KRITIK DER ARBEIT
Nieder mit der Arbeit!?
"Die Arbeitslosigkeit
wird in den meisten Industrieländern dauerhaft zunehmen ... Massengüter bis hin zu Autos
werden ab 2014 komplett maschinell hergestellt. Die Fernwartung von Maschinen spart
weitere Stellen ein. Für Sekretärinnen fallen Aufgaben weg: Bis 2008 sind Computer, die
auf Sprache reagieren, so verbreitet wie ihre heutigen Vorläufer ... In zehn Jahren beschäftigen
effiziente Firmen 40 Prozent der Arbeitnehmer nur noch befristet. " So wurde jüngst
wieder der eindeutige Trend eines weiteren dramatischen Arbeitsplatzabbaus bestätigt,
hier in der Studie "Delphi 98 " (Stuttgarter Nachrichten, 18.12.98).
von Heinz Weinhausen, Redaktion Köln - Es ist offensichtlich. Es geht nieder mit der
Arbeit; und mit der Gesellschaft, die sich zwanghaft neurotisch an sie klammert. Trotzdem
ist ein Disput entstanden. Sollen wir sie sterben lassen, die Arbeit? JA, sagen die einen;
allerdings leben Totgesagte länger, es braucht noch den Holzpflock in ihr Vampirherz.
NEIN, meinen die anderen. Für die Erwerbsarbeit mag das stimmen, aber Arbeit ist mehr als
die entfremdete Arbeit im Kapitalismus, sie ist auch eigenbestimmtes Tun und Gestalten. Da
haben wir ihn wieder, den Streit seit Anbeginn der Frühmoderne im 18. Jahrhundert. Schon
damals gab es Bewegungen wie die der Ludditen, die sich der aufstrebenden
Fabrikgesellschaft so sehr widersetzen, daß sie niederkartätscht wurden. Und es gab die
Arbeiterbewegung, die antrat, die politische Macht zu erringen, um die Arbeit zu
humanisieren.
Befreiung von der Arbeit oder Befreiung der
Arbeit, so lauten die alten und neuen verschiedenen Standpunkte. Wobei sich selbst der
tiefgründige Denker Karl Marx nicht so recht festzulegen vermochte. Trotz der
begrifflichen Verschiedenheit sind sich die Autoren des CONTRASTE-Schwerpunktes aber mit
Marx darin einig, daß Emanzipation innerhalb der Erwerbsarbeit immer nur einen äußerst
minimalen Spielraum hatte. Heute tendiert er gegen Null. Nur jenseits der
Betriebswirtschaft und staatlicher Bevormundung, jenseits der Steigerung des
Bruttosozialproduktes und leeren Konsums, jenseits von Gewerbegebieten und Hochhauskäfigen,
kurz nur jenseits der Warengesellschaft kann sich geselliges und individuell vielfältiges,
erfüllendes Werken und Wirken, kann sich ein befriedigendes Miteinander entfalten.
Schön gesagt, aber wie getan. Hier zeigen
sich wiederum Differenzen. Initiativen und Projekte können sich heute schon Freiraum
verschaffen und ansatzweise mit der Aneignung von Ressourcen und Verwirklichung von
Lebensqualität beginnen. Durch diese Auseinandersetzungen mit dem Status quo kann sich
eine Aneignungsbewegung bilden, die über den lokalen Rahmen hinausgeht und die
Gesellschaft gänzlich neu gestalten will. Oder braucht es dazu eine `Kampagne' gegen die
Arbeit, braucht es zunächst eine Widerstandsbewegung gegen die Zumutungen der
Arbeitsgesellschaft, aus der heraus sich eine breite Aneignungsbewegung entwickelt, die
dann die Kraft hat, umfangreiche, attraktive Projekte mit Ausstrahlungskraft zu beginnen
und umzusetzen.
Braucht es heute schon Bewegung im Aneignen,
damit eine Aneignungsbewegung sich formieren kann? Oder müssen solche heutigen
Bestrebungen soviel Kompromisse eingehen, daß sie eher den Notstand verwalten helfen als
emanzipatorische Aspekte umzusetzen?
Diese konträren Positionen sind nicht
leicht aufzulösen, auch wenn sie sich nicht gänzlich gegenseitig ausschließen müssen.
Hier wird nur die Anhäufung und Reflexion von Erfahrungen solcher Projekte und einer
solchen `Kampagne' uns weiter bringen. Man sieht: Je mehr die Arbeit der
Erwerbsgesellschaft schrumpft, desto mehr "Arbeit" hat die CONTRASTE.
Schwerpunktthema Seite 6 bis 9