Aus CONTRASTE Nr. 331 (April 2012, Seite 11)
GEMÜSEANBAU GANZ ANDERS (TEIL 1)
Solidarische Landwirtschaft
Wir, das neue »Rote Rübe«-Kollektiv,
haben unser zweites Anbaujahr hinter uns gebracht und gleich zwei neue Formen
des Gemüseabsatzes ausprobiert, die gleichzeitig doch mehr sind als nur
Vermarktungsmöglichkeiten. Hier ein kleiner Rückblick zur
Landwirtschaftsgemeinschaft. In der nächsten CONTRASTE geht es um den
SelbstErnteGarten.
Vom Gemüsebaukollektiv »Rote Rübe«, Kommune
Niederkaufungen # Die Solidarische Landwirtschaft (SoLawi;
früher als CSA bekannt) ist ein Konzept, das vielleicht sogar als eine
Agrarrevolution durchgehen kann. Es gibt einen Landwirtschaftsbetrieb bzw.
Gärtnerei (oder in unserem Fall zwei), die überlegt, wie viele Menschen sie
ernähren kann. Wenn diese Menschen gefunden sind, bedeutet es, dass diese den
Betrieb finanzieren und dafür einmal wöchentlich das saisonale Gemüse an
Abholstellen geliefert bekommen. Diese Abholstellen teilen sich wiederum mehrere
Menschen, die selbst organisieren, dass jeder mit seinem Gemüse- Anteil
zufrieden ist. So entgehen die GärtnerInnen dem Preisdruck des Handels, können
sozialer, ökologischer und mit sicherem Absatz produzieren. Missernten tragen
alle Beteiligten zusammen und nicht die GärtnerIn allein. Die Mitglieder
bekommen jede Woche frisches, saisonales und regionales Bio-Gemüse und kennen
»ihren« Hof, zu dem sie Vertrauen haben. Und wenn sie Lust haben, können sie
mithelfen und ihr Gemüse beim Wachsen beobachten.
Letztes Jahr im Winter saßen wir mit den Wurzelwerkern
aus der gASTWERKe-Gemeinschaft in Escherode zusammen und planten das nächste
Anbaujahr. Da meinte Jürgen: Juchuhh, jetzt haben wir 60 SoLawi-
TeilnehmerInnen, jetzt können wir unsere 60 und eure 60 Kommunarden
zusammenlegen und eine große Solidarische Landwirtschaftsgemeinschaft machen.
Das war ein guter Plan, fanden wir alle, schmissen unsere Anbauplanung komplett
zusammen und teilten die Kulturen auf. Kurz vor der BieterInnenrunde Mitte Mai,
versuchten wir dann unsere KommunardInnen von unserem Konzept zu überzeugen.
Die hatten ja schließlich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und eigentlich
waren wir ja schon eine Solidarische Landwirtschaftsgemeinschaft in der Kommune.
Die Kommune finanziert den Betrieb, dafür gibt es dann das ganze Jahr über
eine »Gemüseflatrate«. Aber so etwas in Vernetzung mit einer anderen
Gemeinschaft? Geht das gut? Es gab Bedenken, aber wir entschieden, es ein Jahr
auszuprobieren. In der daran anschließenden Reflexion dieses Modells
»Gemeinschaftsübergreifender Vernetzung « wurde von allen Beteiligten große
Zufriedenheit geäußert. Die »Rote Rübe« arbeitet nun eng mit den
»Wurzelwerkern« zusammen, wir ziehen unsere Jungpflanzen die ersten drei
Monate des Jahres in Escherode an, lagern unser Lagergemüse in den dortigen
Kühlräumen, bestellen zusammen Substrat und Saatgut, leihen uns gegenseitig
Maschinen und letztendlich tauschen wir unser Gemüse aus – ganz ohne
Geldfluss. Beteiligt an der Solidarischen Landwirtschaft sind momentan drei
Kommunen (Villa Loccumuna, gASTWERKe, Niederkaufungen), ein Wagenplatz in Kassel
und einige Einzelpersonen bzw. Familien aus Kassel und Umgebung.
Der Finanzierungsprozess verläuft folgendermaßen: Bei
der BieterInnenrunde werden die Betriebskosten für das folgende Jahr
vorgestellt und dann gibt jede/ r ein Gebot ab, was ihr/ihm das Gemüse jeden
Monat wert ist. Wenn die Betriebskosten dabei noch nicht gedeckt werden, »geht
der Hut nochmal einmal herum «. Der Richtwert liegt momentan bei 52 Euro im
Monat. Manche Mitglieder der Landwirtschaftsgemeinschaft zahlen mehr, andere
weniger oder bringen anstatt des Geldes ihre Arbeitskraft ein. Dafür gibt es
dann im Sommer einen großen Haufen regionales, saisonales Bio-Gemüse von den
beiden Gärtnereien und im Winter einen etwas kleineren Haufen. Alle 6 Wochen
findet ein Treffen für alle Mitglieder statt, wo Fragen oder Probleme geklärt
werden können und Raum für Feedback ist. Zwischendurch gibt es auch immer mal
wieder Gemeinschafts-Ernte- oder Einkochaktionen. Wir haben mal ausgerechnet,
dass jeder der beiden Betriebe ungefähr 120 Menschen mit Gemüse versorgen
könnte. Im Moment sind wir bei der Hälfte der Mitglieder. Der Rest der Ernte
wird über Hofläden, Bioläden und Abokisten weiterhin herkömmlich verkauft.
Aber eigentlich möchten wir mehr Menschen, die bei der SoLawi mitmachen.
Menschen, die eine gerechtere und sozialere Landwirtschaft unterstützen und
mittragen, Menschen, die sich an der Frische und Qualität unserer Ernte freuen,
Menschen, die sich um Werbung von neuen Mitgliedern und das Einmachen von B-Ware
kümmern, Menschen, die Alternativen zu unserer wettbewerbsgesteuerten
Überfluss- und Wegwerf-Gesellschaft leben wollen. So können wir, als
GärtnerInnen, uns wieder in Ruhe auf das Wesentliche konzentrieren – nämlich
Gemüse anbauen. Und wir müssen nicht zusehen wie unser nicht-normgerechtes
Gemüse auf dem Acker liegen bleibt.