Monatszeitung für Selbstorganisation
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ANDERE SPIELE SIND MÖGLICHWider den Weltmeisterwahn
"Wir wollen Weltmeister werden" mit dieser nassforschen Ankündigung beförderte Bundespräsident Horst Koehler in seiner Neujahrsansprache die hierzulande immer heftiger sich ausbreitende "Patriotismus"-Welle - wobei "Patriotismus" das Beschönigungswort für Nationalismus abgibt. Aufgesprungen auf den neuerlichen National-Trend sind anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 neben Bundestrainer Jürgen Klinsmann, Bundeskanzlerin Angela Merkel und den vereinten Krupps und Krauses auch Konzerne wie die Deutsche Telekom. Letztere präsentierte bundesweit Plakate mit der Aufforderung an jedermann: "Werden Sie Mitglied im größten Nationalteam aller Zeiten!" ungeachtet der historischen Tatsache, dass das letzte "größte Nationalteam aller Zeiten" für 50 Millionen Tote in Europa sorgte. CONTRASTE-LeserInnen sind solcher Mitgliedschaft unverdächtig, weshalb die Redaktion einen Anti-WM-Schwerpunkt zusammengestellt hat, der diverse Gründe für diese kritische Position dar- und einige Alternativen vorstellt. Ein Quäntchen Scherz, Satire und Ironie soll auch nicht fehlen. Ariane Dettloff, Redaktion Köln - Die allfälligen Begleiterscheinungen wie Reklame allerorten (bin gespannt, wann auch die Köpfe der Spieler noch bepflastert werden), die Grölgesänge auf Straßen und Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln, die Verdummbeutelung des Publikums durch Endlos-Medien-Präsentationen noch der läppischsten Äußerungen der "global players", deren Spielfeld eben nicht die Welt bedeutet, sondern vergessen lassen soll, wären sicherlich auch näherer Betrachtung wert. Ebenso Erlebnisse und Empfindungen von Flüchtlingen, die das WM-Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" nur mit Gallenschmerzen hören können. Denn sie unterliegen der sogenannten Residenzpflicht und dürfen nicht einmal Freunde und Verwandte in anderen Bundesländern besuchen, geschweige denn Mega-Events in Konzern-Stadien wie "Allianz" in München, "Rheinenergie" in Köln oder "Gottlieb Daimler" in Stuttgart. Sie sind potentielle "Schüblinge", nicht Freunde. Opfer der casinokapitalistischen Globalisierung, die gefälligst unauffällig leben sollen, weggesperrt in "Ausreisezentren" und sonstigen Lagern. Wo Nationalismus Trumpf ist und Rassismus weggeleugnet wird, darf Heiligkeit nicht fehlen. Notorische Sympathieträger: Kinder(!) dürfen einlaufen auf den "heiligen Rasen", von dem u.a. die Telekom-Website salbadert. Dies alles zu beschützen, wird der Bundeswehr-Einsatz im Innern geprobt, werden Bürgerrechte ausgehebelt. Vergeblich protestieren Datenschützer gegen verdachtsunabhängige polizeiliche und geheimdienstliche Bespitzelung noch des arglosen Bratwurstverkäufers im Dunstkreis weltmeisterlicher Fußballerei. Die unappetitlichste Begleiterscheinung der Event-Maschinerie sind "Verrichtungsboxen", wie sie z.B. rund um das Kölner Stadion aufgestellt werden sollen: Container, in denen (Zwangs-)Prostituierte massenhaft Dienst am Mann verrichten werden. 30.000 Frauen vornehmlich aus Osteuropa werden dieserhalb zur WM erwartet. Als Alternative zu den Spielen, die nicht spielerisch gemeint sind - sie führen vielmehr Stress alias Leistung, Konkurrenz und Kommerz vor Augen und erzeugen Knorpelabsprengungen, Wadenbeinprellungen und Meniskusrisse-, stellt der Schwerpunkt ein paar Beispiele einer anderen Spiel- und Bewegungskultur vor: Yoga bei der Sozialistischen Selbsthilfe Köln-Mülheim und den selbstorganisierten Fußball in der Kölner "Bunten Liga", wo u.a. die "Kellerkinder", "Prinzip Hoffnung" und das schwule "Cream-Team" ihrem Spieltrieb frönen. Und CONTRASTE dokumentiert eine Möglichkeit, dem Weltmeisterschaftsdumpfsinn etwas entgegenzusetzen: die Regisseurin Helke Sander hat ihre Rundfunkgebühren um 20 Prozent gekürzt, weil sie das Schießen und Treten um eine nationale Trophäe nicht mit ihrem Obolus unterstützen mag. Nachahmung ist möglich. Schwerpunktthema Seite 7 bis 10 SCHWERPUNKTTHEMABunte Liga Köln: Von "Graskloppers" und "Avanti Bum Bum" Gebührenkürzung: Für die Trennung von Staat und Fußball Interview: Ein anderer Fußball ist möglich Seite 7 Zulieferer & Ausbeutung: Lässt die Arbeit den Hunger vergessen? Für eine andere Spiel- und Bewegungskultur Seite 8 Fan kommt von "Fanatiker" Seite 9 Konkurrenzfreie (Sport-)Spiele: Wettkampf adieu Yoga bei SSM: Selbsterfahrung statt Event Seite 10 |
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