»BUNDESWEHR WEGTRETEN«
Antimilitaristische Kampagne mit Biss
»Bundeswehr wegtreten«
trägt »Afghanistan-Soldaten« vor Kölner Arbeitsamt zu Grabe Foto:
bundeswehr wegtreten
»Bundeswehr wegtreten« bekämpft die
scheußliche Institution Militär in all ihren Formen, Uniformen und
Verkleidungen – sei es als Brunnenbauer, Frauenversteher, Entwicklungshelfer
oder Terrorbeseitiger. Auch die Inlandseinsätze der Bundeswehrmacht werden
widerständig satirisch begleitet: deren ätzende massierte Werbeauftritte in
Schulen und auf Messen, in Arbeitsämtern und auf Marktplätzen können zwar
meist immer noch ungestört über die jeweilige Bühne gehen, aber immer öfter
sieht die Truppe sich mit Gegenveranstaltungen ihrer KritikerInnen konfrontiert.
Das Motto »Wer die Öffentlichkeit sucht, muss sie auch ertragen« ist dabei
seit Beginn der Initiative von »Bundeswehr wegtreten« 2005 ein Leitmotiv.
Von Ariane Dettloff, Redaktion Köln # Dass es
den prägenden Politikern und Militärs um die globale Herrschaft über
Rohstoffe und Handelsrouten geht, ist nicht erst seit Ex-Präsident Köhlers und
»Verteidigungs«minister zu Guttenbergs offenen Worten dazu Anno 2010 bekannt
– schon Generalinspekteur Naumann hatte es 1991 deutlich gemacht, dass die
Verfassungsbestimmung: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf«
(§ 87a) als alter Hut zu werten ist. Während also deutsche Soldaten wieder in
aller Welt deutsche Herrschaftsansprüche und kapitalistische Verwertungslogik
blutig durchzusetzen suchen, sehen AntimilitaristInnen wie die der Kampagne
»Bundeswehr wegtreten« ihr Instrumentarium im gewaltfreien, dennoch bissigen
zivilen Ungehorsam und nutzen die Mittel der Spaßguerilla.
»Bundeswehr wegputzen« hieß es im Frühjahr 2010 auf der
Abiturienten-Messe »Einstieg Abi« in Köln, als eine »Bundeswehr-wegtreten«-Putzkolonne
das Infomaterial der Militärs in Müllsäcken verschwinden ließ, »Bundeswehr
wegmehlen« bei einem Rekrutierungsoffiziers-Einsatz beim Kölner Arbeitsamt (er
wurde mit rosa Mehl bestäubt), »Bundeswehr wegtorten« bei einem Auftritt des
Oberbootsmanns Heinrichs in der Wuppertaler Arge und »Bundeswehr wegschirmen«
beim »Karrieretruck« der deutschen Soldaten auf dem – ausgerechnet! –
Bonner Friedensplatz im Herbst 2010. Noch nicht stattgefunden haben die events
»Bundeswehr wegpusten«, »Bundeswehr wegfegen« und »Bundeswehr wegzaubern«
– und eines schönen Tages dann endlich Bundeswehr abschaffen.
Hinter den Spaßaktionen steht allerdings blutiger Ernst. »Die Bundeswehr
spielt nicht, sie tötet« hieß es auf dem Flyer der Initiative, der bei der »Gamescom«,
der europaweit größten Computer- Spielemesse in Köln gegen die Präsenz eines
großen Werbestands der Bundeswehr dort selbst verteilt wurde. Insbesondere die
Kriegsaktionen der deutschen Militärs am Hindukusch fokussieren die
AktivistInnen der Initiative. Dabei werden auch die neuen Strategien des »Verteidigungs«ministeriums
thematisiert, die zivil-militärische Zusammenarbeit ebenso wie die innovativen
Waffentechnologien der avanciertesten Nato-Staaten, etwa die ferngesteuerten
Killerdrohnen und deren Auswirkungen auf das Verhalten und die Psyche der sie
bedienenden Soldaten.
Desertion gehört ebenfalls zu den bevorzugten Themen der Kampagne.
Schließlich gilt nach wie vor, dass ohne Soldaten schlecht Krieg geführt
werden kann: »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.« Daher
begrüßte »Bundeswehr wegtreten « die Einweihung des Kölner
Deserteursdenkmals, das allerdings offiziell »Denkmal für die Opfer der
NS-Militärjustiz« heißt, mit dem silver auf pink gedruckten Banner-Slogan
»Bundeswehr ohne Soldaten«. Der US-Deserteur Chris Capps war 2007 Gast einer
Veranstaltung der Kampagne speziell für Schulklassen mit ihren Lehrern, ebenso
2009 Ex-GI Andre Shepherd, der in der Bundesrepublik Asyl beantragt hat, weil er
sich nach üblen Erfahrungen im Irak nicht erneut in einen völkerrechtswidrigen
Krieg schicken lassen wollte und darum »von der Fahne« ging. Beide
Fahnenflüchtige kamen bei den SchülerInnen sehr gut an. Mit der
Kino-Vorführung des Dokumentarfilms »Sir, no Sir!« über Desertion und
Verweigerung während des Vietnamkriegs der USA sowie Sabotage- und
Antirekrutierungsaktionen von damaligen US-Soldaten lenkte »Bundeswehr
wegtreten « den Blick auf historische Beispiele antimilitaristischer Praxis.
Nicht nur in Köln, wo die strömungsübergreifende Kampagne ihren Ursprung
hat, sondern auch in weiteren bundesdeutschen Städten sind Menschen durch die
vielfältigen Anregungen von »Bundeswehr wegtreten« u.a. auf ihrer website (www.bundeswehr-wegtreten.org)
zu oft witzigen widerständigen Antikriegs-Aktionen motiviert worden. Die
autonome Kampagne »Bundeswehr wegtreten «, personell gar nicht mal üppig
besetzt, bietet ein Beispiel für wirksame Praxis ohne zentrale Strukturen und
ohne hohen materiellen Aufwand. Hilfreich ist allerdings die Förderung durch
die Bewegungsstiftung. Dieser CONTRASTESchwerpunkt kann hoffentlich dazu
beitragen, das Projekt auf eine noch breitere Basis zu stellen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10