Entscheidungsfindung von unten
Herrschaftsbrillen und Streitkultur
Wo mensch sich auch umschaut ... fast wie ein
"Naturgesetz" durchziehen formale und informelle
Hierarchien bestehende Gruppen, Verbände,
Vernetzungen und Aktionen mit ihren Plena,
Informationsflüssen und Entscheidungsabläufen. Fast
alle Versuche, sie zu beseitigen oder zu überwinden,
enden nach kurzer Zeit erfolglos oder tauschen eine
Hierarchieform gegen die nächste. "Von unten" als
Prozess gleichberechtigter und autonomer Menschen
sowie gleichberechtigter, autonom agierender Gruppen
und Zusammenhängen findet nicht oder kaum statt.
Redaktion Umweltschutz von Unten - Nicht nur die
Praxis fehlt, sondern auch die Theorie: Konkrete Ideen und Experimente, wie
hierarchiefreie Entscheidungs- und Aktionsstrukturen aussehen können, werden
kaum entwickelt und vorgeschlagen. Damit soll ein Ende sein - das war die
Hoffnung, mit der diese Debatte vor zwei Jahren auf dem Januartreffen 02
losgetreten wurde. Ziel ist, eine Diskussion zur Aufdeckung von Dominanzverhältnissen
und zur Entwicklung konkreter Vorschläge für deren Abbau zu entfachen. Sie
soll im günstigsten Fall als dauernde Debatte bestehen bleiben, immer wieder
Ideen und Versuche austauschen, reflektieren und weiterentwickeln. Die Zeiten quälender
Plena, intransparenter Machtzirkel, der Neigung zu zentralen Strukturen oder
Entscheidungen, der Stellvertretungspolitik in der Bewegung und des
dominanzbildenden Gegeneinanders sollen vorbei sein - stattdessen zählen ein
horizontales, gleichberechtigtes Miteinander, die Dezentralisierung von
Entscheidungen, das konsequente Ringen um Transparenz und gleichberechtigten
Zugang zu Wissen und Ressourcen in politischen Zusammenhängen, aber auch die
Effizienz von "Bewegung von unten".
Seit zwei Jahren wird in der offenen Arbeitsgruppe "HierachNIE" mit
wechselnder Besetzung über Ziele, Ansätze und Möglichkeiten hierarchiefreier
Gruppen- und Organisierungsprozesse nachgedacht und diskutiert. Hierarchische
Verhältnisse sollen nicht nur in Frage gestellt, sondern auch mit alternativen
Ansätzen konfrontiert werden ... an Stelle von Zentralen sollen Offene
Plattformen treten, Treffen mit vorgegebenen Inhalten und den immer gleichen
Workshop-CheckerInnen durch Open Space ersetzt werden. Selbstorganisation soll -
so zumindest der Anspruch - mit Ideen und strategischen Konzepten ausgefüllt
werden - an dieser Stelle sind auch
autonomanarchistische Zusammenhänge bislang sehr zurückhaltend. Mit langer
Verzögerung erscheint nun ein erstes, "handfestes" Ergebnis der
Arbeitsgruppe ... ein Reader - eine Sammlung von Texten zu Hierarchien, Dominanz
und Eliten sowie Konzepten und Methoden, um selbige abzubauen zu Gunsten von
gleichberechtigten und kreativen Gruppenprozessen. Teile davon, neu entstehende
Texte und Diskussionsbeiträge sollen Stück für Stück in CONTRASTE veröffentlicht
werden - immer jeweils mit einem bestimmten Fokus auf ein bis zwei Themen. Und
der richtet sich in diesem ersten Schwerpunkt - zeitlich verzögert aufgrund
Datenklau durch den Staatsschutz - auf zweierlei: Ein längerer Text will
helfen, die "Herrschaftsbrille" aufzusetzen ... denn das Erkennen und
Benennen von Herrschaft, Elitestrukturen und Zentralismus, was bei
modern-subtilen Dominanzen gar nicht so einfach ist, ist Voraussetzung für
deren Abwicklung. In weiteren Beiträgen werden die Möglichkeiten einer
hierarchiefeindlichen Streitkultur beleuchtet - was sind Ziele, welche Hürden
sind zu nehmen? Dabei bleibt es nicht nur bei theoretischen Appellen, denn mit
"Fish Bowl" wird eine Methode präsentiert, die kreative Diskussion
ohne zentrale Steuerung oder herausgehobene RednerInnen ganz praktisch erlebbar
macht. Daneben werden Formen vorgestellt, die das direkte Austragen von
Konflikten - insbesondere im persönlichen Bereich - fördern.
Wichtig bleibt: All das ist nur eine Momentaufnahme - das Wissen um bunte,
hierarchiefreie und effiziente Gruppenprozesse ist insbesondere in Doitschland
sehr schwach ausgeprägt, selbst der Protest fast immer "von oben"
organisiert. Deshalb wird es Zeit, überall anzufangen, Hierarchien, Zentralen
und informelle Eliten aufzudecken. Und vor allem, Experimente zu wagen,
Hierarchien und Herrschaft auch im Binnenverhältnis abzubauen, das Leben
unkontrolliert und vielfältiger zu machen - ob FreundInnenkreis, politische
Gruppe, Netzwerk, Mega-Kongress oder Beziehung ... an jeder Stelle sind
emanzipatorische Prozesse möglich und wichtig! Insofern sind die AutorInnen des
Schwerpunkts auch sehr interessiert an der gemeinsamen Weiterentwicklung der
ersten Ansätze, einer lebhaften Debatte und eines andauernden Lernprozesses.
Schluss mit der Langeweile ... die hierarchischen Verhältnisse zum Tanzen
bringen!
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10