch'n Plakat
Den MacherInnen muss klar gewesen sein, hier
nur einen Teil der linksradikalen Plakate zusammengetragen zu haben. Es kann wohl auch nie
behauptet werden, alle zu haben. Diesen Anspruch hat das Buch aber auch nie gehabt. In
seinem Umfang ist es bisher einzigartig. Die Texte mit ihren politischen Einschätzungen
werden sicher bei einigen Rezensenten Widerspruch herausfordern, aber gerade das Sammeln
und dokumentieren der Plakate in einem kontroversen Raum macht das Buch lebendig und
lässt es nicht `nur' zu einem Archivierungsprojekt verkommen.
Selbst wenn es gegen Schluss den Eindruck
machen sollte, aber eigentlich gibt es nichts zu meckern. Das Buch "hoch die kampf
dem" ist ein Projekt, welches wärmsten zu empfehlen ist. Vielleicht regt es ja auch
an mal ein Plakat zu machen, und den Mauern einen Sinn zu geben..
Weitere Infos zum Plakat-Archiv gibt es bei: Archiv der Sozialen Bewegungen Hamburg,
Schulterblatt 71, D-20357 Hamburg, Tel.: (0 40) 43 30 07, Fax: 432 47 54
Sowie bei den Buchhandlungen Schwarze Risse
Berlin oder Buchladen Rote Strasse Göttingen