Monatszeitung für Selbstorganisation
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GLOBALE GESUNDHEIT UND GEISTIGES EIGENTUMWarum Patente krank machen
Von Thomas Gebauer, medico # Das gegenwärtige System zur Forschung und Entwicklung neuer Medikamente versagt dort, wo es um die Gesundheitsbedürfnisse von Millionen nicht zahlungskräftiger Menschen geht. Im Rahmen der Kommerzialisierung und Marktöffnung von Gesundheitsfürsorge, die durch internationale Institutionen und Verträge global betrieben wird, ist auch die Forschung, Entwicklung und Produktion von Medikamenten einer radikalen Privatisierung unterworfen. Das geschieht vor allen Dingen durch die forcierte Globalisierung des Patentrechts. Auf allen großen Gipfeltreffen von Politikern und Wirtschaftsverbänden steht das Thema »Schutz von Innovation« ganz oben auf der Agenda. So auch auf dem G8-Treffen der dominanten Länder im deutschen Heiligendamm im Juni 2007. Neben wohlfeilen Worten über die Notwendigkeit von weltweiter Armutsreduktion steht unwidersprochen die Behauptung, dass es nötig ist, die geistigen Eigentumsrechte global zu standardisieren und zu verschärfen. Und es klingt einleuchtend, wenn Politikerinnen wie Frau Merkel davon sprechen, dass in modernen »Informationsgesellschaften « nur über die Kontrolle von Wissen Einkommen und Existenz zu sichern sei. Doch was wie eine ökonomische Zwangsläufigkeit erscheint, resultiert aus der neoliberalen Umgestaltung der Welt. Zug um Zug ist öffentliches Wissen privatisiert und sind essentielle Sphären des Lebens wie Gesundheit, Ernährung oder Biodiversität handelspolitischen Strategien unterworfen worden. So liegt der eigentliche Haken an der geforderten »Harmonisierung des Patentschutzes« darin, dass dem Rest der Welt ein System aufgenötigt werden soll, das sich im Sinne des Allgemeinwohls längst als untauglich herausgestellt hat. Erforscht wird nämlich nur, was eine zahlungskräftige Kundschaft findet. Auf paradoxe Weise schließt eine Gesundheitsforschung, deren Anreiz alleine die Aussicht auf ein Patent ist, genau jene Menschen vom Zugang zu Arzneimitteln aus, die sie am dringendsten benötigten. Nicht Mittel gegen Tuberkulose befinden sich gegenwärtig in den industriellen Forschungspipelines, sondern »Lifestyle-Präparate« gegen Haarausfall oder Dickleibigkeit. Ohne eine grundlegende Änderung des bestehenden Forschungsmodells werden künftig eher Arzneimittel für Katzen entwickelt, als Impfstoffe gegen HIV/AIDS. Dennoch sollen die Weichen für mehr und schärfere Patente gestellt werden. Selbst das 1994 beschlossene internationale »Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums« (TRIPS-Abkommen), von dem der ehemalige Chef-Ökonom der Weltbank Joseph Stiglitz sagte, dass mit seiner Verabschiedung »Tausende von Menschen in den ärmsten Ländern zum Tode verurteilt« wurden, geht der Achse Washington-Berlin offenbar noch nicht weit genug. Wie prekär aber bereits die bestehenden Regelungen sind, zeigen die juristischen Auseinandersetzungen um Pharma-Patente, die weltweit entbrannt sind: »Novartis« klagt gegen das indische Patentrecht. »Abbott« droht Thailand mit Arzneimittelboykott, wenn das Land seine Zwangslizenzen für AIDS-Medikamente nicht zurückzieht. Und »Pfizer« klagt auf den Philippinen gegen Kosten reduzierende Parallelimporte. Schon heute ist absehbar, dass jede weitere Verschärfung des Patentschutzes nur dazu führen wird, weitere Menschen vom Zugang zu wirksamen Medikamenten auszuschließen. Doch Patente zementieren nicht nur Armut und Abhängigkeit, sie hemmen auch die Innovation selbst. Bekanntlich wird Wissen immer weniger von isoliert arbeitenden Forschern produziert, sondern resultiert aus der Zusammenarbeit global vernetzter universitärer und privater Forschungseinrichtungen. Solche offenen Prozesse werden durch Datengeheimhaltung und das aberwitzige Wuchern von Schutzpatenten massiv behindert. Nicht zuletzt darin liegt der Grund, warum zwar die Forschungsaufwendungen wachsen, der Output aber mehr als mager ist. Immer mehr Geld geht für die Finanzierung von Anwälten und Lobbyisten, für Gerichtskosten und Marketing drauf. Es ist höchste Zeit für politisches Handeln. Dabei ist daran zu erinnern, dass die größten gesundheitlichen Fortschritte nicht mit Blick auf Eigentumsrechte gemacht worden sind. Denn nicht Innovation um jeden Preis ist das Ziel, sondern Innovation, die auf öffentliche Bedürfnisse antwortet und allen zugänglich ist. Gefordert ist die Entwicklung eines Konzeptes von »Essentialität«, das Arzneimittel und andere unentbehrliche Bereiche der Daseinsvorsorge als öffentliche Güter begreift und prinzipiell vom Patentschutz ausnimmt. Dabei könnten alle gewinnen. Nur die Pharma-Industrie müsste vielleicht etwas abgeben. Angesichts von sagenhaften 18 Prozent Eigenkapitalrendite nach Steuern sollte sie das verkraften. Schwerpunktthema Seite 7 bis 10 |
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