DIE BUNDESWEHR UND IHRE NEUEN WAFFENSYSTEME
Mit der Abrüstung ernst machen
Lühr Henken - Die NATO hat mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien
etwas völlig Neues in der Menschheitsgeschichte bewiesen: dass sie über eine
einzigartige Technologie verfügt, die es ihr gestattet, ein Land zu besiegen ohne je
einen Fussbreit dieses Landes betreten zu haben und ohne einen Einzigen ihrer Soldaten zu
verlieren.
Modell Jugoslawien-Krieg
Die Zerstörung der Schlüsselindustrien
Jugoslawiens ist so nachhaltig, dass UN-Generalsekretär Annan im Oktober zu humanitärer
Hilfe für Serbien und Montenegro aufgerufen hat. Im Winter könnten lediglich 30 bis 50
Prozent der Bevölkerung mit elektrischer Energie versorgt werden. Das Bruttosozialprodukt
Jugoslawiens liegt nun pro Kopf zwischen dem von Eritrea und Sri Lanka bei rund 800 Dollar
im Jahr. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich gleichzeitig auf rd. 60 Prozent. 1,5 Mio.
Menschen leiden an Hunger.
Die NATO rüstet um, um sich künftig vor
allem auf solch einen Kriegstyp zu spezialisieren. Diese Form der Kriegsführung gilt der
NATO als vorbildlich.
Die "selbstkritische" NATO-interne
Auswertung des Jugoslawien-Krieges brachte jedoch "Schönheitsfehler" zum
Vorschein, die es künftig zu vermeiden gelte. Bis zum Sieg dauere es zu lange, was Maßnahmen
des Gegners ermögliche, so NATO-Strategen. Die lange Dauer und die jugoslawischen Gegenmaßnahmen
hätten Zweifel am Endsieg genährt und so den Zusammenhalt der NATO gefährdet. Deshalb
schlagen sie folgende Konsequenzen vor:
1. Künftig sollen die Luftangriffe
schockartig ausgeführt werden. Also nicht mit 20 Angriffen beginnen, sondern gleich mit
1.000.
2. Die Option des Bodentruppeneinsatzes soll künftig nicht ausgeschlossen werden.
3. Die Präzision der Zerstörung von Panzern müsse erhöht werden.
4. Die europäischen NATO-Staaten sollen ihren Anteil an künftigen Kriegen erhöhen.
Stichwort Technologielücke schließen. Gefordert wird die Aufrüstung der europäischen
NATO-Staaten mit Aufklärungssatelliten, Lufttransportkapazitäten, Abstands- und Präzisionswaffen.
Militärmacht Europa
Die USA wünschen bei der Militarisierung
Europas eine deutsche Führungsrolle, und damit einhergehend einen Anstieg der deutschen Rüstungsausgaben.
US-Minister Cohen reicht Minister Scharpings Entscheidung, die Krisenreaktionskräfte des
Heeres um ein Drittel zu erhöhen nicht. Er regte auf der Kommandeurtagung diese Woche an,
die deutschen Schnellen Eingreiftruppen insgesamt zu verdoppeln oder zu verdreifachen.
Die EU-Regierungschefs sind sich einig: In
zwei Jahren soll eine europäische Schnelle Eingreiftruppe von 50.000 Mann einsetzbar
sein, was ein europäisches Korps von 200.000 Soldaten voraussetzt, weil die Kampftruppen
bekanntlich ausgewechselt werden müssen.
Am Ende dieser Militarisierung soll eine
europäische Armee stehen, die autonom d.h. ohne US-Veto agieren kann.
Deutschland:
militärische Führungsmacht Europas
Auf allen Ebenen sind in Deutschland seit
Jahren Planungen zur Umstrukturierung der Bundeswehr im Gange. Neue deutsche
Waffentechnologien werden im Verborgenen entwickelt. All das soll nun in die Tat umgesetzt
werden. Deshalb sprechen Scharping und Schröder von einer Neuausrichtung der Bundeswehr,
die sie in ihrer Bedeutung mit der Wiederbewaffnung Deutschlands vergleichen.
Die Umsetzung dieser langfristig und
umfassend angelegten Militarisierung ist seit dem Bundeswehrplan 97 zahlenmäßig in etwa
erfassbar. Für die Herstellung neuer Waffen soll uns Bürgerinnen und Bürgern insgesamt
rd. 225 Mrd. DM und für die Nutzung zusätzlich rd. 320 Mrd. DM aus den Taschen gezogen
werden.
Die Summen allein reichen schon, um zu
fordern: Schluss damit!
Ein Blick auf die brisantesten Waffensysteme macht
jedoch zudem den aggressiven Charakter der Militarisierung der deutschen Außenpolitik
deutlich. Die folgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Das Deutsche Heer
Im Heer wird daran gearbeitet, eine
sogenannte "Deep-Battle-Kapazität" herauszubilden, d.h. tief im und über vom
Gegner besetzten Gebiet zu wirken. Zentrales Waffensystem hierfür sind die neuen
Kampfhubschrauber TIGER, von denen zunächst 80 beim größten Hubschrauberhersteller der
Welt, Eurocopter in Ottobrunn und Donauwörth, bestellt sind. 7 Mrd. DM sollen die
Steuerzahler für diese "fliegenden Festungen" ausschliesslich zur Aufrüstung
der sogenannten "Krisenreaktionskräfte" aufbringen. Ein TIGER ist 23 mal so
teuer wie einer seiner Vorgänger.
Ebenfalls für die "Krisenreaktionskräfte"
sind zunächst 185 Panzerhaubitzen 2000 für 2,5 Mrd. DM im Bau. Übrigens hier in Kassel.
Die wichtigste Waffe der deutschen Artillerie, die 154 Mehrfachraketenwerfer MARS, sollen
eine Verdoppelung der Reichweite auf 70 km erhalten.
STN-Atlas Elektronik in Bremen arbeitet an
der Entwicklung neuartiger Kampfdrohnen TAIFUN. Das sind Marschflugkörper mit einer
Reichweite bis zu 170 km. Die Planung sieht eine Einführung von 108 dieser neuartigen Präzisionswaffen
ab 2004 vor. Die Kampfdrohnen sollen in Schwärmen abgefeuert werden. Ihr RADAR-Suchkopf
soll autonom LKWs von Panzern und Gefechtsständen unterscheiden können, um sie im
Sturzflug zerstören zu können. Ebenso wird die Erprobung eines noch präziseren, direkt
manuell lenkbaren, Flugkörpers bei der DASA-Tochter LFK in Ulm betrieben. Diese POLYPHEM
getauften Flugkörper mit Video-Suchkopf sollen fähig sein, eine 25 kg-Bombe in bis zu 60
km Entfernung noch durch ein Fenster zu befördern. DASA meldet, dass die Entwicklung
dieses in der Welt einzigartigen Mordinstruments bis 2006 abgeschlossen sein wird. Mit
diesem Artilleriesystem POLYPHEM sollen auch die neuen Korvetten ausgerüstet werden.
Die Deutsche Luftwaffe
Für die TORNADOS und EUROFIGHTER werden
Marschflugkörper mit großer Reichweite gegen gehärtete Ziele erprobt. Dieser
Marschflugkörper TAURUS soll noch 4 Meter dicken Beton durchschlagen und speziell Brücken
zerstören können. Diese maßgeblich von Daimler-Chrysler konzipierten strategischen
Waffen sollen bereits ab 2003 der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Bis zum Jahr 2011
sollen davon 685 angeschafft werden.
Auf EU-Ebene geht es für den
Langstreckentransport von Soldaten und Kriegswaffen um die Anschaffung von insgesamt 75
Strategischen Transportflugzeugen, welche in der Luft betankbar sein sollen. Airbus wird
wohl demnächst den Auftrag bekommen.
Die Deutsche Marine
Die Deutsche Marine wendet sich in der
Einsatzplanung schwerpunktmäßig der Überwasserseekriegführung in fremden Küstengewässern
zu, um auf Land schießen zu können. Dafür entsteht derzeit bei Blohm+Voss in Hamburg
das Typschiff einer neuen Fregattenklasse, das Ende 2003 der Bundeswehr übergeben wird.
Es ist mit etwa 1,3 Mrd. DM die teuerste deutsche Kriegswaffe aller Zeiten. Zwei weitere
dieser Fregatten entstehen in Kiel und Emden. Zusammen mit neuartigen, speziell für den
Einsatz in flachen Küstengewässern konzipierten sogenannten Korvetten, sollen sie den
Verbund des Überwasserseekrieges von der Hohen See bis in die Küste hinein ermöglichen.
Die Beratung über den Bau der ersten 5 (von insgesamt 15) Korvetten (Preis 2,8 Mrd. DM)
wird im Bundestag noch vor der Sommerpause erwartet.
Für den Unterwasserseekrieg entsteht
derzeit bei HDW in Kiel das erste von acht neuen U-Booten. Diese U-212 setzen mit der
Brennstoffzellentechnik einen neuen Weltmaßstab im U-Boot-Antrieb. Zusammen mit den
deutschen Schwergewichtstorpedos SEEHECHT werden sie die kampfstärksten U-Boote der Welt.
Generell gilt, dass für sämtliche
Kriegswaffen Kunden im Ausland gesucht werden. Nicht nur für die LEOPARD und TIGER,
sondern auch für jene Waffen, die noch in der Entwicklung sind. Das sind qualitative Schlüsseltechnologien
für zukünftige Kriege.
Der Weltraum
Für die Führung der sogenannten
"Krisenreaktionskräfte" wird an der Satellitenkommunikationstechnik gearbeitet.
Langfristiges Ziels ist es, eine weltweite und vor allem, von den USA unabhängige, Führungsfähigkeit
der Kampfverbände zu erreichen. Voraussetzung dafür ist eine unabhängige sogenannte
"strategische Aufklärung". Deshalb wird das Projekt eines europäischen Militärsatellitensystems
wiederbelebt. Die für Anfang 2000 geplante Gründung des deutsch-französisch-britischen
Raumfahrtkonzerns ASTRIUM, an dem die deutsche DASA einen 50%-Anteil hält, dient genau
dieser Absicht.
Diese Entwicklungen sind alles andere als
beruhigend.
Abrüstung - woran orientieren?
Mir ist hier die Aufgabe gestellt, konkrete
Schritte in die Abrüstung vorzuschlagen..
Ich denke, die vordringliche Aufgabe der
deutschen Friedensbewegung muss es sein, erst einmal dazu beizutragen, die Bevölkerung
umfassend über die Planungen und Absichten, die horrenden Kosten und die verheerende
Wirkung dieser Kriegswaffen zu informieren. Dies muss insbesondere auch in denjenigen Städten
geschehen, in denen diese Waffen hergestellt werden.
Schwerpunkt muss es sein, die neuen
Technologien zu verhindern. Denn sie stellen eine neue Qualität von Waffen dar. Dazu zähle
ich besonders die Korvetten, die Marschflugkörper TAURUS, die Kampfdrohnen TAIFUN und das
Artilleriepräzisions-system POLYPHEM sowie die Radar-Satelliten der Firma Dornier. Für
diese High-Tech-Systeme neuer Qualität gibt es bisher keine Herstellungsaufträge.
Was die Abschaffung der Bundeswehr insgesamt
betrifft, brauchen wir Zwischenetappen, gewissermaßen Markierungen auf der Wegstrecke.
Woran sollen wir uns, was die Abrüstung
bestehender Kriegswaffen betrifft, orientieren? Ich schlage vor, auf der Grundlage des
KSE-Vertrages das größte Nicht-NATO-Land Europas, Russland, als Bezugsgröße zu nehmen.
In allen schweren Waffensystemen des Heeres
und der Luftwaffe hat die NATO in Europa gegenüber Russland eine dramatische Überlegenheit.
Die NATO liegt zwischen 60 und 200 Prozent in den wichtigsten Waffensystemen und bei der
Personalstärke über dem russischen Niveau; bei Überwasserkriegsschiffen sogar exakt bei
211 zu 36 und bei U-Booten bei 100 zu 50 nur in Europa, ohne die Seemacht USA
einzubeziehen.
Die Abrüstung Deutschlands und auch der
anderen NATO-Staaten Europas auf dieses geringe Niveau könnte bis Mitte des kommenden
Jahrzehnts erreicht sein und ergebe für Deutschland einen Einspareffekt von mindestens
200 Mrd. DM schon in den nächsten 10 Jahren. Übrigens Schweden macht es vor: Der
schwedische Generalstab schlägt vor, bis 2004 die Zahl der Armeebrigaden von 13 auf 6 zu
reduzieren, die Marine zu halbieren und auch die Luftwaffe beträchtlich zu verkleinern.
Zusammengefasst:
Drei Schwerpunkte sollten uns beschäftigen:
1. An den Rüstungs- und Militärstandorten vor Ort für qualitative Abrüstung kämpfen
und das mit dem Kampf gegen Sozialabbau, Renten- und Bildungsklau zu verbinden.
2. Mit einer kraftvollen bundesweiten Kampagne die Lieferung von 1.000 deutschen
Kampfpanzern für den Folter- und Kriegsstaat Türkei verhindern. 3. Den Kampf gegen die
Herausbildung einer Militärmacht Europa kräftig intensivieren. Dazu muss ein europäisches
Netzwerk der Friedensbewegten geknüpft werden.
Von Lühr Henken erschien im
Oktober der noch ausführlichere Beitrag: "Rüstungsprojekte der Bundeswehr nach dem
Krieg" in: Ulrich Cremer/Dieter Lutz (Hrsg.), Nach dem Krieg ist vor dem Krieg,
Hamburg (VSA-Verlag) 1999, S. 81-96; Das Buch, das im Buchhandel DM 24,90 kostet, ist
durch den Autor zum Subskriptionspreis von DM 17,36 (inkl. Versand DM 20,11) erhältlich
bei: Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V. c/o Lühr
Henken, Flotowstr. 6, D-22083 Hamburg, Tel. (0 40) 22 26 29, Fax 227 78 67, E-Mail LührHenken@t-online.de