Monatszeitung für Selbstorganisation
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BREITE SOLIDARITÄT GEGEN ZWANGSRÄUMUNG IN BERLIN-KREUZBERG»Die Häuser denen, die drin wohnen«Am 14.2. um 9 Uhr war die Zwangsräumung der Wohnung von Familie Gülbol angesetzt. Die fünfköpfige Familie lebte seit Jahrzehnten in der Lausitzer Straße. Ein Mietrechtsstreit war für den Vermieter Anlass, der Familie zu kündigen. Von Antonia Schui, Redaktion Berlin # In den Wintermonaten hatten AktivistInnen die geplante Räumung bereits zweimal verhindert. Aufgrund der Präsenz von NachbarInnen war die Gerichtsvollzieherin beim ersten Versuch gleich wieder gegangen, der zweite Termin kam erst gar nicht zustande (s. CONTRASTE Nr. 340, S. 4). Ab 6 Uhr sperrte die Polizei ganze Straßenzüge ab und inszenierte ein bürgerkriegsähnliches Szenario. Noch bei Dunkelheit knatterte ein Hubschrauber am Himmel, der U-Bahnverkehr war unterbrochen. Dennoch schafften es 400 Personen vor den Hauseingang der Lausitzer Straße 8, bei Minustemperaturen saßen sie auf dicken Pappen. NachbarInnen reichten Tabletts mit Brötchen, Transparente in den Fenstern zeigten Solidarität der AnwohnerInnen. Lautstark wurde »Die Häuser denen, die drin wohnen« gerufen. Und doch ist es nicht gelungen, die Räumung zu verhindern. Die Gerichtsvollzieherin kam schließlich über einen Hinterhofkomplex durch die Wiener Straße in das Gebäude. Mit 400 PolizistInnen, diversen Tricks, Hubschrauber und Pfefferspray siegten die Interessen des Hausbesitzers – auf Kosten der Allgemeinheit. Und doch war die Aktion ein großer Erfolg. Zwangsräumungen gehen in der Regel lautlos vonstatten – viele Betroffene sehen Mietschulden als ihr individuelles Problem. Eine Sicht, die Profiteuren nutzt, Teil der neoliberalen Selbstbestimmungs-Ideologie ist und folgende Prozesse ausblendet: Leute mit niedrigerem, zunehmend auch mittlerem Einkommen, unter ihnen viele Alleinerziehende, müssen ihr Zuhause für Wohlhabende räumen. Einigen bleibt nach der Räumung die Möglichkeit, mit Verwandten in beengten Verhältnissen zu leben. Andere ziehen in Außenbezirke, fernab ihres vertrauten Umfelds. Mit dem Verlust der Wohnung beginnt für viele die Obdachlosigkeit. Besonders MigrantInnen sind von Verdrängung betroffen. Abmahnungen, die gezielt an ZuwanderInnen versendet werden, sind Teil einer rassistischen Praxis, die zu erzwungenen Räumungen führen kann. Trotz der politischen Brisanz gibt es kein öffentliches Interesse am Thema. Am Tag dieser Räumung war das ganz anders. Ali G., der die Situation offensiv thematisierte, schuf im Vorfeld bereits eine Basis für Solidarisierung und mediales Interesse. Dass der »Kampf erst beginne«, war seine mutige Botschaft nach der Räumung. Zeichen eines politischen Aufbruchs ist auch die Heterogenität des Protests. Leute unterschiedlicher Herkunft, aus diversen sozialen und kulturellen Kontexten, ziehen an einem Strang. Personen aus dem linken Spektrum, engagierte MieterInnen, GentrifizierungskritikerInnen, KiezbewohnerInnen und solidarische NachbarInnen werden gemeinsam aktiv. Gut möglich, und sehr naheliegend, sind nun auch internationale Vernetzungen gegen Verdrängung. So ist auch Südeuropa, vor allem Spanien, in Folge der Wirtschaftskrise mit Zwangsräumungen konfrontiert. Parallelen gibt es auch zu Entwicklungen in anderen Kontinenten. Ende Januar protestierten Tausende in mehreren Städten Brasiliens gegen die mit brutalen Mitteln erzwungene Räumung des Armenviertels Pinheirinhos im Bundesstaat São Paulo. Auch in Berlin zogen DemonstrantInnen vor die brasilianische Botschaft, um Solidarität mit Penheirinhos zu zeigen; die BewohnerInnen hatten das Gelände vor acht Jahren besetzt. |
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