ZUM TEILZEITSOZIALISMUS DES ANDRÉ GORZ:
Sphärenklänge
Du spulst deine Arbeit
runter,
und fragst nicht, warum und wieso.
Hauptsache, du kriegst deine Kohle
und ist es sauber auf dem Klo.
Ist es nicht so,
du Krone der Schöpfung ? (1)
"Den Kapitalismus
überwinden heißt hauptsächlich und notwendig, die Vorherrschaft der Warenbeziehungen -
einschließlich des Verkaufs der Arbeit - zugunsten freiwilliger Tätigkeiten und
Tauschbeziehungen zu beseitigen, die ihren Zweck in sich selbst tragen." (2)
Von Heinz Weinhausen, Redaktion Köln - Warenbeziehungen und Lohnarbeit zurückdrängen, ist
die Kernforderung von Andr Gorz. Was der Mainstream der SozialistInnen ignoriert
oder auf eine ferne "Übergangsgesellschaft" verschiebt, setzt er punktum auf
die Tagesordnung: "Wer, wie, wann, wo damit anfangen könnte, wird von den
radikal "man muss einfach" Denkenden als eine unwürdige Frage abgetan."
(3) Wo andere noch mit der Frage ringen, ob überhaupt eine Gesellschaft
ohne Lohnarbeit je funktionieren könnte, oder allenfalls abstrakte Forderungen in diese
Richtung erheben, geht es Gorz bereits um konkrete Vermittlungen; nämlich darum, hier und
heute zu beginnen, das Joch der Lohnarbeit im realexistierenden Industriessystem zu
brechen. Das Gorzsche Denken steht also nicht für die Verherrlichung der Arbeit. Es
verwirft den Glauben an die Metamorphose der Arbeiterklasse, sobald sie nur die
politische Macht erringt. (4) Gorz hält vielmehr die Arbeit selbst für das
eigentliche Problem. Er beschreibt sie als Mühsal, als Langeweile, als ermüdenden
quälenden Zwang, der die Menschen verkrüppelt, deformiert oder verblödet, wenn sie
ganztags und auf Dauer erbracht werden muss. Hierin sieht Gorz auch die Problematik
der sowjetischen Diktatur des Proletariats. Wird ein Großteil der Arbeiterklasse in einen
lebenslangen Monotonie-Beruf eingesperrt, in dem das Individuum schlicht zu funktionieren
hat, während seine schöpferischen Potenzen brach liegen, dann hat diese
Arbeitsgesellschaft - unabhängig davon, wie sie sich selbst definieren mag - herzlich
wenig mit dem erstrebten kommunistischen Ziel zu tun. (5)
In der Tat, einer vollen Entwicklung des
Individuums, die Marx als ein Charakteristikum des Kommunismus sah, steht diese
Vereinseitigung diametral entgegen. Wird dies nicht gesehen, "läuft man Gefahr,
von Angestellten und ArbeiterInnen die "Selbstverwirklichung" innerhalb von
Arbeitsaufgaben zu fordern, die keine Selbstverwirklichung erlauben." (6)
Explizit wendet sich Gorz gegen die Vision
des sozialistischen Arbeiterstaates. Er tritt vielmehr ein für die Befreiung von der
Arbeit als politischem Programm. "Es geht nicht mehr darum, Macht als Arbeiter zu
erobern, sondern darum, Macht zu erobern, um nicht länger als Arbeiter funktionieren zu
müssen." (7)
Befreiung von der Arbeit bedeutet für Gorz
zunächst ganz einfach eine drastische Reduktion der Erwerbsarbeitszeit. Ausgehend von der
heutigen Produktivität taxiert er die notwendige Lebensarbeitszeit: "Es sieht
kaum aus, als würde dieses Quantum gegen Ende des Jahrhunderts 20.000 Stunden
überschreiten. Nun bedeuten aber 20.000 Stunden pro Leben zehn Jahre Vollzeitarbeit oder
zwanzig Jahre Teilzeitarbeit oder - weit plausibler - vierzig Jahre unregelmäßige
Arbeit, wobei Halbzeitperioden, Urlaubsperioden oder Perioden unbezahlter autonomer
Tätigkeit in einer Arbeitsgemeinschaft usw. einander abwechseln." (8) Diese
Lebensarbeitszeit sieht er als Pflicht, von der niemand freigestellt sein soll. In der
radikalen Einschränkung der Lohnarbeit - in der Terminologie von Gorz der heteronomen
Arbeit - erkennt er aber die Chance zu einer neuen Lebensqualität. "Sinn und
Ziel der Forderung, "weniger zu arbeiten" ist nicht "mehr auszuruhen",
sondern "mehr zu leben"" (9)
In der Umsetzung dieses Ansatzes sieht Gorz
die Möglichkeit, die vom Kapitalismus eingeimpfte "produktivistische Arbeits-Ethik
auszumerzen und durch eine Ethik zu ersetzen, in der die freiwillige Kooperation, die
Selbstbestimmung, die Kreativität, die Qualität der Beziehungen zu anderen und zur Natur
die dominierenden Werte sind. Wir müssen wieder lernen, uns in das, was wir tun,
einzubringen, nicht weil wir dafür bezahlt werden, sondern aus Freude, etwas zu schaffen,
zu schenken, zu lernen, mit anderen nicht-kommerzielle und nicht-hierarchische, praktische
und affektive Beziehungen zu knüpfen." (10)
Und umgekehrt verhindert ein Beharren auf
den Vollzeitarbeitsplatz einen Durchbruch der neuen Ethik. "Solange das Arbeitsleben
den Hauptteil der Zeit eines jeden beansprucht und der Despotismus der Stoppuhr die
Arbeitszeit von der Lebensarbeitszeit abschneidet, werden die Entdeckung, die Neuerfindung
der nicht-ökonomischen Werte auch außerhalb der Arbeit unwahrscheinlich bleiben" (11)
In dieser neuen Sphäre der autonomen Tätigkeiten - hat die ökonomische Logik keine
Geltung mehr. Hier ist kein Sich-zurichten-müssen angesagt, auch nicht, wenn die frei
verfügbare Zeit für die Herstellung von Notwendigem genutzt wird. "Handgenähte
Kleider und Schuhe haben nicht denselben Status wie industriell gefertigte. Sie um des
Vergnügens willen herstellen heißt, dass die Zeit, die man damit zubringt, nicht
gezählt wird: es ist die Zeit des Lebens selbst." (12)
Autonomes Tun braucht folgerichtig eine
angemessene Infrastruktur, um sich entfalten zu können. Gorz fordert daher eine Politik
kollektiver Einrichtungen. Als Beispiel nennt er "die städtischen Zentren in
Großbritannien , die unter einem Dach Schwimmbad, Bibliothek, Lesesaal, Spiel- und
Musikräume, Restaurant, Reparatur- und Bastelwerkstatt vereinen." (13)
Weiterhin sieht er den Staat gefordert, für Selbsthilfegruppen, welche Altenhilfe,
Kinderbetreuung u.a. organisieren, eine geeignete Infrastruktur aufzubauen und ständige
finanzielle Unterstützung zu gewährleisten.
Gorz selbst bezeichnet seinen Ansatz als
dualistische Konzeption, und nur eine solche hält er für realistisch und realisierbar. "Die
heteronome Sphäre gewährleistet die programmierte, geplante Produktion all dessen, was
für das Leben der Individuen und für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig ist,
so wirksam wie möglich, folglich mit dem geringsten Aufwand und minimalen Ressourcen. In
der anderen Sphäre produzieren die Individuen auf autonome Weise, außerhalb des Marktes,
allein oder frei assoziiert, materielle und immaterielle, nicht notwendige, aber den
Wünschen, dem Geschmack und der Phantasie des Einzelnen entsprechende Güter und
Dienste." (14) Die eine Sphäre gilt es abzubauen, die andere zu
erweitern. In dem Maß wie das gelingt und endlich das Selbstbestimmte überwiegt, wird
die Gesellschaft sozialistisch. Hier käme dann den von ökonomischer Rationalität
der Kapitalverwertung geprägten Beziehungen nur noch eine untergeordnete Rolle zu und
somit wäre die "ökonomisch rationale Arbeit sowohl gesamtgesellschaftlich als im
Leben der einzelnen nur noch eine Tätigkeit unter mehreren anderen, ebenso
wichtigen". (15) Die restlose Beseitigung von Geld- und
Warenbeziehungen hält Gorz allerdings für utopisch. (16)
Soweit die Vorstellung der Gorz'schen
Position. Kann nun die dualistische Konzeption ein Ausweg aus der Krise des
marktwirschaftlichen Systems sein? Um diese Fragen befriedigend beantworten zu können,
sind die Grundlagen und Ausgangspositionen zu erörtern.
Teil 2 und 3 sowie Anmerkungen in der
Papierausgabe