| |
PRÄAMBEL ZUM »BERLINER FRÜHLINGSPAPIER«,
DAS AUF DER KONFERENZ ERARBEITET WERDEN SOLL
Anders arbeiten - oder gar nicht?!
»Nirgendwo ist geschrieben,
daß eine Arbeit nur dazu da sein soll, einem Arbeitgeber verkauft zu werden,
der sie sich aneignet« (André Gorz)
1. Kongreß »Dritter Sektor«
Vom 23. bis 25 April 1999
treffen sich AkteurInnen aus dem »Dritten Sektor« zu einem gemeinsamen Kongreß:
Selbstverwaltete Projekte, Soziale Betriebe, Bürgerinitiativen,
Erwerbslosengruppen, Tauschringe, Vereine, Selbsthilfe- und Interessengruppen.
Viele arbeiten in selbstbestimmten bzw. selbstorganisierten
Arbeitsformen jenseits von Markt und Staat. Diese Arbeit ist weder an
marktwirtschaftlichen Profitinteressen ausgerichtet, noch
wird sie unmittelbar von Staatsverwaltungen gesteuert. Andere sind -
beispielsweise als Mitglieder von Genossenschaften - täglich mit den Marktzwängen
konfrontiert. Unser Kongreß richtet sich darüber hinaus an alle Menschen, die
nach Alternativen zur Lohnarbeitsgesellschaft suchen.
In Deutschland verbinden
sich drei gesellschaftliche Bewegungen mit dem
»Dritten Sektor«:
| Die genossenschaftlichen Ansätze
der ArbeiterInnenbewegung und der Gewerkschaften, |
| der Selbstverwaltungsansatz aus
der Alternativ- und Frauenbewegung und |
| die Bürgerrechtsbewegungen aus
der alten BRD und der untergegangenen DDR. |
Mit unserem Kongreß wollen
wir die verschiedenen Ansätze und Erfahrungen zusammenführen. Für den Ausbau
der sozialen Ökonomie und die Zukunft der Arbeit
sind wir uns in folgenden Zielen einig:
| dem Recht auf Existenz im Sinne
einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ohne Arbeitszwang, |
| der Umverteilung des
gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten, und zwischen »Nord und Süd«, |
| der gleichen Verteilung und
Bewertung von Arbeit zwischen den Geschlechtern, |
| der Bereitstellung von Möglichkeiten
zur selbstverwalteten und kollektiven Arbeit. |
Diese Vorstellungen des »Dritten
Sektors« wollen wir gesellschaftlich stärken. Wir werden unsere Utopien für
ein anderes Arbeiten weiterentwickeln, konkrete Forderungen erarbeiten und
Strategien diskutieren.
2. Soziale Ökonomie als Chance
Wir wollen die Arbeitsgesellschaft
verändern: Der »Dritte Sektor« ist für uns ein Raum für Erfindung und
Erprobung verschiedener Formen sozialorientierten und nachhaltigen
Wirtschaftens. Wir stellen die alten Bewertungen von produktiver und
unproduktiver Arbeit infrage. Unsere Arbeit orientiert sich stattdessen an
sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Zielen.
Von einer sozialen Ökonomie gehen
Impulse aus für:
| eine Orientierung der Arbeit an
Gebrauchswert und Sinnhaftigkeit statt am Profit, |
| eine demokratische und
selbstverwaltete Organisation von gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten, |
| die Neuaufteilung von Arbeit
zwischen Männern und Frauen und für Geschlechterdemokratie.
|
3. Arbeitsgesellschaft im Umbruch
Das »fordistische
Normalarbeitsverhältnis« war in der Bundesrepublik u.a. geprägt durch
Vollzeitlohnarbeit - für Männer -, monotone Arbeitsinhalte und ökologisch schädliche
Produktion und Konsumtion. Die Einführung neuer Technologien
und die Umwälzung der Arbeitsorganisation steigerte die Produktivität rapide.
Immer weniger Arbeitskräfte werden benötigt, um ständig wachsenden Reichtum
zu produzieren. Ein Zurück zum »fordistischen Normalarbeitsverhältnis«
ist weder realistisch, noch wünschenswert.
Am Ende des Fordismus könnte die Infragestellung der Lohnarbeitsfixierung
durchaus inspirierend wirken. Gleichzeitig nennen wir es Gewalt,
| wenn Jugendlichen der Zugang
zur Arbeitsgesellschaft verwehrt wird, wenn versucht wird, Frauen verstärkt
auf Ehrenamt und Hausarbeit festzulegen, wenn Erwerbslose stigmatisiert, gegängelt,
und nicht selten kriminalisiert werden, |
| wenn Frauen verstärkt in
Niedriglohngruppen gedrängt werden, wenn weltweit die Zahl von Menschen
ohne gesichertes Einkommen und die Zahl von prekären, entwürdigenden
Arbeitsverhältnissen wächst, |
| wenn
Flexibilisierungsstrategien die Beschäftigten zum jederzeit einsetzbaren
Anhängsel der »atmenden Fabrik« degradieren, |
| wenn 16 Jahre konservative
Umverteilungspolitik von unten nach oben den Beitrag von Unternehmen und
Reichen am Gesamtsteuereinkommen ständig gesenkt haben. |
Die Menschen spüren, was es heißt:
Lohnarbeiten zu müssen und nicht Lohnarbeiten zu können!
4. Anders arbeiten oder gar nicht?!
Die rot-grüne
Bundesregierung setzt auf herkömmliche arbeitsmarktpolitische Konzepte (»Wettbewerbsfähigkeit«,
klassische Beschäftigungsprogramme usw.) und verharrt in traditionellen
Vorstellungen von Normalarbeitsverhältnis und Sozialstaat. Wie bei den
Neoliberalen gibt es auch hier starke Strömungen, die die Gewährung von
Sozialleistungen an die Ableistung von Arbeit
koppeln wollen (»workfare«). Der »Dritte Sektor« als billiges Auffangbecken
für die aus dem ersten Arbeitsmarkt »Ausgestoßenen«?
Längst aber haben sich
zahlreiche Zusammenhänge in unserer Gesellschaft aufgemacht, ein
bedarfsorientiertes und nachhaltiges Wirtschaften zu entwickeln
und zu fordern. Diese selbstbestimmte Arbeit wollen wir, genauso wie das Recht
auf Müßiggang. |