DIE SCHÖNE NEUE WELT DES WEB 2.0
Selbstorganisation im Social Web
Foto: zordroyd/flickr.com
Mit den neuen Möglichkeiten des Web 2.0 /
Social Web verändert sich die Art und Weise, wie Menschen sich miteinander
verständigen und wie sie kooperieren. Ein Leben ohne Internet ist heute kaum
noch vorstellbar, und mit dem Web 2.0 verschwinden zunehmend die Grenzen
zwischen den wenigen, die etwas veröffentlichen, und den vielen, die es lesen.
Elisabeth Voß, Redaktion Berlin # Entgegen der
marktliberalen Annahme eines nur auf den eigenen Vorteil bedachten Homo
Oeconomicus zeigte sich schon in der erfolgreichen Entwicklung freier Software,
dass unglaublich viele Menschen weltweit stattdessen eine große Bereitschaft
zur Kooperation entwickeln, wenn ihnen die Möglichkeiten dafür zur Verfügung
stehen. Der neue Homo Cooperativus widerspricht in seinem Verhalten nicht nur
den Erwartungen kapitalistischer Konkurrenz, sondern auch manch klandestinen
Gewohnheiten linker Bewegungen. Immer mehr Bereiche des Lebens finden
öffentlich statt, Wissen und Ressourcen werden anderen zur Verfügung gestellt.
In Communities wie Facebook, StudiVZ oder MySpace geben Menschen bereitwillig
Auskunft über sich, lassen die Welt teilhaben an ihrem täglichen Tun und
tauschen in globalen Freundeskreisen ihre Gedanken und vielerlei Daten aus.
Wer ein Anliegen hat, bringt es in Diskussionsforen oder Themenportale ein,
oder schreibt gleich im eigenen Blog. Fachliche, kulturelle oder politische
Themen können von vielen gemeinsam bearbeitet werden. Diese demokratischen
Prozesse können als Summe vieler Einzelauffassungen qualitativ hochwertige
Ergebnisse einer neu entstehenden »Schwarmintelligenz« hervorbringen, aber
auch in banaler Geschwätzigkeit verpuffen.
Weltweit gespannte Netzwerke schaffen unendliche
Kommunikationsmöglichkeiten. Jede und jeder hat die Chance, sich neu zu
erfinden und mit frei gewählten Nicknames und selbst gestylten Aliasen in der
virtuellen Welt Freundschaften zu schließen. Das kann ebenso einen Ersatz
darstellen für Einsamkeit und Isolation in der realen Welt, als auch eine
Bereicherung. Bestenfalls entspringen aus virtuellen Netzwerken Aktivitäten und
selbstorganisierte Initiativen in der realen Welt.
Das so genannte »Web 2.0« oder »Social Web« ist nicht »sozial« im Sinne
von charity, sondern als »gesellschaftlich« zu verstehen. Alle können daran
Teil haben – sofern sie einen Zugang zur dafür erforderlichen Technologie,
die nötigen Mittel und entsprechendes Wissen haben. Genau wie in der realen
Welt bilden sich auch im Internet Gated Communities, wie zum Beispiel
asmallworld.net, wo sich die an Geld und Einfluss Reichen vernetzen. Es gibt
nichts Richtiges im Falschen, und so bringt jede emanzipatorische Errungenschaft
auch Schattenseiten mit sich.
Nach einem einführenden Beitrag von Timo Luthmann, in dem er einen
Überblick gibt zu Kennzeichen, Möglichkeiten und Problemen des Web 2.0, werfen
wir mit Gabriele Hooffacker einen Blick zurück in die Zeit vor 20 Jahren, als
noch grundsätzliche Debatten geführt wurden um den Einsatz von Computern, und
die ersten selbstorganisierten digitalen Kommunikationssysteme entstanden.
CONTRASTE gehörte damals schon zu den ersten, die diese in der redaktionellen
Zusammenarbeit nutzten.
Mit Möglichkeiten und Grenzen des Webs 2.0 für politische Arbeit setzt sich
Wiebke Johanning auseinander, und Jochen Schmück zeigt am Beispiel der
Wiki-Software auf, wie digitale Zusammenarbeit aussehen kann. Um eine breite
Teilhabe an der Welt des Internet zu ermöglichen, bauen Freifunk- Initiativen
eigene Netzwerke auf, die einen Zugang ohne kostenpflichtige Provider
ermöglichen. Bernd Hüttner interviewte den Berliner Freifunker Jürgen
Neumann. Die Rezension eines Standardwerks zum Web 2.0, ebenfalls von Bernd
Hüttner, rundet unseren Schwerpunkt ab.
Weil das Thema aber damit noch lange nicht erschöpft ist, werden wir in den
nächsten Ausgaben weitere Beiträge dazu veröffentlichen. Unter anderem geht
es dann um die Chancen, die das Social Web für Menschen mit Behinderungen
bietet, um Mikroblogging als Hilfsmittel für politische Aktionen, aber auch um
die Schattenseiten der IT-Branche und um die Frage, wie das alles nun weiter
geht – was wird das Web 3.0 bringen?
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10