VON PRAG NACH NIZZA
People before Profits
Der Geist von Seattle vor 11 Monaten, die Zusammenarbeit von
verschiedenen Gruppen als Ausdruck einer sozialen Gesamtbewegung, entsteht in Europa durch
die Diskussion um die Grundrechtecharta der EU und ihrer Gegenplattform. Ähnlich der WTO
garantiert das EU-System den Erhalt und Ausbau der Wachstumsideologie, vorangetrieben
mittels ERT (European Round Table of Industrials) initiiert von transnationalen Konzernen.
Anfang Dezember sollen in Nizza die Gipfelvertreter eine Revision des EU-Vertrags, die
Reform der EU-Institutionen, einen Grundrechtekatalog und die Osterweiterung - aber auch
über Kriterien eines neuen Sozialsystems in Europa, entscheiden.
Birgit Koch, Redaktion Hamburg - Vergleichbar undemokratisch wie WTO, IWF und
Weltbank auch in Prag weitere Feineinstellungen zur Umverteilung von Arm zu Reich
justieren, will die EU-Kommission mit gänzlicher Ignoranz gegenüber den Interessen der
Bevölkerung ihren Liberalisierungskurs durchsetzen. Im vorauseilenden Gehorsam als
Erfüllungsgehilfe der Großindustrie soll hinter dem Rücken gewählter Volksvertreter
beschlossen werden: Der Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit, vor allem in Konkurrenz zu den
USA, die Deregulierung der Märkte und als Globalcredo die Steigerung der Macht der
Wirtschaft gegen die der Regierungen, sind paradoxerweise die Zentralvorgaben in den
Staaten der EU und vorbereitend auch schon in den Beitrittsländern. Die angestrebte
florierende Konjunktur und damit die steigenden Profite werden so zum Transmissionsriemen
der Selbstentmachtung der vermeintlich staatlichen Demokratien. Hier vollzieht sich, was
in den Gremien der OECD von langer Hand vorbereitet und geplant wurde.
Bei all dem wird der Informationsstand der
Bevölkerung nach wie vor gleich Null gehalten. Weit ausladend werden die individuellen
Vorzüge einer europaweiten Marktwirtschaft versprochen. Unter dem realen Druck der
unterschiedlichen sozialen und kulturellen Arbeits- und Lebensbedingungen, mit dem Zwang
zur Rendite werden diese dann gegeneinander ausgespielt indem der niedrigste Level des
Einzelfalls zum wohlfeilen Standard aller gemacht werden soll. Statt des breiten
Wohlstands wird hier die Verengung auf die Interessen des Reichtums betrieben.
Unterstützend auf höchster Ebene der EU, wo Entscheidungsträger von Wirtschaft und
Regierung von jeglicher demokratischen Kontrolle ungestört walten und schalten können,
wird so die europäische Variante des Internationalen Lobbyismus institutionalisiert.
Der konkrete Sachstand der Politik von IWF,
Weltbank, WTO und EU kann der Öffentlichkeit nicht klar sein. Schweigen der Medien im
Blätterwald, der jeden Anspruch an Neutralität aufgegeben zu haben scheint,
kriminalisiert die Protestbewegung. Obwohl die Themen folgenreich für Umwelt, Arbeit und
Demokratie und damit von öffentlichem Interesse sind, überdeckt Gewaltdarstellung die
Inhalte.
Stabilität durch Gleichheit für alle
mittels Wachstum für Arbeitsplätze ist nach wie vor die stumpfe Parole. Dem Aufbau der
Bildungssysteme in den subventionierten Staaten soll als Garant für Wandel und Wohlstand
besondere Aufmerksamkeit zu teil werden. Der ehemalige Vizepräsident der Weltbank Joseph
Stiglitz legte sein Amt nieder, um nicht weiterhin eine Politik zu unterstützen, die
weder von den betroffenen Ländern abgesegnet wird, noch genötigt ist, die
wirtschaftswissenschaftliche Fachdiskussion zur Kenntnis zu nehmen. Ein Gegengewicht zu
den Finanzmärkten, auch in Europa mehr Demokratie und Ressourcenschonung zu schaffen,
stellt die Sozialen Bewegungen, die NGO' s, die Internationalen Gewerkschaften vor eine
Zusammenarbeit neuer Qualität. Wenn sie tatsächlich gemeinsam folgenreich wirken wollen,
ist auch das Eis zum Rest der Bevölkerung einzubrechen. Einige Berichte, Forderungen und
Zielvorgaben der sozialen Bewegungen, international und in Europa, werden im aktuellen
Schwerpunkt dargestellt.
Seite 7 bis 10
SCHWERPUNKTTHEMA
War "Prag 2000" ein Erfolg? Maria
Mies über die Proteste
"Die Erklärung von Prag"
Seite 7
Die Brüssel-Erklärung Von Seattle nach
Brüssel
Seite 8
EU-Grundrechtekatalog: Politische Ziele
nicht erwünscht Seite 9
Paris: Europäische Erwerbslosenversammlung
Obdachlose wehren sich: Schluss mit dem
Bettelverbot!
6.12.2000: Auf nach Nizza!
Seite 10