SCHWERPUNKTTHEMA
Selbstbestimmt Arbeiten
»Hauptsache irgendeine Arbeit, egal welche!«
fordern die einen. »Arbeit muss auch Spaß machen, die persönliche Entwicklung
fördern und gesellschaftlich sinnvoll sein« meinen die anderen – und häufig
sind es die gleichen Menschen, die nach einigen Jahren vergeblicher Jobsuche
resigniert von der zweiten zur ersten Aussage übergehen. Die Widersprüche in
der auslaufenden Arbeitsgesellschaft werden immer größer, gleichzeitig nimmt
auch die soziale Spaltung zu, die Reichen werden reicher, während die niedrigen
Einkommensschichten es zunehmend schwerer haben, auch nur ihre Grundbedürfnisse
zu befriedigen.
Von Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz # Während
die einen unter Überlastung stöhnen und Burnout zur Volkskrankheit wird, leben
die anderen unter prekärsten Bedingungen von der Hand in den Mund. Der Umgang
mit Arbeitslosen wird umso repressiver, je höher die Arbeitslosenzahlen
steigen. Die Wirtschaftskrise hat die Situation noch einmal verschärft. Zur
Überwindung der Krise wird die Schaffung neuer Arbeitsplätze gefordert, die
meisten davon können aber kaum ihren Mann oder ihre Frau ernähren.
Schon seit den Anfängen des Industriekapitalismus,
seit entfremdete Lohnarbeit zur Norm wurde und nur das als »Arbeit« galt, was
zur Kapitalvermehrung beitrug, gab es auch Widerstand gegen diese Entfremdung
und Experimente mit Alternativen. Das Streben nach Autonomie in der Arbeitswelt,
das in den 70er Jahren viele selbstverwaltete Projekte auf den Weg brachte,
wurde oft genug vom System vereinnahmt. In der neoliberalen Ausprägung des
Kapitalismus ist Autonomie eine Grundanforderung an Arbeitskräfte, die vor
allem zu vermehrter Selbstausbeutung führt.
Auf der Suche danach, was Autonomie unter diesen
Umständen bedeuten könne, gingen viele Ideen und Diskurse der letzten Jahre
über eine demokratische Form der Arbeits- und Betriebsorganisation hinaus, hin
zu grundsätzlich anderen gesellschaftlichen Arrangements. Sie beziehen auch die
Verteilung von Reichtum und Arbeit in ihre Überlegungen mit ein, fordern die
Entkopplung von Arbeit und Einkommen oder stellen den Begriff »Arbeit«
grundsätzlich in Frage.
Michael Albert hat mit »Participatory Economy« (Parecon)
ein Modell der Wirtschaftsdemokratie entwickelt, in dem weder Markt noch
bürokratische Planung vorgeben, was produziert werden soll und wie viel
konsumiert werden darf, sondern die Produzierenden und Konsumierenden sich
selbst untereinander absprechen. Dieses Modell wird in unserem Schwerpunkt
vorgestellt und von Christian Siefkes, Autor von »Beitragen statt Tauschen«
und Proponent der Peer-Produktion, kritisch kommentiert.
Das Modell »Neue Arbeit« von Frithjof Bergmann wurde
in der vorletzten CONTRASTE-Ausgabe (Nr. 340) vorgestellt. Das »Otelo«, über
das wir in dieser Ausgabe berichten, hat diese Idee in den ländlichen Raum in
Oberösterreich transportiert.
Vor allem Frauen weisen darauf hin, dass ein großer
Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit nicht in Form von Erwerbsarbeit,
sondern unbezahlt erbracht wird. Sie fordern, diese Sorgetätigkeiten gleich zu
bewerten wie die bezahlte Arbeit, sowohl finanziell als auch was den sozialen
Status betrifft. Frigga Haug geht in der Vier-in-einem-Perspektive noch einen
Schritt weiter. Sie bezieht auch Eigenarbeit und gesellschaftliches oder
politisches Engagement in den Arbeitsbegriff mit ein und plädiert im
CONTRASTE-Interview für eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit,
»damit alle genug Zeit haben, sich der sozialen fürsorgenden Praxen ebenso
anzunehmen, wie sich selbst zu entwickeln und politisch tätig zu sein«.
Andere kritisieren gerade, dass immer mehr unter dem
Begriff »Arbeit« subsumiert wird und betonen die Qualität der Tätigkeiten
und sozialen Beziehungen, die außerhalb der Arbeitswelt angesiedelt sind. Wenn
Menschen, etwa durch ein Grundeinkommen, von Erwerbsarbeit unabhängig wären,
dann könnten sie sich selbstbestimmt jenen Tätigkeiten zuwenden, die sie
wirklich befriedigen und hätten auch ausreichend Zeit für Muße. Konzepte wie
die Peer Produktion oder die Subsistenz-Perspektive stellen Geld und Tausch
grundsätzlich in Frage. Nicole Lieger und Brigitte Kratzwald skizzieren
Visionen eines Lebens jenseits der Lohnarbeit.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10