CONTRASTE PRÄSENTIERT IN BERLIN LESUNG MIT
P.M. (1)
Von der Notwendigkeit die Geschichte zu
ändern, statt sie immer zu Wiederholen
Der Schweizer Autor p.m.
kommt am 11. und 12.6.99 nach Berlin für drei Veranstaltungen. Seit fast 20 Jahren
schreibt er Romane und Pamphlete, und gemäß den verschiedenen Intentionen des Autors -
der politische p.m., p.m. als Ideengeber für Kommune- und Genossenschaftsmodelle und p.m.
als Sience-Fiction-Autor. Aber kann man das überhaupt so trennen?
von Jochen Knoblauch aus Berlin - Vor zehn Jahren schien die Welt noch in Ordnung. Es
gab zwei verschiedene Wirtschaftssysteme, die miteinander konkurrierten. Sie teilte die
Welt - für einige - in Gut und Böse. Der weitgehendste Zusammenbruch des
Staatssozialismus, brachte dem Kapitalismus einen vorübergehenden Sieg. Diesem Sieg
folgte ein Taumel, bei dem vor allem der Linken (falls man das überhaupt so sagen darf)
kotzübel wurde, aber statt kämpferisch aufzutreten, versanken viele in ein Nichts,
welches wohl mit Privatheit am besten umschrieben werden kann.
Hier taten sich nun eigentlich die Chancen
auf, die Karten neu zu mischen: Ein Staat verschwand, warum also nicht auch sein Pendant?
Eine Armee wurde aufgelöst, warum also nicht auch die Nato? Der Westen lebte mit einer
provisorischen Verfassung, warum also nicht mal eine Verfassung machen, an der alle
mitwirken können? Volkseigentum - vom Staat verwaltet hätte eigentlich wieder in Volkes
Hände gehört, warum also nicht gleich zur Selbstverwaltung und Autonomie übergehen?
Im Frühjahr 1990 wollte p.m. unbedingt eine Lesung in Berlin machen, und wir waren begeistert. Die
politischen Umstände forderten ein Aufzeigen möglicher Alternativen geradezu heraus.
Eine Lesung fand im Westteil statt (im Mehringhof) und eine Lesung im Ostteil (im
Bert-Brecht-Haus), aber die Leute schienen sich doch eher für andere Dinge zu
interessieren, als für eine alternative Lebensperspektive, jenseits von D-Mark und
Westautos.
Hier beginnt aber auch ein p.m.'sches
Prinzip: Er liefert nicht die Vorlage für Sektenmitglieder, die an seine Thesen und
Vorstellungen glauben und sich missionieren lassen sollen. Die Sozialutopien des p.m.
sind nur so gut, wie es eben Menschen gibt, die sie aufgreifen, und für sich inhaltlich
erarbeiten wollen. D.h., es muß so etwas wie eine Bewegung geben, die eh schon in dieser
Richtung experimentiert. Diskussion statt Heilslehre.
Ein weltweites Problem - so langweilig und
eng der Begriff "global" (2) auch ist - ist das vorherrschende Patriarchat und
seine dümmlichen Machtansprüche, sowie die immerwiederkehrenden Ausreden von
`Sachzwängen', `Traditionen' usw. "Die Mechanismen, die aus Menschen `Opfer der
Umstände' machen waren immer die gleichen" (3), heißt es bei p.m.,
und "lieber erklären wir überzeugend, warum wir nichts tun können , als daß wir
darüber reden, was wir denn tun müßten." (4) So ist nun mal der
Slogan: Täuschen, tarnen und verpissen. Jetzt aber auf das Matriachat zu warten, käme
einem Status quo gleich - bloß nichts verändern, die Sachzwänge usw. Daß Geschichte
einen anderen Verlauf nehmen könnte, und vor allem MUSS, das ist der Knackpunkt.
Geschichte wiederholt sich immer wieder, genauso wie die Ausreden um sie nicht zu ändern.
So benutzt p.m. die erste
Jahrtausendwende als Romangrundlage für eine Utopie, welche daraufhin zielt, zu erfahren
wie die Geschichte hätte verlaufen können, wenn, ja wenn nur ein klitzekleines Detail
anders gelaufen, oder in eine andere Bahn gebracht wäre. "Die Geschichte , das sind
sozusagen die `Schichten' in uns selbst. Es geht vielmehr darum, die Geschichte zu
verändern, ihr zu entkommen - damals wie heute. Wenn wir nicht eine andere Geschichte
für das zehnte Jahrhundert erfinden können, dann gibt es auch keine andere für das
zwanzigste und umgekehrt. Wenn wir keine realistischen Phantasien für ein zehntes
Jahrhundert, das aus den ewigen Sachzwängen und Rechfertigungen ausschert, entwickeln
können, dann werden wir auch im zwanzigsten gefangen bleiben. Die Aufgabe ist
dieselbe." (5)
Nach jedem Krieg wird gesagt, daß es sowas
nie wieder geben darf - und es passiert immer wieder. Tragödien der Menschheitsgeschichte
wiederholen sich, weil niemand bereit ist, dieses Band der Geschichte zu durchtrennen und
neue Maßstäbe anzulegen, die sich am Menschen messen, und nicht an vorgefertigte
Meinungen, Weltbilder und Kulturen, die sich vornehmlich am patriarchalen und
zerstörerischen Geist orientieren. Nur wir selber haben es in der Hand - ich meine nicht
gleich die Welt zu ändern, aber wir haben es in der Hand, die Grundlagen dafür
anzulegen, nämlich uns selbst zu ändern.
Von `Karthago' zu `KraftWerk1'
1981 zog p.m.
"eine Art ideologische Bilanz", wie er sich in einem Interview ausdrückte,
nachdem die Zürcher Bewegung ins Stocken geriet, und schrieb für sich die Dinge auf, die
ihm im Leben wichtig sind, und wie er sie erreichen könnte. Diese Bilanz verdichtete sich
zu dem Buchprojekt "bolo'bolo" (6), welches bis heute mehrere auch erweiterte Auflagen
erlebte und bis jetzt in sieben Sprachen übersetzt worden ist. Die HausbesetzerInnen in
Zürich kämpften viele Jahre lang um einen Häuserblock in der City, welcher leerstand
und als das "Karthago"-Projekt über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde. Von
1980-89 wurde darum gekämpft, aus diesem Quatier einen Ort zu machen für ökologisches
Wohnen und Arbeiten im Großhaushalt. `Die Anderen' hatten mal wieder gewonnen, aber die
Idee ist geblieben - sie wurde sogar weiter ausgearbeitet. So enstand `bolo'bolo', als ein
Vorschlag, den einige für sich auch aufgegriffen und für ihre Zwecke weiterentwickelt
haben, wie z.B. Horst Stowasser und das "Projekt A".
Träume aufzugeben, heißt sich selbst
aufzugeben. Auch in Zürich wird weiterhin geträumt. Die Ideen kursierten, und p.m.
bekam selbst von staatlicher Seite her angeboten, sein Projekt vielleicht `irgendwo auf
einer grünen Wiese' zu realisieren, aber das war und ist nicht sein Ziel gewesen. Er will
und wollte nie ein staatlich verordnetes Anarcho-Biotop. Freiräume müssen erkämpft
werden, und Alternativen, die etwas in der Gesellschaft bewirken sollen, müssen mitten in
der Stadt präsent sein, und nicht irgendwo am Waldesrand.
Seit Anfang der 90iger Jahre nun,
wird über das Projekt "KraftWerk1" diskutiert, geplant, verhandelt usw. Es geht
hierbei um ein Industrie/Wohngelände in Zürich, auf dem rund 700 Menschen leben und
arbeiten, die sich im Austausch mit Bauernhöfen aus der Region selbst versorgen wollen.
Gemeinschaftseinrichtungen wie Restaurants, Bäder, Werkstätten usw. sollen entstehen,
die dann auch für alle nutzbar sind.
Zur Zeit ist die Situation des Projektes so,
daß sie das Gelände haben und mit der Gestaltung beginnen. Auch in Deutschland scheint
die Kommune-Bewegung wieder im Aufschwung zu sein. In Berlin/Brandenburg und anderswo
werden verschiedene Modelle entwickelt und Vernetzungen von Großhaushalten, Kommunen etc.
vorangetrieben. Dies alles läuft aber nicht mehr im Rahmen des erkämpften Freiraumes,
als vielmehr, daß man eher das kauft, was sonst keiner mehr haben will. Dies ist sicher
nicht das non plus ultra, aber andere Möglichkeiten scheinen im Moment nicht realisierbar
zu sein.
Die Schrecken des Jahres 1000
Bei p.m. gibt es kein
idealisiertes Menschenbild. Er ist kein Vegetarier, und er geht nicht davon aus, daß es
in Zukunft eine total gewaltfreie Gesellschaft gibt. Aber: Niemand muß jeden Tag Fleisch
essen, und wir müssen lernen mit Gewalt umzugehen und ihre Ursachen zu verstehen. Das
realkapitalistische System kann sich mit Hilfe von ReformerInnen wie SPD und DIE GRÜNEN
zwar immer wieder an neue Verhältnisse anpassen, aber eben nicht ändern. Hierzu muß es
gezwungen werden, und sei es dadurch, daß so viele wie möglich ausscheren und in anderen
Bahnen Lebensformen entwickeln.
Wie gesagt, das hätte vor 1000 Jahren
passieren können, oder heute. Wir können nicht ständig unsere Vorfahren bemitleiden
oder sie freisprechen von ihren Unterlassungen - ebensowenig, wie uns nachkommende
Generationen unsere Versäumnisse nicht verzeihen werden.
Eine Utopie ist gemeinhin ein Hirngespinst,
aber das, was wir heute meinen errungen zu haben, gegenüber den Menschen von vor 1000
Jahren, sind das nicht auch Hirngespinster? Wir können heute auf dem Mond landen, aber
wer will das eigentlich? Wir können heute für zwei Wochen in der Karibik Urlaub machen -
`all inclusiv' - aber wäre es nicht schöner hier so zu leben, daß dieses Hirngespinst
von Urlaub gar nicht den Stellenwert bekommt, den er heute hat? Und wen es in die Ferne
zieht, nun, der ist auch im Mittelalter weitgekommen. Daran kann es nicht liegen.
Nein, es sind unsere Ausreden und
Entschuldigungen, die uns hindern, Alternativen auch zu leben, und das muß sich ändern.
Dazu gehört auch ein Gedankenaustausch wie wir das bewerkstellen können, welche Ideen
und Vorschläge auf den Tisch gebracht werden können.
Bevölkern wir die Insel Amberland (7),
bevor es uns die Tourismusindustrie wieder wegnimmt. Der Schrecken des Jahres 1000 ist
auch der Schrecken des Jahres 2000, und bei aller Technik (und sonstigen
`Errungenschaften' - so unsinnig viele davon auch sind) sind wir es, die im Moment die
Entscheidungen zu treffen haben. Tun wir das richtige. Lauschen wir der Utopie, und drehen
der Geschichte den Hals um.
Anmerkungen:
1) Neben CONTRASTE unterstützen und organisieren noch andere die p.m.-Lesungen
am 11. und 12. 6. in Berlin, wie z.B. Klaus Farin, AurorA-Buchversand, Anti-Quariat,
Espero, und eventuell Netzwerk e.V. usw.
2) vgl. hierzu: Der arbeitsfreie Mittwoch / Für eine planetare Alternative
- Zwei Vorschläge. Edition Anares Bern / Espero Hamburg-Berlin 1997.
3) p.m. als Rodulf von Gardau in: Die Schrecken des Jahres
1000. Bd.1. Rotpunktverlag Zürich 1996. S. 7/8. vgl. hierzu auch die Rezension von Klaus
Farin in: CONTRASTE Nr. 164 vom Mai 1998. Die Bände 2 und 3 erschienen 1997 und 1999.
4) ebenda. Schon wegen dem hervorragenden Vorwort lohnt sich dieses Buch!
5) ebenda
6) p.m.; bolo'bolo. Paranoia City Verlag Zürich 1983 ff
7) p.m.; Amberland - Ein Reisebuch. Paranoia City Verlag
Zürich 1989. Hierbei handelt es sich um die Beschreibung einer (ziemlich unbekannten)
Insel, die das bolo'bolo-Prinzip schon seit geraumer Zeit übernommen hat. Mit zahlreichen
Fotos, wie es sich nun mal für ein Reisebuch gehört. Es soll Leute gegeben haben, die
angefragt haben, wo man Reisen dorthin buchen kann.
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