Zum Thema Selbstverwaltungswirtschaft
Aufregung im GRÜNEN Hühnerstall: Schon wieder war der Fuchs
nachts da und hat Beute gemacht. Diesmal war es das Küken "Selbstverwaltungswirtschaft".
Eigentlich ein echt GRÜNES Hühnchen, entwicklungsfähig und irgendwie zu
Größerem ausersehen, gleichwohl im eigenen Stall vernachlässigt, wenig
gepflegt, niemand wußte so recht, wohin damit.

Die SPD im neuen Gewand
Ende August hat die ,,Arbeitsgruppe Genossenschaftswesen" beim
SPD-Vorstand eine Broschüre "Materialien zum Genossenschaftswesen und zur
Selbstverwaltungswirtschaft" präsentiert, die ebenso aus GRÜNER Feder
hätte stammen können: Historische und aktuelle Betrachtungen über kooperative
Arbeitsformen ui der Bundesrepublik und in anderen europäischen Ländern
münden in der Forderung nach einer Stärkung unkonventioneller Arbeits- und
Betriebsformen, nach einer Ausweitung der Selbstverwaltungswirtschaft sowie
entsprechenden Vorschlägen hierzu.
Seit dem Machtwechsel m Bonn pflegt die
SPD wieder einmal einen anderen Umgang mit linken Reformern in ihren eigenen
Reihen. So gewinnen heute offenbar zunehmend Leute Gehör und Gewicht, die bei
der Entwicklung einer neuen Wirtschaftspolitik der SPD an die (verschüttete)
genossenschaftliche Traditionslinie der Sozialdemokratie anknüpfen wollen: Der
Idee der "freien, individuellen Assoziation der Arbeiter", der
Arbeiter-Selbsthilfe in Form von Genossenschaften als einer "Säule"
der historischen Arbeiterbewegung. Sie sehen in der "Wiederbelebung des
Genossenschaftsgedankens" - bei einer entsprechenden Aktualisierung und
Weiterentwicklung – eine ,,Chance zur Lösung beschäftigungspolitischer
Probleme, zur Wirtschafts- und Gesellschaftsreform in einer solidarischen und
demokratischen Organisationsform und zur Mobilisierung kreativer und kultureller
Tätigkeiten der Menschen". Diese "Säule" war spätestens seit
dem Godesberger Programm in Vergessenheit geraten, ab da wurde unter
Wirtschaftsdemokratie parteioffiziell nur noch betriebliche und
überbetriebliche Mitbestimmung verstanden.
So wurden denn nach der ,,Wende" beim Parteivorstand und der
Bundestagsfraktion der SPD gut ausgestattete Arbeitsgruppen eingerichtet -
versehen mit namhaften Abgeordneten -, die sich mit Genossenschaftsfragen im
weitesten Sinne, mit Alternativbetrieben, Selbsthilfeprojekten, alternativen
Beschäftigungskonzepten u.a.m. beschäftigen. Bei mehreren groß angelegten
Anhörungen wurde der geballte Sachverstand aus der Alternativökonomie - und
Selbsthilfebewegung - abgefragt und nun in dieser Broschüre auf recht aktuellem
Niveau zusammengetragen.
Erstes Fazit: Die SPD zeigt sich auf der Höhe der Zeit, hat die
Hand am Puls der "Bewegung", greift aktuelle Forderungen auf. Sie hat
damit im Augenblick das Thema öffentlichkeitswirksam besetzt und hat die
GRÜNEN – hier: die schwachbrüstige Arbeitsgruppe "Selbstverwaltungswirtschaft/Alternative
Ökonomie" in der GRÜNEN Bundestagsfraktion – klar ausgepunktet!
Da hilft auch nicht, daß die GRÜNEN
schon länger als die SPD an diesem Thema arbeiten, ebenfalls "Experten"-Anhörungen
gemacht haben und in ständigem Kontakt zur Selbstverwaltungsszene stehen, mit
anderen Worten mindestens so schlau sind wie die SPD. Sie haben es eben bislang
nicht (richtig) verkauft.
Und unabhängig davon: Selbst wenn sie etwas wirklich Gutes zu
verkaufen haben - wie zum Beispiel die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
(kapitalisierte Arbeitslosenunterstützung für selbstverwaltete Betriebe) - ist
der Presserummel erheblich kleiner: es ist natürlich von größerer Bedeutung
und von mehr öffentlichem Interesse, wenn der Tanker SPD vom alten Kurs
abzukommen scheint, als wenn der GRÜNE Achter ohne Steuermann mal wieder für
sein Klientel durch die Gegend rudert.
Keine Panic auf der Titanic
Dennoch besteht im Augenblick (noch) kein Grund zur Panik: Die SPD
hat bislang noch in keinem Punkt konkretere Vorschläge gemacht, die über die
allgemeinen Forderungen der Szene und der EG nach rechtlichen und finanziellen
Erleichterungen für Alternativbetriebe hinausgingen. Sie ist auch
programmatisch nicht einen Schritt weiter als die GRÜNEN, nicht weiter als die
alternative Szene insgesamt: auch sie hat noch kein wirtschaftspolitisches
Konzept, in dem die Rolle der Selbstverwaltungswirtschaft, der
Alternativbetriebe in der Gesamtwirtschaft schlüssig definiert wäre.
Die jetzt vorgelegte Broschüre ist nicht mehr als eine
Zusammenstellung von Artikeln, die in den letzten zwei Jahren, zu und aus dem
Bereich der Selbstverwaltungswirtschaft verfaßt und überwiegend schon
veröffentlicht wurden. Hinzugekommen ist lediglich ein Artikel von
Klose/Müller/Otten, der die Selbstverwaltungswirtschaft aus SPD-Sicht
einschätzt und sich im wesentlichen den Forderungen aus der alternativen Szene
anschließt.
Mit einer Konkretisierung ist aber in nächster Zeit kaum zu
rechnen. Die Broschüre ist eben nicht das Ergebnis einer innerparteilichen
Diskussion, sondern der Versuch der SPD-Linken, stärkeren Einfluß auf das
künftige Parteiprogramm zu bekommen. Dementsprechend stehen der SPD jetzt die
innerparteilichen Diskussionen und Kämpfe über den von der Arbeitsgruppe
vorgeschlagenen Kurs bevor. Die erste Reaktion aus den Genossenschaftsverbänden
war auch prompt: „... sozialromantische Experimente...".
Von den reformfreudigen Teilen der SPD wird daher zunächst die
ideologische und innerparteiliche Arbeit vorangetrieben werden müssen, z.B.
durch die bereits angekündigte Gründung eines ,,Vereins zur Förderung des
Genossenschaftsgedankens".
Schnellschuß oder Rahmenprogramm
Was also tun als GRÜNE (im Bundestag)? Entweder: Sie kontern
sofort und bringen einen eigenen Gesetzentwurf zum Thema Alternativökonomie im
Bundestag ein - wie es offenbar einigen GRÜNEN vorschwebt. Nach Lage der Dinge
und der Vorarbeiten könnte das im .Augenblick , aber nur ein "Gesetz für
Produktiv- und Kleingenossenschaften" sein. Oder: Sie bringen eine Art
Teilprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Demokratisierung der
Wirtschaft in die öffentliche Diskussion, entwickeln daraus mehrere gesetzliche
Initiativen (unter anderem ein Gesetz für eine "alternative
Betriebsform"), die sie in den kommenden Wochen/Monaten in den Bundestag
einbringen.
Für die erste Lösung spricht, daß die GRÜNEN mit einem eigenen,
schnellen Gesetzentwurf zu Produktivgenossenschaften parlamentarisch einen Punkt
gegen die SPD machen und öffentlich zeigen könnten, daß auch sie am Ball
sind. Allerdings würde es sich dabei (mal wieder?) um einen - aus Panik
gebotenen – GRÜNEN "Schnellschuß" handeln, mit dem man den
Anschluß an die davon galoppierende SPD gewinnen will. Der könnte sich aber
leicht als Rohrkrepierer erweisen: die gesetzliche Normierung einer neuen,
eigenen Betriebsform für Alternativbetriebe macht nämlich nur dann Sinn, wenn
diese Betriebsform in der Praxis lebensfähig ist und von den "alternativen
Unternehmern" auch angenommen wird. Nachgewiesenermaßen ist aber das
Fehlen einer eigenen Rechts- bzw. Betriebsform nur ein Hindernis – und nicht
das größte - für die Entwicklung von Alternativbetrieben. Gravierender sind
finanzielle, administrative und politische Restriktionen: schlechter bis gar
kein Zugang zu privaten und öffentlichen Finanzquellen; politische
Geringschätzung bis hin zum Boykott bei (Genossenschafts-) Verbänden,
staatlichen und kommunalen Behörden u.a.; keine nationalen, regionalen oder
kommunalen Förderprogramme für derartige Initiativen; keine Abstimmung
zwischen den lokalen Behörden, zum Beispiel den Wirtschaftsbehörden und
Arbeitsämtern u.a..
Fazit: Mit einem neuen Gesetz, das lediglich die Betriebsstruktur
eines Alternativbetriebs normiert, würde kein einziger Alternativbetrieb
zusätzlich entstehen!
Ein Gesetz über selbstverwaltete Betriebe taugt zwar als Ansatz,
als ein Element für eine andere Wirtschaftspolitik/Wirtschaftsförderung, es
muß aber mindestens in zwei Richtungen verkoppelt werden:
a) Auf der Ebene des Steuerrechts, des Sozialrechts, des
Subventions- und Haushaltsrechts, im administrativen Bereich, u.a. - kurz: bei
den Rahmenbedingungen müssen Regelungen geändert und neu geschaffen werden,
die eine direkte und indirekte Förderung von alternativen Betrieben
ermöglichen: Steuererleichterungen bzw. Subventionen, nationale, regionale und
kommunale Sonderprogramme, (Modell-) Beratungseinrichtungen, flexible
(kapitalisierte) Arbeitslosenunterstützung - u.a.m.
b) Das Gesetz muß ferner eingebettet werden in eine
wirtschaftspolitische Programmatik der GRÜNEN: Welche Ziele werden mit einer
Ausweitung des Selbstverwaltungssektors verfolgt; welchen Stellenwert, welchen
Umfang soll ein genossenschaftlicher/selbstverwalteter. Sektor neben , dem
privatwirtschaftlichen und dem öffentlichen/gemeinwirtschaftlichen Sektor
haben, soll er gar den einen oder anderen (oder beide) langfristig ersetzen;
welche überbetrieblichen Steuerungs- und Planungsinstrumente sollen auf der
Ebene des Marktes und des Staates existieren; welche Rolle fällt perspektivisch
den Gewerkschaften und den sozialen Sicherungssystemen zu?
Hierzu gehört auch: Welche Rolle kann/soll der
Selbstverwaltungssektor aktuell bei der Eindämmung der Erwerbslosigkeit
spielen?
Taktik oder Reformwille – Dualwirtschaft
oder Dritter Sektor
Zu all diesen Fragen klaffen bei den GRÜNEN - und nicht nur bei
ihnen - derzeit noch ,,programmatische Löcher" größeren Umfangs.
Gerade hier ließe sich aber der Unterschied zwischen SPD und
GRÜNEN auch nach außen hin verdeutlichen:
Ist die SPD als Gesamtpartei wirklich in der Lage und bereit, ein
wirtschaftspolitisches Programm zu entwickeln, das selbstverwalteten Betrieben
und damit kollektiven Eigentumsformen Prioritäten einräumt, das also an der
Grundsäule unseres Wirtschaftssystems rüttelt: dem individuellen
Privateigentum an Produktionsmitteln? Das wäre in der Tat eine revolutionäre
Wendung der SPD. Oder geht es nicht doch (den meisten in der SPD?) mehr um beschäftigungspolitische
und wahltaktische Effekte? Steckt nicht hinter dem versuchten "Brückenschlag
zwischen traditioneller Genossenschaftsbewegung und
Selbstverwaltungswirtschaft" das vordergründige Ziel, die SPD wieder
wählbar zu machen? Mit Beschäftigungsprogrammen gegen die Erwerbslosigkeit und
mit der Wiederbelebung wirtschaftsdemokratischer Modelle kann die SPD eventuell
gleichermaßen für ,,betroffene" Arbeitslose, für Alternativwirtschaftler
und für Teile der linken Intelligenz wieder als "eigentliche Reformpartei"
ansprechbar werden. Ihr könnte hier abermals ein Einbruch in ein bisher von den
GRÜNEN besetztes Feld gelingen, damit auch ein Einbruch in (potentiell) GRÜNE
Wählerschichten.
Erleichterungen für alterative Betriebe
zu schaffen ist eine Sache und zweifellos wichtig. Dies ersetzt jedoch kein
Wirtschaftsprogramm, weder für die SPD noch für die GRÜNEN. Mit solchen
Einzelmaßnahmen läuft man stattdessen Gefahr, in die neokonservativen Konzepte
einer Dual-Wirtschaft (mit einem ,,formellen" (Hochleistungs-) Sektor und
einem weichen, "demokratischen", "informellen" (Abfederungs-)Sektor
oder in kurzatmige Beschäftigungspolitiken eingepaßt und verwertet zu. Werden.
Die SPD weist der Selbstverwaltungswirtschaft sowohl in ihren bisherigen
programmatischen Annäherungsversuchen (z.B. der Beitrag Müller/Klose/Otten in
der Broschüre) als auch praktisch in den von ihr regierten Ländern/Kommunen
allenfalls eine marginale Rolle, ein Nischendasein im informellen Sektor zu.
Dagegen könnten die GRÜNEN hier ihre weitergehende Perspektive
(wenn es denn eine gibt) in die Diskussion bringen: keine Dualisierung der
Wirtschaft (und Gesellschaft), sondern die Entwicklung eines eigenen
kollektiv-wirtschaftlichen oder Selbstverwaltungssektors als drittem Sektor
neben dem privatkapitalistischen und dem staatlich/gemeinwirtschaftlichen Sektor
(vgl. hierzu auch die entsprechenden Bemühungen in Frankreich, Italien,
Großbritannien und Spanien). Hierzu bedarf es zweifellos mehr als einer
Änderung des Genossenschaftsgesetzes und einiger Krediterleichterungen für
Alternativbetriebe.
Zum Thema Selbstverwaltungswirtschaft muß also bei den GRÜNEN
eine breite, innerparteiliche, fachliche und politische Absicherung hergestellt
sowie eine fundierte öffentliche Diskussion in Gang gebracht werden.
Es müssen also mittelfristig Entwürfe zu den verschiedenen
rechtlichen und administrativen Handlungsebenen und zu den GRÜNEN
Zielvorstellungen erarbeitet werden. Dies von der Bundestagsfraktion allein
machen zu lassen, ist weder möglich noch politisch sinnvoll, sondern kann nur
im Zusammenhang mit Leuten aus der GRÜNEN Partei und mit befreundeten
Fachleuten geschehen, und auch nur unter Berücksichtigung der historischen und
aktuellen Selbstverwaltungsmodelle hier und anderswo, und schließlich unter
Einbeziehung der konkreten Erfahrungen der Altemativbetriebler/innen hier und
heute. Dies alles am besten in einer Arbeitsgruppe/Kommission "Selbstverwaltungswirtschaft,
Genossenschaftswesen, Wirtschaftsdemokratie" (ähnlich wie in der SPD!).
Die dort entwickelten Entwürfe könnten dann zum Beispiel bei einem Kongreß im
nächsten Jahr etwa unter dem gleichen Titel vor breiter Öffentlichkeit und
Fachwelt politisch und fachlich behandelt werden. Hieraus ließen sich
abgesicherte, weniger abgehobene und (evtl.) realisierbare parlamentarische
Initiativen sowie praktische Anstöße entwickeln. Zwischenzeitlich können
natürlich kleinere Aktionen zum Thema laufen, wie zum Beispiel der jüngst
vorgeschlagene Antrag an die Bundesregierung zur Verwirklichung der
EG-Richtlinien über örtliche Beschäftigungsinitiativen, die parlamentarische
Behandlung der o.g. AFG-Änderung sowie ähnliche Neben- und Vorgefechte.
Die SPD als Wegbereiter
So diffus und vordergründig und inhaltsleer die jetzigen
SPD-Vorstöße auch sein mögen, haben sie zweifellos positive Effekte (auch
für die GRÜNEN).
1. Vielleicht wird hierdurch einigen GRÜNEN mehr die Bedeutung des
Themas Selbstverwaltungswirtschaft klar und sie fühlen sich jetzt zur
Beschäftigung hiermit ermuntert: ohne demokratische Wirtschaftsverfassung, ohne
demokratische Betriebsstrukturen bleibt die politische Demokratie ein Torso.
2. Je stärker die SPD das Thema Genossenschaften
aus dem gesellschaftlichen Abseits holt, desto mehr wird der Boden bereitet für
eine öffentliche Diskussion über wirtschaftsreformerische Modelle (über
Arbeiter-Selbstverwaltung, Wirtschaftsdemokratie u.a.), desto mehr steigt die
öffentliche Akzeptanz gegenüber solchen Begriffen und damit evtl. auch
gegenüber GRÜNEN Vorstellungen.
3. Je mehr sich die SPD – auch nur scheinbar \ in diese Richtung
bewegt, desto mehr steigen die Chancen einer parlamentarischen und praktischen
Umsetzung (z.B. auf regionaler Ebene). Mit dem Ziel eines Ausbaus des
Selbstverwaltungssektors ließen sich also evtl. Bündnisse zumindest mit Teilen
der SPD schließen.
... und Wegbegleiter??
Bleibt noch die Frage nach dem Schicksal des eingangs erwähnten
Hühnchens. Warum hat der Fuchs es denn geklaut? Will er es wie üblich -
fressen? Oder will er es etwa bei sich aufnehmen und pflegen, damit es
vielleicht mal große Eier für ihn legt? Zwei Seelen wohnen, ach, auch in
seiner Brust.
Natürlich hängt das Schicksal des bedauernswerten Kükens auch
von seiner eigenen Stärke und Klugheit ab - und von der Unterstützung aus dem
GRÜNEN Stall. Aber: hat schon mal jemand einen Fuchs gesehen, der Eier frißt?
Michael Raetsch