WEGE AUS DER EXKLUSION
Interkulturelle Gärten
"Die Geschichte der neuen Exklusion
beginnt bei und mit den Flüchtlingen, das Asyl-, das Flüchtlings- und Ausländerrecht
war und ist ihr Exerzierfeld, dort wurden Rechtsverkürzung, Leistungsverkürzung,
Ausgrenzung erstmals ausprobiert und praktiziert. Bei den Flüchtlingen wurde
die Politik der Entsolidarisierung eingeübt, Opfer waren die Schwächsten der
Schwachen. Seitdem folgen die anderen Schwachen."
Stiftung Interkultur - Heribert Prantl, Chef des
Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung zeigt in seinem neuen Buch
"Kein schöner Land" auf, wie unwürdig der deutsche Staat mit Flüchtlingen
und Asylsuchenden umgeht und verweist zugleich darauf, wie wichtig es gerade für
Ausgegrenzte ist, nicht vollständig abgeschnitten zu sein von ihren Fähigkeiten,
ihrer Kreativität und ihren vielfältigen produktiven Potenzialen. Das gilt für
MigrantInnen, die ihre Produktionsmittel, ihre sozialen Netzwerke und ihre
vertraute Umgebung verlassen haben, ebenso wie für eine wachsende Zahl von
Einheimischen.
Integrationspotenziale bieten Projekte mit ressourcenorientiertem Ansatz der
Eigenversorgung und Eigeninitiative wie zum Beispiel Interkulturelle Gärten. In
diesen Projekten zeigt sich deutlich, dass Tätigkeiten wie der Anbau von Obst
und Gemüse für den eigenen Bedarf, die Selbstorganisation von Deutschkursen
oder die Entwicklung von interkulturellen Bildungskonzepten weit über den
materiellen Nutzen der jeweiligen Aktivitäten hinaus Bedeutung haben: Die
aktive Gestaltung der eigenen sozialen Umgebung hilft den MigrantInnen zum
einen, sich selbst sozial und identitär in der neuen Umgebung wiederzufinden.
Zum anderen leistet sie einen bedeutenden Beitrag zur Zivilgesellschaft. Die
Dynamik der Aneignung des Vorgefundenen über das Aktivieren und Fruchtbarmachen
der mitgebrachten Kompetenzen führt zur Entstehung eines neuen sozialen Raums
des "Dazwischen", in dem sich die moderne Migrationsgesellschaft immer
wieder neu herstellt.
Zweifellos sind Interkulturelle Gärten keine "Modellprojekte" oder
Patentlösungen für Desintegrationsprobleme in modernen (Einwanderungs-)
Gesellschaften. Selbsthilfe allein wird die Folgen einer neoliberalen Politik
wie Armut oder Kriminalität kaum auffangen können und vermag nicht originäre
Aufgaben des Staates wie die Gewährleistung von sozialer Gerechtigkeit zu
substituieren.
Dennoch: Das Zusammenspiel mehrerer Faktoren macht die Interkulturellen Gärten
zum privilegierten Ort der Produktion inter- oder transkulturellen Wissens. Die
praktische Ebene der gärtnerischen und handwerklichen Arbeiten schließt auch
das Teilen und Organisieren von Raum-Zeit und die kulturelle Repräsentation und
Reflexion des "Eigenen" gegenüber den jeweils anderen Kultur- bzw.
Sinnzusammenhängen ein.
Dieses öffentlich stattfindende und daher auch (zumindest mikro-)politisch
bedeutsame Spiel kultureller Repräsentation gibt den beteiligten kulturellen
Gruppen die Möglichkeit des Bergens ihrer eigenen kulturellen Besitztümer, die
nun in Prozessen des Vermittelns, Verhandelns und Anerkennens in Beziehung zu
anderen gesetzt werden. Die hier vollzogene Bewegung ist also - und das ist
signifikant - eine doppelte: Zum einen sind bei den beteiligten Akteuren
Prozesse des Bewahrens und der Abgrenzung ihrer eigenen kulturellen Identität
zu beobachten. Andererseits geht damit eine reflexive Verortung dieser eigenen
kulturellen Position in einer interkulturellen "Landkarte" einher. Es
scheint, dass genau diese Dialektik des Wieder-(Er-)Findens und der Neuverortung
einen höchst effektiven Lernmechanismus von Selbst- und Weltaneignung in Gang
setzt. Dass dieser die intelligentere Alternative zu den eindimensional
argumentierenden Leitkulturvisionen darstellt, liegt auf der Hand.
Dieser CONTRASTE-Schwerpunkt vermittelt Einblicke in Geschichte und Alltag
Interkultureller Gärten und die vielfältigen Aufgabenfelder der Stiftung
Interkultur. Er dokumentiert das Konzept der Interkulturellen Umweltbildung und
zeigt auf, welche Antworten Interkulturelle Gärten auf alltägliche Praktiken
des Rassismus zu geben in der Lage sind.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10
SCHWERPUNKTTHEMA
Überblick: Salbei für die Seele
Seite 7
Die Münchener Gärten für Kulturen
Seite 8
Internationale GärtnerInnen in Dessau
Seite 8
"Wir sind Deutsche, aber keine echten" - Interkulturelle Gärten
als Sozialräume des Empowerment
Seite 9
Interkulturelle Umweltbildung
Seite 10
Forschungsnetzwerk Interkulturelle Gärten
Seite 10