KASSEL
Friedenspolitischer Ratschlag
Mit über 300 Teilnehmern aus mehr als
100 Orten war dieser 6. Friedensratschlag stärker als je zuvor besucht. Ausländische Gäste
kamen aus neun Ländern: Belgien, Frankreich, Griechenland, Japan, Jugoslawien,
Niederlande, Österreich, Schweiz und USA. Ramsey Clark musste seine Teilnahme leider
kurzfristig absagen. Er ist zur Zeit als Anwalt politisch Verfolgter tätig und musste
eine Aktivistin in Peru im Gefängnis anwaltlich zu beraten. An seiner Stelle sprach John
Catalinotto vom International Action Center. Nachfolgend dokumentieren wir die
Abschlusserklärung aus Kassel.
Der unter aktiver Beteiligung der
Bundesrepublik Deutschland geführte NATO-Krieg gegen Jugoslawien ist ein Präzedenzfall
selbstautorisierter militärischer Gewaltanwendung und der Missachtung des internationalen
Rechts. Diese Form der Kriegsführung gilt der NATO als vorbildlich. Sie war ein Probelauf
für kommende Kriege der NATO und der Europäischen Union, die künftig auch ohne die USA
militärisch agieren und intervenieren will.
Die Militarisierung der Außenpolitik hat
unausweichlich eine neue weltweite Aufrüstung zur Folge. Außerdem werden damit jene Kräfte
ermutigt, die ihre zwischen- oder innerstaatlichen Konflikte mit militärischer Gewalt,
mit dem Faustrecht austragen. Der Krieg in der russischen Republik Tschetschenien ist nur
das jüngste Beispiel für diese unheilvolle Entwicklung.
Eine Reihe weiterer höchst problematischer
politischer Entwicklungen erfordert Antworten der Friedensbewegung auf folgenden Ebenen:
Mit der Abrüstung ernst machen
Der Umbau der Bundeswehr ist in vollem Gang.
Nicht Landesverteidigung sondern weltweite Intervention im Rahmen der verschärften
Weltmarktkonkurrenz ist das Ziel der neuen Militärstrategie. In zwei Jahren soll eine
europäische schnelle Eingreiftruppe mit 60.000 Soldaten einsetzbar sein.
Mit dem Bundeswehrplan '97 sind Vorhaben in
Gang gesetzt worden, die insgesamt rd. 225 Milliarden DM für die Herstellung und zusätzlich
rd. 320 Milliarden DM für die Nutzung modernster Kriegswaffen verschlingen werden. Auf
den Beschaffungslisten stehen Großraumtransporflugzeuge, Kampfhubschrauber, Eurofighter,
Panzerhaubitzen, Korvetten, Präzisions-Marschflugkörper, Fregatten, U-Boote,
Satelliten-Aufklärungssysteme u. a. m.
Während der Bevölkerung ein verschärfter
Sparkurs auferlegt wird, bleiben die Rüstungsprojekte, mit denen die Bundeswehr zu einer
angriffsfähigen Armee umstrukturiert werden soll, von den Sparmaßnahmen unberührt. Das
ist um so erstaunlicher, als gerade Rüstungsprojekte wie der Eurofighter einst von den
oppositionellen Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen ebenso abgelehnt wurden wie Rüstungsexporte
in Länder wie die Türkei.
Friedenssicherung ist nur durch Abrüstung
und Verständigung möglich. Wir lehnen weltweite militärische Interventionen und
Auslandseinsätze der Bundeswehr entschieden ab und treten ein
* gegen eine neue Aufrüstungsrunde der
Bundeswehr, wie sie vom US-Verteidigungsminister Cohen angemahnt und von Scharping und den
Kommandeuren der Bundeswehr gefordert wird,
* für eine quantitative und qualitative Abrüstung
und die Verwendung freiwerdender Gelder für gesellschaftliche Aufgaben in den Bereichen
Arbeit und Soziales, ökologischer Umbau sowie Bildung und Ausbildung,
* für die Auflösung der Krisenreaktionskräfte
(KRK) und des Kommandos Spezialkräfte, (KSK)
* für die Annullierung der
"Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992, in denen die Umwandlung der
Bundeswehr zu einer Interventionsarmee begründet wurde,
* für die Zurückweisung des auf weltweite
Interventionen der NATO orientierenden neuen "Strategischen Konzepts" der NATO
vom April 1999,
* für eine drastische Verringerung der
Truppenstärke statt Verstärkung des Personalbestands durch Frauen als
"Soldatinnen",
* gegen die Herausbildung einer Militärmacht
Europa und
* gegen Waffenexporte.
Atomwaffen abschaffen
Vom 24. April bis 19. Mai 2000 wird die nächste
Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag stattfinden. Je mehr Staaten über
Atomwaffen verfügen, desto größer ist die Gefahr eines Einsatzes dieser Waffen. Ziel
ist die Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen.
Daher fordern wir:
* Die Unterzeichnerstaaten des
Atomwaffensperrvertrags müssen ihre Verpflichtungen erfüllen, welche die nukleare Abrüstung
verlangen.
* Die anderen Atomwaffenstaaten müssen dem
Atomwaffensperrvertrag beitreten.
* Der US-Senat muss seine Entscheidung vom
Oktober 1999 revidieren und das Teststoppabkommens ratifizieren. Die russische Duma muss
den START-II-Vertrag ratifizieren.
* Der ABM-Vertrag zwischen den USA und
Russland, der den Aufbau von Raketenabwehrsystemen verbietet, darf nicht ausgehöhlt oder
gar aufgehoben werden
* Die NATO muss ihre nukleare
Ersteinsatzdoktrin aufheben.
* Die deutsche Regierung muss auf den Abzug
sämtlicher US-Atomwaffen von deutschem Boden drängen.
* Die Bundesregierung muss ferner auf eine
"nukleare Teilhabe" verzichten, um nicht weiter gegen die Vorgaben des
internationalen Gerichtshofes zur Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen zu verstoßen.
Anklage gegen die NATO:
Ein Tribunal durchführen
Die Zerstörungen insbesondere der Schlüsselindustrien
und der Infrastruktur Jugoslawiens durch den Krieg der NATO sind so nachhaltig, dass der
UN-Generalsekretär Annan bereits im Oktober zu humanitärer Hilfe aufgerufen hat. So könnten
im Winter lediglich 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung mit elektrischer Energie versorgt
werden, die Arbeitslosigkeit liege bei 60 Prozent. Eineinhalb Millionen Menschen leiden
unter Hunger.
Als wichtigster Leitgedanke für die
Bearbeitung der Kriegsfolgen muss das Verursacherprinzip gelten. Verantwortlich für die
Kriegsschäden in Jugoslawien sind die NATO-Staaten, die am Krieg beteiligt waren. Sie
haben die Kosten für die Beseitigung der Schäden und den Wiederaufbau des Landes zu
tragen. Die der Bundesrepublik entstehenden Kosten für die Wiederaufbauhilfe sind aus dem
Verteidigungsetat zu bedienen.
* Wir fordern die Aufhebung des vom
Europarat und von der Europäischen Union verhängten Embargos gegen Jugoslawien.
* Wir rufen zu aktiver Solidarität mit der
notleidenden jugoslawischen Bevölkerung auf.
* Wir unterstützen die Durchführung eines
internationalen Tribunals über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien.
* Wir appellieren an alle, durch Kontakte
und Austausch mit der Bevölkerung Serbiens deren Isolierung zu durchbrechen.
Zivile Alternativen stärken
Zivile Konfliktlösungen vertragen sich
grundsätzlich nicht mit militärischen Maßnahmen. Zivile "Interventionen" in
zwischen- oder innerstaatliche Konflikte bedeuten daher zunächst grundsätzlich die
Entwicklung von Alternativen zu militärischen Interventionen. Zivile Konfliktbearbeitung
muss alle Bereiche der Politik durchdringen. Notwendig sind Sensibilisierung, Veränderung
der Wahrnehmung und Kenntnis der Möglichkeiten ziviler Konflitkbearbeitung. Zivile
Friedensdienste dürfen nicht vereinnahmt oder als Alibi für Militäreinsätze
missbraucht werden.
Die Förderung der zivilen
Konfliktbearbeitung durch die neue Bundesregierung wie die Ausbildung von
OSZE-Mitarbeitern und die Errichtung einer Stiftung für Friedensund Konfliktforschung
stellen positive Ansätze dar, reichen aber längst nicht aus. Zivile Konfliktbearbeitung
darf nicht allein im Bereich der Forschungs- oder Entwicklungspolitik bleiben. Auch darf
sie nicht enger staatlicher Kontrolle unterliegen. Die Friedensbewegung wird ihre
internationalen Kontakte verstärken und intensiver zusammenarbeiten.
Eine auf zivile Konfliktlösungsmechanismen
orientierte Politik muss
* die zivilen Friedensdienste sowie die
Friedens- und Konfliktforschung ideell und materiell stärken,
* Ressourcen vom militärischen in den
zivilen Bereich umschichten, statt die NATO weiter aufzurüsten,
* die OSZE-Strukturen stärken,
* langfristig und präventiv angelegt sein.
Aktivitäten der Friedensbewegung im Jahr
2000
Das Jahr 2000 wurde von der UNO zum Jahr der
Kultur des Friedens erklärt. Aus diesem Anlass sind zahlreiche Aktivitäten geplant. Wir
unterstützen z.B. friedenspädagogische Projekte in Kindergärten, Schulen und Universitäten,
die Einrichtung von "Friedensparlamenten" in den Kommunen, lokale und regionale
Projekte gegen Armut und soziale Ausgrenzung sowie entsprechende Basisinitiativen in den Ländern
der "Dritten Welt". Doch ein Jahr der Kulktur des Friedens ist nicht genug. Wir
unterstützen den Aufruf der Friedensnobelpreisträger und den Beschluss der UNO "Zur
Dekade für eine Kultur des Friedens, der Menschenrechte und für die Rechte der
Kinder".
Darüber hinaus empfiehlt der
Friedensratschlag den Friedensgruppen und -initiativen folgende Aktionen:
* Kampagne "Keine Panzer für die Türkei!"
Sammlung von Unterschriften, Informationsveranstaltungen, Infotische, Gespräche mit
Parteienvertretern bis hin zu spektakulären zentralen Aktionen.
* Aufklärung über und Aktionen gegen den
Bombenkrieg Russlands gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung. Darüber hinaus soll
über die sich zuspitzenden Konflikte in der gesamten Region am Kaspischen Meer informiert
werden.
* 27. Januar: Befreiungstag von Auschwitz:
Aufklärung über die Verbrechen der Wehrmacht und die Traditionspflege der Bundeswehr.
* 8. März: Internationaler Frauentag: Die
Friedensbewegung bringt sich mit dem Thema "Frauen in die Bundeswehr?" in die
traditionellen Veranstaltungen der Gewerkschaften und von Frauenorganisationen ein.
* 24. März: 1. Jahrestag des
NATO-Angriffskrieges auf Jugoslawien. Örtliche Gedenk- und Informationsveranstaltungen,
Tribunale; gemeinsame internationale Aktionen (Aufrufe, Aktion in Brüssel).
* Ostermärsche und andere Aktionen an
Ostern; auch in Abstimmung mit Friedensbewegungen benachbarter Länder; Förderung der
"Tribunal"-Bewegung.
* 24. April bis 19. Mai: Überprüfungskonferenz
für den Atomwaffensperrvertrag in New York: örtliche Informationsveranstaltungen;
Diskussion mit Abgeordneten; Lobbyarbeit.
* 1. Mai: Teilnahme an den Veranstaltungen
des DGB, Unterschriftensammlung gegen Panzerexporte, Thematisierung des Zusammenhangs von
militärischer Aufrüstung und Sozialabbau.
* 10. Juni: Erste internationale europäische
Tribunalveranstaltung zu geostrategische und ökonomischen Ursachen und Hintergründen des
NATO-Kriegs gegen Jugoslawien.
* 6. August: Jahrestag des Atombombenabwurfs
auf Hiroshima örtliche Mahnwachen und Veranstaltungen; Reaktivierung kommunaler
"atomwaffenfreier Zonen".
* 1. September: Beginn des Zweiten
Weltkrieges Veranstaltungen und Demonstrationen, wo möglich in Zusammenarbeit mit dem
DGB.
* 3. Oktober - 10 Jahre deutsche Einigung:
Veranstaltungen und Aktionen gegen die Militarisierung der deutschen Außenpolitik.