DAS DRESDNER SOZIALE ZENTRUM IST NICHT ZERSTÖRT
- ES ZIEHT UM!
Geräumt - aus der Traum?
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Die Zeit der großen Hausbesetzungen scheint
lange her zu sein. Doch die Probleme von damals gibt es heute noch genau so:
geldgierige Immobilienbesitzer auf der einen Seite, kein billiger Raum für
Initiativen und Mitmenschen auf der anderen. Wer kein Geld hat, hat eben Pech.
Uta Knischewski, Red. Dresden - Auch in der
Dresdner Neustadt, heute schon fast komplett zum noblen Kneipenviertel saniert,
gibt es noch einige Häuser, die seit Jahren Leerstehen und vor sich hin
gammeln. Weil es sich bei den aus Besitzersicht lausigen Preisen auf dem
sogenannten Wohn- und Gewerbemarkt im Moment nicht lohnt zu sanieren. So auch im
Vorder- und Hinterhaus am Martin-Luther-Platz 6. Durch das Dach regnete es seit
langem rein, die Fenster wurden nach und nach eingeschlagen. Hausbesitzer
unbekannt.
Deshalb hat Anfang August 2004 eine kleine Gruppe von aktiven Menschen damit
begonnen, sich um die Häuser zu kümmern. Seitdem machten die Instandbesetzer
Schritt für Schritt Teile der Gebäude wieder nutzbar: reparierten Fußböden,
beräumten Schutt, und strichen die Wände. Mit viel Liebe und Kraft. Im
Erdgeschoss des Vorderhauses entstand so ein offener Veranstaltungsraum, nutzbar
für alle Initiativen und Gruppen. Im ersten Stock fand der Umsonstladen Platz,
der sein früheres Domizil im August wegen einer unkooperativen Hausverwaltung
aufgeben musste. Hier konnten Menschen brauchbaren Kleinkram wie Geschirr, Bücher
und Kleidung abgeben. Und wer etwas suchte, nahm es einfach mit. Ohne Tausch und
ohne Geld, aber in einer netten Atmosphäre. Im Laufe der vier Stunden, die der
Umsonstladen montags und mittwochs geöffnet hatte, nutzten jeweils etwa vierzig
Menschen das Angebot: trotz fehlender Heizung und nur düster beleuchtet mit
Lampen, die durch Autobatterien mit Strom versorgt wurden. Die noch vorhandene
Stromleitung hatte zuvor das städtische Stromversorgungsunternehmen gesperrt.
"Der Zuspruch zum Umsonstladen bestätigt uns in unserer Arbeit. Wenn
alles gut geht, so werden wir demnächst öfter aufmachen." meinte Paul,
einer der Instandbesetzer, noch im September. Nach und nach wurde die Gruppe größer.
So haben seit zwei Monaten zehn, vorher teils obdachlose junge Menschen
selbstverwalteten Wohnraum gefunden. Aus einer kleinen Idee, die am Anfang
stand, hat sich also schnell mehr entwickelt: die Idee eines Sozialen Zentrums.
"In den Räumen der Häuser haben wir begonnen, damit zu experimentieren,
einen Freiraum vom kapitalistischen Alltag zu schaffen. Hier soll die Utopie
einer anderen, freieren Gesellschaft konkret werden." sagt Paul. Auf die
Frage, was das Konzept eines sozialen Zentrums für die Initiative denn bedeute,
antwortet Selma: "Es geht darum, unabhängig zu sein, zum Beispiel von
Mietverträgen oder staatlicher Förderung. Es geht darum, einen offenen Raum zu
bieten, einen Raum für alle, der auch ohne Zugehörigkeit zu irgendeiner
politischen oder sozialen Gruppe genutzt werden kann. Ohne Angestellte. Kurzum:
ein Experimentierfeld für Selbstorganisation."
Eigene Entscheidungsstrukturen weiterentwickeln, das Hausplenum weniger
nervig zu machen, den Zugang für neue Leute zu verbessern gehörten ebenso
dazu. Neue Ideen gab es genug: Selbsthilfewerkstätten, Umsonstkino,
Lebensmittelkooperative, Volxküche, selbstorganisierte Bibliothek,
Nachbarschaftsfrühstück, offene Arbeitsräume für Bürgerinitiativen... Diese
Vision war wohl doch zu schön, um so einfach wahr zu werden.
Nur knapp vier Monate ging es gut. Am 22.11.2004 dann erreichte das Haus eine
"Räumungsaufforderung", die eine "kurzfristige Sanierung"
ankündigte. Bis zum 30.11.2004 sollten die Projekte die Häuser verlassen haben
- in einer Frist von 8 Tagen!
Benachrichtigt wurde der Eigentümer, eine süddeutsche Immobilienfirma,
aller Wahrscheinlichkeit nach von der Dresdner Polizei, der das muntere Treiben
am Martin-Luther-Platz schon lange ein Dorn im Auge war. Das allein lässt an
einem ausgeprägten Interesse des Besitzers an den Häusern zweifeln. Das angekündigte
Sanierungsvorhaben wirkte in Anbetracht der hereinbrechenden Winterzeit noch
unglaubwürdiger. Laut "Räumungsaufforderung" sollte eine mögliche Räumung
eine "ordnungsgemäße weitere Nutzbarkeit" herstellen. Eine weitere
Nutzbarkeit war auch im Interesse der gegenwärtigen NutzerInnen: schließlich
haben diese die Häuser auch ohne Auftrag des Besitzers provisorisch
instandgesetzt und -gehalten. "Wir können und wollen die Häuser nicht zum
30.11. räumen. Weil dann einige Leute wieder auf der Strasse sitzen würden.
Weil der Umsonstladen auf Raumsuche gehen müsste. Weil die Räume wieder leerstünden
und es das Aus für beginnende Projekte bedeuten würde. Wir wollen also erst mal
drinbleiben." meinte Selma und hoffte auf einen begrenzten Nutzungsvertrag
mindestens bis zum Frühjahr. Doch schon am Morgen des 1. Dezember wurden die Häuser
geräumt. Polizei, Ordnungsamt und die Immobilienfirma müssen also gemeinsam
geplant haben. Riesige Müllcontainer wurden aufgestellt und alles greifbare
Mobiliar sowie die eilig herausgerissenen Fenster und Türen verschwanden darin.
Nach Verhandlungen konnte zumindest das Umsonstladeninventar gerettet und bei
befreundeten Initiativen untergestellt werden. Wesentlich schlimmer erging es
dem Wohnprojekt. Neben der sinnlosen Verwüstung drohen nun auch noch einigen
BewohnerInnen Gerichtsprozesse.
Doch auch von einer gewaltsamen Räumung wollen sich die BesetzerInnen nicht
einschüchtern lassen: "Wir geben nicht auf. Leerstehende Häuser gibt es
genug" bekräftigt Paul. Mitglieder des Stadtrates boten Unterstützung bei
der Haussuche an. Allerdings wird die Stadt bei der derzeitigen Haushaltslage
nichts verschenken und Förderungen sind oft vom Wohlverhalten des Empfängers
abhängig. Die ehemaligen BesetzerInnen träumen von einem neuen, noch schöneren,
noch bunteren Haus. Zur Protestdemo nach der Räumung kamen immerhin 120
Dresdner UnterstützerInnen. Aus vielen bundesdeutschen Städten meldeten sich
Leute, einige organisierten schon Soli-Veranstaltungen. Das macht Mut. Ein
Soziales Zentrum wird es in Dresden geben. So oder so.
E-Mail: soziales-zentrum-dresden@gmx.de