KLASSE GEGEN KLASSE
Grundeinkommen jetzt!
Foto: arbeiterfotografie.com
Alle schon eingeharzt? Dieser Jahresbeginn
markiert den Anfang vom Ende des Sozialstaats. CONTRASTE eröffnet ihren
sozialpolitischen Schwerpunkt daher mit der Forderung nach Grundeinkommen. Mit
freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "arranca!" übernehmen wir
einen Artikel von Tom Binger, der dort unter der Überschrift "Jenseits von
Staat und Arbeit - Neue Formen und Visionen des Sozialen" erschienen ist
und in dessen Zentrum die Forderung nach Grundeinkommen steht. Weitere Artikel
beschäftigen sich mit globalen Widerstandsperspektiven (Thesenpapier von medico
international), der Aktion Agenturschluss (Interview aus Kiel) sowie weiteren
Auswirkungen bzw. Analysen des Sozialkahlschlags
(s. S. 7 bis 11).
Von Tom Binger, arranca! - Durch
die kontinuierliche Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkräfte werden
unter kapitalistischen Produktionsbedingungen immer mehr Güter und
Dienstleistungen von immer weniger Arbeitskräften produziert. Dieser an sich
positive Trend könnte zumindest in den hochentwickelten
Metropolengesellschaften materielle Not und den allgemeinen Zwang zur Arbeit
endgültig beseitigen. Tatsächlich geht jedoch die kapitalistische Form der
Reichtumsproduktion einher mit einer wachsenden Verarmung, dem Abbau von
Sozialleistungen, der Kürzung der Renten, der Reduzierung der öffentlichen
Haushalte, der Einschränkung der Versorgung mit öffentlichen Gütern, einer
steigenden sozialen Selektivität des Bildungssystems, der Prekarisierung nahezu
sämtlicher Arbeitsverhältnisse und einer wachsenden Zahl von Arbeitslosen. Mit
dem Abschied von sämtlichen Entwicklungs- und Wohlstandsversprechen verliert
der Kapitalismus auch in den reichen Metropolen seine historische Legitimation.
In einer grundsätzlicheren politökonomischen Perspektive markiert die durch
die technologische Entwicklung bedingte Reduzierung der notwendigen Arbeit auf
ein Minimum eine absolute Schranke in den Verwertungsmöglichkeiten des
Kapitals. Die von Marx in den Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie
prognostizierte Möglichkeit der "Selbstaufhebung des Kapitalismus" rückt
damit in greifbare Nähe. Ohne die Verwertung lebendiger Arbeit verliert das
Wertgesetz seine Gültigkeit. Gleichzeitig schafft die allgemeine Steigerung der
gesellschaftlichen Produktivität die materiellen Möglichkeiten dafür, dass
eine kommunistische Gesellschaft mehr beinhalten könnte als eine gerechtere
Verwaltung des Mangels. Allerdings wird es keinen ökonomischen Automatismus
beim Übergang zu einer anderen Vergesellschaftungsform geben. Ohne die
"wirkliche Bewegung zur Aufhebung der bestehenden Verhältnisse", die
Marx und Engels im Manifest mit dem Kommunismus identifiziert haben, kann die
Krise der kapitalistischen Verwertung auch in einem allgemeinen Zerfall des
Sozialen und einer zügellosen Eskalation der inneren und äußeren Gewaltverhältnisse
enden.
Der entscheidende Ansatzpunkt für die Entwicklung gesellschaftlicher
Alternativen ist die Auflösung der materiellen Grundlagen der kapitalistischen
Arbeitsgesellschaft. Für die von der herrschenden Politik forcierte
Aufrechterhaltung eines allgemeinen Zwangs zur Arbeit gibt es keinerlei
materielle Notwendigkeit mehr. Vollbeschäftigung auf der Basis von Lohnarbeit
ist weder wünschenswert, noch beim erreichten Produktivitätsstandard überhaupt
jemals wieder realisierbar. Lohnarbeit kann nicht länger der Maßstab für eine
vernünftige materielle Absicherung der Einzelnen und der Schlüssel für eine
Teilhabe am allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstand sein.
An die Krise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft knüpfen politische
Konzepte mit Alternativen zum neoliberalen Umbau des Sozialstaates an, wie sie
in den letzten Monaten vom Internetforum links-netz, der Bürgerrechtsorganisation
Komitee für Grundrechte und Demokratie und der medizinischen
Hilfsorganisation medico international vorgelegt wurden. (1)
Sie propagieren ein unabhängig von Lohnarbeit garantiertes Mindesteinkommen
und den Ausbau einer sozialen Infrastruktur, mit einem erweiterten Angebot an öffentlichen
Gütern und Dienstleistungen. Dadurch soll für alle Menschen eine vernünftige
Grundsicherung garantiert und der allgemeine Zwang zur Arbeit endgültig beendet
werden. Erst unter diesen Bedingungen könnte sich die ganze Fülle an
nicht-marktförmigen, aber gesellschaftlich nützlichen und weniger entfremdeten
Tätigkeiten tatsächlich entfalten. Wenn sich "die kapitalistische Markt-
und Konkurrenzgesellschaft" tatsächlich "historisch überlebt
hat" (2), dann kommt es jetzt darauf an, neue Formen der Vergesellschaftung
jenseits von Staat und Markt zu entwickeln, die ein besseres Leben für alle ermöglichen.
Fortsetzung auf Seite 7