Aus CONTRASTE Nr. 211 (April 2002)
DIE KOMMUNE-INFO-TOUR 2002 AN DER OSTSEE UNTERWEGS
"Zwischen neu und wieder"
Foto: umbruch-bildarchiv
"Manchmal entsteht trotzdem etwas. Eine
Siedlung
für einige hundert Menschen aufzubauen, ist heute
sofort (in drei, vier Jahren) machbar. Ob das aber
eine Ablösungsstrategie vom Kapitalismus sein kann,
ist fraglich. Dieser verträgt sehr viele
Gemeinschaften in Nischen. Die Gemeinschaftsprojekte können
also höchstens ein wichtiges
illustratives Element einer breiteren Bewegung sein,
die es noch zu definieren gilt. Gegenüber den etwas
diffusen Projekten des Dritten Sektors haben die
Gemeinschaftsprojekte den Vorteil, dass sie autonom
bestimmte Räume bieten, eigentliche Kerne
alternativen Lebens."
(aus: P.M., Subcoma. Nachhaltig Vorsorgen für
das
Leben nach der Wirtschaft, Zürich 2000)
Leh von den Zorrows, Berlin - Satte 130 Jahre,
wenn ich von
der Gründung der Pariser Kommune 1871 rechne, oder
30 Jahre nach den kommunitären Aufbrüchen der
1968er, die sich "ab auf's Land" begaben, blüht ein zartes
Pflänzlein abseits des mainstreams. Abseits also von
Psychokommunen, Befindlichkeitsseminaren, Esoterik-Messen,
Come-together-events und anderen hochmodernen
Ereignisformaten - mit denen zum Teil satt Geld gemacht wird.
Dieses zarte Pflänzlein hat mittlerweile
schon 13 Jahre auf dem Buckel und es hat auch einen Namen:
"Netz der linken, politischen Kommunen und Projekte". Dieses
Netz gibt seit 1990 einen Rundbrief heraus,
die sogenannte "Kommuja" (im zwei-monatlichen
Rhythmus), und es finden jährliche Kommunetreffen
statt (1. überregionales Treffen auf der Burg Lutter im
Frühjahr 1989), immer wechselnd bei einem der Projekte.
Eine weitere Errungenschaft dieses Netzes sind die seit
Mitte der 90er Jahre stattfindenden Kommune-Infotouren. Bis
zu 10 Reisende touren mit Informationsveranstaltungen von Ort
zu Ort, erzählen und berichten von ihren Erfahrungen und
bieten gleichzeitig einen Ansatzpunkt in der Öffentlichkeit -
für interessierte Einzelne, für neugegründete Projekte, für politische
Initiativen -, mit dem Thema in Berührung zu kommen.
Daneben hat die Tour auch Erlebniswert für die Reisenden
selbst, und so ist es kein Wunder, dass aus den bestehenden
Kommunen das Reiseinteresse groß ist.
In diesem Februar war die Tour entlang der Ostsee zu
Besuch (3. bis 10. Februar), von Templin in der Uckermark bis
nach Flensburg kurz vor Dänemark.
Ein Blick hinter die Kulissen der Tourproduktion
So eine Tour braucht etwa ein halbes Jahr Vorlauf, bis
alle Termine in den Städten sowie die Übernachtungen
und technische Ausrüstung geklärt sind. Dieses Mal reisten
neun Leute aus sieben Projekten. Wir haben uns an
drei Wochenenden in Kassel, Niederkaufungen und Berlin
getroffen, zur Erarbeitung des Tourkonzeptes und um
uns als Reisende miteinander bekannter zu machen. Der
Werkstatt-Verlag in Göttingen sponsorte die Tour mit
dem Druck der Veranstaltungsplakate, eine Kaufunger
Kommunardin und zugleich Mitarbeiterin des Freien Radio
Kassel half tatkräftig bei der Produktion einer Ton-Dia-Show,
ein Kasseler Kommunarde machte vorab die
Pressearbeit, Umbruch-Bildarchiv in Berlin war "unser
Büro" und steuerte Fotos bei, der Kommunefond schließlich
besorgte die Vorfinanzierung des ganzen Unternehmens. Wir
Reisenden selber entwickelten dann in unserem "Basislager" in
der Kommune Feuerland am Wochenende vor Tourbeginn gemeinsam
einen Sketsch, der
unsere Veranstaltungen eröffnen sollte. Als alles Equipment
und die neun TouristInnen in zwei Autos verstaut
waren, konnte der Wanderzirkus starten.
Internationales Kultur- und Wohnprojekt in
Greifswald
Foto: Poschmann
Unterwegs
Erste Station war das "Multikulturelle Zentrum" in Templin
(3.2.), danach das "Internationale Kultur- und
Wohnprojekt" in Greifswald (4.2.), das erst seit letzten
November mit viel jugendlichem Elan von Leuten aus
dem Uni-Bereich aufgebaut wird. Unterwegs nach Rostock
machten wir für einen Nachmittag halt in der Kommune Ulenkrug
(5.2.). Abends gastierten wir im Rostocker Antifa-Cafe
"Median" und tagsdarauf in Wismar
(6.2.) im "Tikozigalpa". Die Olgashof-Kommune war
für einen Tag (7.2.) notwendiger Ruheplatz. Über das Lübecker
"Arbeitslosenzentrum" (8.2.) und den "Kulturladen
Leuchtturm"
in Kiel (9.2.) endete unsere Tour im
Flensburger "Kühlhaus" (10.2.). Die Wulfshagener Hütten nahe
Kiel und die Kommune Barkelsby bei Eckernförde waren unsere
weiteren Nachtquartiere.
Die Info-Tour gastierte im Rostocker Antifa-Cafe
"Median"
Foto: Poschmann
Zehn Tage randvolles Programm, und nicht nur während der
Veranstaltungen drehte sich alles um kollektives
Leben. Denn auch unsere GastgeberInnen waren hinterher jedes
Mal erfrischend neugierig und mitteilsam.
Zehn Tage voll mit kleinen Einblicken, was so läuft an
den verschiedenen Plätzen. Aus der Fülle hier zwei Stationen,
an denen unsere "Kommune-Infotour" nun ihrerseits von den
gastgebenden Kommunen "informiert"
wurde. Zwei meiner persönlichen "highlights".
Longo Mai ist zurück
Auf dem Weg zwischen Greifswald und Rostock machten
wir Station bei der Kommune Ulenkrug. In Stubbendorf,
irgendwo in der mecklenburgischen Pampa, hat sich
1995 erstmals seit zwanzig Jahren wieder ein Longo
Mai-Projekt in Deutschland niedergelassen. Die "Europäische
Kooperative Longo Mai" hat sich 1972 im Südwesten
Deutschlands gegründet und 1976 das Land verlassen. Zu einer
Zeit, als die staatliche Gewalt mit Rasterfahndung (damals
neu entwickelt!) und Anti-Terroreinheiten (GSG 9) Jagd auf
die RAF und den linksradikalen
Widerstand hierzulande machte, und nicht wie heute
weltweit gegen "das Böse" agiert. Damals wurde den Longo Mais
im Grenzgebiet von Frankreich zu Deutschland
die anarchisch "frei flutendende" Schafherde verbrannt(!).
Das klingt vielleicht nach wüster Revolutionsgeschichte aus
längst vergangenen Zeiten, ist aber leider
immer noch aktuell in der heutigen globalen Kriegseuphorie.
Die Staatslogistik hat nun einfach andere im Visier.
Wir erlebten einen spannenden Nachmittag auf dem
Hof in Stubbendorf, erfuhren etwas vom Engagement der
UlenkrügerInnen gegen den NATO-Krieg in Yugoslavien
und gegen den aktuellen Afghanistan-Krieg. Wir besichtigten
die Wohn- und Wirtschaftsgebäude, bekletterten
die Winterbaustelle des neu zu errichtenden
Gemeinschaftshauses und ließen uns bei einem leckeren
Mittagessen über das Leben der 30-köpfigen Großkommune
berichten.
Im Longo-Mai-Netz sind insgesamt 12 Gruppen
zusammengeschlossen, einzelne KommunardInnen rotieren
zwischen den verschiedenen Projekten. Die meisten
Gruppen leben in Frankreich oder in der Schweiz, einzelne in
Österreich, Costa Rica, der Ukraine und eben auch
wieder in Deutschland. Ein Büro in Basel fungiert als
Koordinationsstelle. Einen originellen Gedanken, vielleicht
eine Art Zielbestimmung für das Gesamtprojekt, fand ich
im aktuell gültigen "Jahresbericht 1999/2000":
"Es geht uns nicht darum, wieder in mittelalterliche
Verhältnisse zurückzukehren, es geht darum, dass die
sesshafte, zivilisierte Welt vieles von dem ökologischen
Wirtschaften der Nomadenvölker übernehmen muss,
und die Nomaden eine Modernisierung ihrer Zivilisation
dringend brauchen. Es geht darum, die aus den Zusammenhängen
"herausgelöste Ökonomie" (Karl Polanyi)
wieder ins Leben zu integrieren.(..) Longo Mai möchte
weiterhin Freiräume schaffen, um sich - ohne anzuhalten - von
der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft zu
bewegen, wandern zwischen Mensch, Raum
und Zeit, mit oder zu Leuten, die sich gegen die
Welt(un)ordnung wehren." (Jahresbericht, S.7)
Politische Spiritualität
in den Wulfshagener Hütten
Holzwerkstatt Wulfshagener Hüttten
Foto: Katalog
Ein Großprojekt ganz anderer Art war am Ende der Tour
unser Gastgeber. Die Wulfshagener Hütten bei Kiel begreifen
sich als eine "Basisgemeinde". Sie leben als christliche
Lebens- und Arbeitsgemeinschaft nach urchristlichem Vorbild.
Diese 70köpfige Großkommune orientiert
sich an historischen Gestalten wie Franz von Assisi, an
den hutterischen Bruderhöfen und der lateinamerikanischen
Basisbewegung. Sie kommen aus der Friedensbewegung der
achtziger Jahre und siedeln seit 1983 im Großraum Kiel. In
den neunziger Jahren kamen ein Standort
in einem Hausbesetzungsprojekt in Berlin und in einer
Dorfgemeinde in der Ukraine in den Verbund dazu.
Ihren Lebensunterhalt verdienen die Wulfshagener
mit der Herstellung von ökologischem Holzspielzeug
und Möbeln für Kinder. Dazu haben sie einen eigenen
Holzverarbeitungsbetrieb auf ihrem Gelände, in dem,
nach eigenem Bekunden, "alle Menschen guten Willens
einen Arbeitsplatz finden können". Das meint, dass Leute
mit unterschiedlichstem Leistungsvermögen und verschiedenster
Qualifikation dort gleichberechtigt die
Produkte herstellen und vertreiben
können. Nach dem Prinzip, jede(r)
kann alles. Interessant, und mittlerweile erwähnenswert für
linke Strukturen, dass sie vollkommmen auf
den Einsatz von Computertechnologie verzichten.
So faszinierend das alles bei unserem Rundgang wirkte, so
fremd war
für die meisten dann doch der spirituelle Rahmen, der dieser
Gemeinschaft als Mittelpunkt und Bindeglied im Alltag dient.
Glaubwürdig
in jedem Fall und konsequent politisch, dazu angesehen in der
Region.
Und das, finde ich, ist doch nicht wenig in diesen Zeiten.
Jedenfalls hat
sich wieder einmal gezeigt, wie vielfältig die linke
Projektelandschaft
hierzulande immer noch ist.
Die Samstagabend-Performance
("der bunte Abend"), in der wir
ganz selbstverständlich eingeladen
waren, Teile unseres Veranstaltungsprogrammes (Sketch und
Ton-Dia-Schau) aufzuführen, war mit knapp
80 Personen inclusive der zahlreichen Kinder eine der größten
"Veranstaltungen" auf unserer Reise.
Zwischen "neu" und "wieder"
Erste Einsichten
am Ende der Tour
Die Infotour, so unsere einhellige erste Einschätzung am
Morgen danach, war lohnend und erfolgreich. Das bezieht sich
sowohl auf die Einblicke in die Vielfalt und Lebendigkeit der
Kommuneszene, als auch auf das Echo,
das allabendlich auf unseren "Input" kam. Um die 200
Leute kamen zu unseren 7 Veranstaltungen, von den
18jährigen bis zu einer 86jährigen ehemaligen
Genossenschaftsaktivistin.
Bemerkenswert, dass mehrmals Leute auftauchten,
die sich vor Jahren oder Jahrzehnten aus der politischen
Szene zurückgezogen haben, oder überhaupt den kleinfamiliären
Weg der Lebensgestaltung für sich vorgezogen
haben. Und jetzt, da ihre Kinder zu jungen Erwachsenen
herangewachsen sind, machen sich scheinbar einige auf
die Suche und entdecken für sich wieder das Projekt Kommune.
Manche brachten sogar gleich ihre erwachsen gewordenen Kinder
mit (oder umgekehrt?) und waren
hochmotiviert, wieder einmal "was anderes zu machen,
als nur allein zu Hause zu sitzen".
Dass ein Teil der Jüngeren, bei ihrem Neueinstieg ins
Berufsleben oder auch darüber hinausgehenden Lebensplanungen,
für sich neu Kommune entdecken, bzw.
nach Kollektivbetrieben oder nach Kommunearbeitsplätzen
anfragten, könnte für einige Projekte, die auch ausbilden
können, sogar neuen "Nachwuchs" bezüglich Zusammenarbeit oder
Mitleben bedeuten.
Zwischen "Info-Tour" und "Los geht's-Festival".
PR-Arbeit des Netzes der politischen Kommunen
Es war nunmehr die 6. Tour, seit wir Mitte der 90er Jahre
mit dem "touren" begannen. Die Struktur unseres Netzes in der
Öffentlichkeit wird sichtbarer und auch die Medien nehmen den
kommunitären Weg zu leben verstärkter wahr. Die Presse
jedenfalls war interessiert wie lange
nicht. Die Touren gehen zu den Leuten und erreichen so
die lokale politische Infrastruktur: Infoläden,
Kulturzentren, Antirassistische Initiativen, Antifa-Gruppen,
Anti-Akw/Castorsowie die Ökobewegung, HausbesetzerInnen
und BewohnerInnen von Wagenplätzen. Die politische
Szene also, von der wir ein Bestandteil sind und die dennoch
eher wenig von der Existenz und der Struktur politischer
Kommunen weiß. Die vorhandenen Kenntnisse
identifizieren leider immer noch unsere Bewegung entweder als
skurril-überlebt oder als esoterisch überformt,
und beides provoziert im politischen Spektrum Distanzierung.
Dass nach wie vor AktivistInnen gemeinsames Leben und/oder
kollektives Arbeiten als ihre Form von Widerständigkeit
begreifen und manch Junge die "Kommune" als Neuorientierung
für sich ansehen, kann vielleicht den SkeptikerInnen in den
eigenen Reihen entgegengehalten werden. Ob das allerdings im
Trend liegt
oder nur ein zufälliger Eindruck ist, bleibt natürlich
vorerst unbeantwortet.
Es gibt ja noch eine andere Form der kommunitären
Öffentlichkeitsarbeit, mit umgekehrtem Ansatz, nämlich
der Sammlung von interessierten Einzelpersonen oder
Initiativgruppen zu gegenseitigem Austausch an einem
Ort: Das "Los Geht's Festival", das dieses Jahr vom 16. bis
zum 20. Mai auf dem Gelände der Kommune Niederkaufungen
stattfinden wird. Es ist ausdrücklich ein gemeinsames
Vorhaben der Kommunebewegung. Ziel ist es, den
Kommunegedanken zu verbreiten, unseren eigenen
Kommunen neue Leute zu vermitteln sowie vor allem
eine Starthilfe zur Gründung neuer Kommunen zu geben. Nach
drei Malen ist auch dieses Ereignis auf dem
Weg, sich in vielen Köpfen als lohnendes Ereignis
festzusetzen. Wer näheres zu dieser Veranstaltung wissen
möchte, natürlich auch, wenn Unterstützung angeboten werden
kann, wende sich an die Kommune Niederkaufungen oder an die
Villa Loccomuna in Kassel.
Vielleicht bis bald in den Kommunen oder bei Revolten.
Kontakte:
Info Tour Reisende:
Finkenburg bei Bremen, Tel. (0 42 04) 14 97
mail: oeverblick@verden-info.de
Feuerland-Kommune in der Uckermark,
Tel. (03 97 42) 8 16 11
mail: kommune.feuerland@t-online.de
Kommune Liberwal im Wendland,
Tel. (0 58 48) 12 88
mail: hans@mind.de
Kommune Buchhagen im Weserbergland,
Tel. (0 55 33) 14 00
mail: kombu@t-online.de
Olgashof-Kommune bei Wismar,
Tel. (0 38 41) 79 33 37
mail: kurzbein@aol.com
Kommune Niederkaufungen,
Tel. (0 56 05) 8 00 70,
mail: kommune@t-online.de
Wohnprojekt Zorrow aus Berlin,
Tel. (0 30) 494 78 04
mail: leh@zorrow.de
Erwähnte Gruppen:
Longo Mai Kommune Ulenkrug,
Tel. (03 99 59) 2 38 81
mail: ulenkrug@t-online.de
Basisgemeinde Wulfshagener Hütten,
Tel. (0 43 46) 36 80 10
Kommune Barkelsby, Tel. (0 43 51) 75 25 85
Villa Loccomuna in Kassel,
Tel. (05 61) 92 00 94 929,
mail: steffen.andreae@gmx.de
Bericht zur Infotour 2000
Die politischen Kommunen wieder
mal auf Reisen durch sieben Städte
Der Utopie dicht auf den Fersen ?
"der Mensch ist nichts
anderes als das, wozu er sich macht. ... Und wenn wir sagen, der Mensch ist für
sich selbst verantwortlich, wollen wir nicht sagen, er sei verantwortlich für
seine strikte Individualität, sondern für alle Menschen."
Jean-Paul Sartre, 1946
Zum fünften Mal reiste sie durch
Deutschland, die Info-Tour des Netzes der politischen Kommunen und Projekte.
Diesmal vom 3. bis 13. November 2000 nach Dresden, Leipzig, Erfurt, Schweinfurt,
Nürnberg, Regensburg und München, unter dem schier endlosen Einladungstitel:
"Der Utopie dicht auf den Fersen ? - Gemeinsam leben, kollektiv arbeiten,
politisch handeln"
Leh, Umbruch-Bildarchiv Berlin -
Und es gibt ein paar Neuigkeiten, die ich für wert achte, der geneigten
LeserInnenschaft bekannt zu machen:
Der Osten ist Kommune-lebendiger
als Wessis denken
"Der Osten ist doch voll
braun!" Was bekanntlich noch nichts über den Westen sagt!. "Da macht
Ihr sowieso keine Schnitte mit dem Thema Kommune". Und an die Wessis unter
uns: "Verplappert Euch bloß nicht mit "Sozialismus" und
so". Und: "Redet bloß nicht von den "GenossInnen", das hören
die da nicht so gerne".
Solche und andere gut gemeinten
Ratschläge verfehlten anfangs auch bei uns nicht ihre Wirkung. Und als sich
auch noch OstlerInnen aus der Vorbereitung der Tour zurückzogen, war erst
einmal eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren. Immerhin blieben auch welche, so
dass drei von uns acht reisenden KommunardInnen Ost-Affinität vorweisen
konnten: Ein dort Lebender, eine bis zum Mauerfall ostseits der Grenze
Aufgewachsene sowie ein ostseits Aufgewachsener und noch dort Lebender.
Immerhin! Eine weitere, im Osten lebende Kommunardin musste leider kurz vor
Fahrtantritt noch absagen. Sonst hätten wir vier von neun Osterfahrenen
vorzuweisen gehabt. Das ist doch fast quotiert zu nennen.
Aber kommen wir zur Auswertung
unseres Ostauftrittes. Drei gut, bis sehr gut besuchte Veranstaltungen mit
insgesamt 120 Leuten und durch die Bank mit reger Diskussionsbeteiligung.
Überall spürbar und ausdrücklich
gefragt: Wie kommt in Kommunen das Individuum zum Zuge? Ist es respektiert, hat
es Rückzugsräume? Werden Ungleichheiten von Personen angemessen berücksichtigt
und geachtet, ob altersbedingt, finanziell oder krankheitshalber, bis hin zu
Pflege- und Betreuungsfällen?
Mir waren die Häufung und die
Wiederkehr dieser Fragestellungen auffällig, weil ich sie so nicht erwartet
hatte und mindestens lange Jahre diese Themen in politischen Szenen keine große
Rolle gespielt haben. Die Frage nach der "Individualität" in Gruppen
hat darüber hinaus wohl auch ostmäßig seine unbestreitbare Berechtigung. So
lautete unsere wiederholte und von Herzen kommende Antwort, dass für politisch
links angesiedelte Initiativen die Kollektivität nur auf der Basis der Achtung
des Individuums und seiner/ihrer Bedürfnisse möglich wird. Das unterscheidet
sie nämlich von all denjenigen "Ismen", die die Unterwerfung von
Personen und Persönlichkeiten fordern, und es macht wachsam gegenüber
nazistischen, sektenhaften und faschistischen Gesellschaftsentwürfen, die damit
hausieren gehen: Du bist nix - die Gruppe alles!
Im Dresdener AZ Conni, unserem
Veranstaltungsauftakt, war die örtliche bzw. regionale Verankerung für meine
Begriffe am spürbarsten. Hier waren zu unserem Abend auch ausdrücklich Aktive
von sächsischen Projekten eingeladen worden und mit dem Liebethaler e.V. auch
anwesend. Da der Abend als Forum strukturiert war, bot er - auch methodisch gestützt
- viel Platz für Erfahrungsaustausch. In der Gruppe, in der ich mitdiskutierte,
kamen die Widerstandsperspektiven von überwiegend sehr jungen DresdnerInnen in
der zunehmend schwarz regierten Sachsenmetropole zur Sprache und es ging über
unterschiedliche Alltagserfahrungen (Ältere - Jüngere; Ossi - Wessi) und um
Hilfe und Beratung für neuentstehende Initiativen.
"LOS GEHT'S-OST" gegründet
Es gab eine andere AG, in der ein
regionales "LOS GEHT'S"-Treffen nach Kaufunger Vorbild für das Jahr
2001 beschlossen wurde, zu dem Initiativen, Aktive und Interessierte aus
Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt sowie aus Polen und Tschechien eingeladen
werden sollen. (Kontakt: Jö Schraube in Dresden fon: (03 51) 89 96 07 09, mail:
J.Schraube@link-dd.cl.sub.de)
Das Bild des kommunebewegten
Ostens zog sich auch durch die weiteren Veranstaltungen in Leipzig am 6.
November und in Erfurt am 7. November. Dazu kam für uns Reisende die herzliche
Aufnahme in den VeranstalterInnen-Milieus, - Sigus e.V. und WohnRaumLeben sowie
den Buchladen König Kurt und das Freie Radio ColoRadio in Dresden, Die "NaTo"
und Freie Schule in Leipzig, sowie den InfoLaden Subotnik, die "Offene
Arbeit" und die Kommune Arranca in Erfurt. Euch allen herzlichen Dank für
die Arbeit, eure Gastfreundschaft und die vielen Anregungen, die wir mitnehmen.
Achtung: Ein Kommunist schläft im
Wohnzimmer ! oder: Diskussionen mit den Kids über Gender und andere Verträglichkeiten
Nicht nur der Osten ist bunter und
kommunebewegter als sein Ruf. Dasselbe lässt sich von den Kids sagen. Die
gelten heutzutage als unpolitisch, loveparade-verseucht und auch sonst allein an
Fun und Amüsement interessiert.
Mein Eindruck auf der Kommunetour
war ein anderer. Die jüngeren Leute, angefangen von 16/17-jährigen SchülerInnen
bis zu Leuten um 25, die einen Job angefangen haben oder sonst auf der Suche
sind nach dem "Gesicht", das sie ihrem Leben geben wollen,
interessieren sich sehr wohl und auch in der Anzahl zunehmend für die Idee und
Praxis der Kommune! Sie wollen irgendwann selber "so was" gründen
oder manche sind gerade dabei es zu tun. Und etwas verallgemeinert (vielleicht
zu optimistisch??) möchte ich behaupten: Die Vereinzelung der
Singlegesellschaft hat ihre schlimmsten Tage hinter sich.
Diese Ansicht speist sich jetzt
nicht allein von meinen Toureindrücken, sondern sie kommt auch aus den
Beobachtungen der Berliner Situation. Hier titelt plötzlich das stadtbekannte
Szenemagazin im Dezember 2000 (Zitty, Nr.25/2000) mit dem Slogan:
"Freundschaft. Alte Werte in einer neuen Zeit". Und was dort an
Anti-Single-Einsichten, sicherlich unter den ökonomischen Bedingungen des
flexibilisierten Arbeitsmarktes, zu lesen ist, einschließlich des hohen Liedes
auf die Gruppe, lässt mich fragen, ob es nicht so etwas wie den Beginn einer
Trendwende des sozialen Alltags signalisiert. Die Tourerlebnisse stützen
zumindest den Eindruck einer gewissen Abkehr der Jüngeren vom Ideal der
"einsamen Unabhängigkeit".
Das wäre dann eine Situation, die
die Linke nicht wieder verschlafen sollte (wie so viele andere), um anschließend
selbstmitleidig über die schlecht gewordene Welt zu jammern. Besser beherzt
auftreten und Mut machen all den Fragenden, die Gruppen und Projekte,
Initiativen und Kommunen gründen wollen! Und es wäre eine Situation, in der
wir auch gefordert sind, Know how und Unterstützung bis hin zu Anschubfinanzen
weiterzugeben, wenn wir gefragt werden.
Auskunftsfähig sollten wir sein!
Dann lassen sich auch kleine
Missverständnisse schnell klären. Wie zum Beispiel dieses, dass Kommune nicht
mit Kommunismus gleichzusetzen ist, - mithin ein in der Jugend-WG übernachtender
Kommunarde der Infotour 2000 auch kein Kommunist war (eher schon
anarchie-verliebt) -, und auch sonst in direktem Kontakt zu der politischen
Kommunebewegung sich manches "aha"-Erlebnis einstellen könnte!
Die Debatte mit interessierten,
jungen Linken anlässlich der Abendveranstaltung in Regensburg geriet für mich
in dem eben beschriebenen Sinn zum Höhepunkte der Info-Reise. Warum? Weil
Einsichten und Erfahrungen fast aller Anwesenden zum Zuge kamen. Und weil der
immer geäußerte Wunsch, auf der Info-Tour nicht nur über unsere Kommune-Szene
zu berichten, sondern auch zuzuhören, was andere für Erfahrungen machen, hier
wieder mal eindrucksvoll als genau richtig bestätigt wurde. Ich hatte das Gefühl,
dass alle Lust auf diesen Gedankenaustausch hatten, und so debattierten wir bis
1.00 Uhr in der Nacht!
Das Gespräch verlief entlang der
brisanten Kante, die zwischen politischem und privatem Handeln verläuft.
Rollenprägungen und Rollenverhalten von Männern und Frauen kamen zur Sprache.
Und wieder die Frage, die oft gestellte, ob in Kommunen nicht doch die
"besseren Menschen" sich sammeln oder, - in der kritischeren Version -, ob sie sich vielleicht nur so fühlen?
Fragen, die wir entschieden
verneinen müssen. Zumal es kein politisches Ziel in linken Projekten sein kann,
den neuen Menschen schaffen zu wollen. Damit beschäftigt sich der rechte
gesellschaftliche Rand und alle Ideologie, die das "Starke, Gesunde und Schöne"
zur Norm für den Menschen machen will. Wir sagen dagegen, dass es unser Verständnis
von Emanzipation ist, Kritikfähigkeit einschließlich von Selbstkritik sowie
Veränderungen und Befreiung zu befördern, sodass am Abbau kleinfamiliärer,
patriarchaler und diskriminierender Lebensverhältnisse gewerkelt werden kann.
Was beispielsweise für einige von uns bedeuten kann, sich nach FrauenLesben und
nach Männern getrennt zu organisieren. Was aber von unseren jüngeren
BesucherInnen schon wieder ganz anders gesehen wurde.
Anyway, die politischen
Konjunkturen in der Szene kommen und gehen, das war vor Jahren nicht anders.
Zwischen Effizienz und Existenz.
Ein Wettstreit zwischen
Kollektiven und Kommunen
Nicht ganz so lang, dennoch
genauso intensiv und erkenntnisfördernd war die Begegnung mit KollektivistInnen
aus der Szene um das Münchener Netzwerk Selbsthilfe. Hier drehte sich am
Schluss des Abends alles um das Thema: Betriebliche Effizienz bzw. überlebens-
und existenzsichernde Strategien von Kollektivbetrieben auf der einer Seite und
den in gleicher Lage befindlichen Kommunen auf der anderen. Beides sind ja die
zwei ungleichen Schwestern der Selbstverwaltungsszene, persönlich und politisch
mit jeder Menge Querverbindungen und doch im Kleingedruckten oft unterschiedlich
organisiert.
Ob ein einzelner Kollektivbetrieb
(eine Schreinerei etwa oder eine Kneipe wie das "Ruffini" oder eine
linke Motorradschrauberei) in der heutigen Zeit der "Neuen Ökonomie"
mit den "alten Idealen" am Markt existieren kann, ob mensch überhaupt
an den Markt gehen sollte, um für die Reichen zu produzieren oder zu
dienstleistern? Ob nicht mehr denn je die Nische zu organisieren wäre, gegen
allen Trend? Oder ob wieder den Armen und Ausgegrenzten das Know how zugute
kommen sollte? Wie die Antworten auf dieselben ökonomischen Fragen in den
Betrieben der Kommuneszene und in Kollektivbetrieben aussehen könnten? Sollten
Finanzschwächen einzelner durch Zusammenarbeit mehrerer Betriebe gemeinsam
angegangen werden? Welchen Anteil darf Staatsknete haben im Budget? Wie können
Junge für die Idee gemeinsamen Wirtschaftens bzw., Gemeinsamen Lebens
begeistert werden?
Sicher war alles nur angerissen
und es wurden keine abschließenden Antworten gegeben. Aber der Eindruck eines
offenen und solidarischen Gedankenaustausches ist manchmal die erhellendere
Variante von Gesprächen. Zumal hier wie überall auf der Infotour ja
Zufallsbegegnungen organisiert werden und nicht etwa kontinuierlicher Dialog
(wie beim "TAK AÖ" bspw.). Spürbar war so etwas wie eine heimliche,
jedoch solidarische Konkurrenz zwischen Kommunen und Kollektiven darüber, wer
von den beiden Schwestern denn nun das ausgereiftere und der neuen Ökonomie
standhafter gegenübertretende Modell des Wirtschaftens vorzuweisen habe.
Auf zu neuen Touren
Als wir am Morgen nach der letzten
Veranstaltung im Münchener "Ruffini" zu einem opulenten Abschlussfrühstück
eingeladen waren (herzlichen Dank für diese schmackhafte Bewirtung!), fiel die
erste Bilanz der Tour 2000 alles in allem positiv aus. Den Reisenden ist es
allemal ein Zugewinn an Erfahrung, verbunden mit einer satten Beigabe Erlebnis.
Den BesucherInnen scheint es auch was zu bringen, wenn wir die Rückmeldungen
und Kommentare zugrundelegen, die uns erreichen. Und die zehn Tage auf Achse
bedeuten jedes Mal die Installierung einer Reisekommune auf Zeit.
So ist es nicht verwunderlich,
dass schon gleich die nächste Tour angedacht wurde. Dann wohl eher gen Norden
in die Gegend von MacPomm und Schleswig-Holstein, mit Abstecher nach Dänemark.
Ihr hört von uns.
Viva la commune sociale.