GEMEINGÜTER IN BÜRGERiNNENHAND
Was Menschen zum Leben brauchen
Foto: timlewisnm
Immer mehr Menschen wehren sich dagegen, dass
ihnen ihre Lebensgrundlagen genommen werden. Sie fordern das, was
selbstverständlich sein sollte: Die Gemeingüter gehören in die Hand der
BürgerInnen!
Von Brigitte Kratzwald (Graz), Elisabeth Voß
(Berlin) # Aber was ist das eigentlich, diese »Hand der BürgerInnen«? Wie
können natürliche Ressourcen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge so
organisiert werden, dass ihre demokratische Bewirtschaftung abgesichert wird,
dass sie erhalten und gepflegt werden, und dass sie dauerhaft die Bedürfnisse
all derjenigen befriedigen können, die auf sie angewiesen sind?
Öffentlich oder »gemein« oder beides?
Der Begriff »Commons« wird häufig mit »Gemeingüter
« gleichgesetzt. Aber was bedeutet das? Wird »gemein « eher im Sinne von
»allgemein« verstanden, also für »alle« (wer auch immer im Einzelfall dies
sei), oder eher im Sinne von »gemeinsam«, also von einer bestimmten Gruppe
(zum Beispiel genossenschaftlich) genutzt? Welche Rolle spielt darin der Staat,
und wird er seiner Rolle als Sachwalter des Öffentlichen gerecht?
Die Bäume im Stuttgarter Schlossgarten zum Beispiel
gehören der Stadt, immer schon. Die Stadt hat sie aber nicht so behandelt, wie
die StuttgarterInnen sich das gewünscht hätten. S21 schlug dem Fass den Boden
aus. Menschen aller Altersgruppen, auch solche, die in ihrem Leben noch an
keiner Demonstration teilgenommen hatten, befanden: »Es reicht! Wir nehmen nun
die Sorge um unsere Bäume selbst in die Hand«.
Etwas Ähnliches geschah in den Auseinandersetzungen um
öffentliche Dienstleistungen und Infrastrukturen. Plötzlich war sie da, die
Attac AG Privatisierung, aus der GiB – »Gemeingut in BürgerInnenhand«
entstand. Der Slogan bewegte Menschen über den Umkreis von Attac hinaus. In
Österreich entstand eine Gewerkschafts- Kampagne, um ausreichende Mittel für
den Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich unter dem Motto: »Soziales,
Gesundheit, Bildung – unsere Gemeingüter!« Jetzt sammelt das erste
europäische Bürgerbegehren »Wasser ist ein Menschenrecht« Unterschriften.
Potentiale und Risiken
Wie können lebensnotwendige Ressourcen, von deren
Nutzung niemand ausgeschlossen werden darf, in Zukunft organisiert werden? Was
bedeutet es, wenn plötzlich der Begriff des »Öffentlichen« Übergangs- und
Reflexionslos durch »Gemeingüter« ersetzt wird und damit auf die
Commons-Debatte Bezug genommen wird, statt den Erhalt öffentlicher
Dienstleistungen zu fordern? Sind Gemeingüter und Commons das Gleiche? Oder wie
können aus Gemeingütern Commons werden? Welches neue strategische und
politische Potenzial eröffnet sich dadurch, aber auch welche Risiken sind damit
verbunden, in welche Fallen sollte mensch möglichst nicht gehen?
Bei der Zusammenstellung dieses CONTRASTE-Schwerpunkts
sind wir auf immer neue Fragen gestoßen, haben Begriffe reflektiert und um
gemeinsame Definitionen, aber auch um ein gemeinsames Verständnis von
Sachverhalten gerungen. Zum Beispiel scheint der Begriff »Öffentliche
Dienstleistungen«, der in politischen Auseinandersetzungen ganz
selbstverständlich verwendet wird, erst im Zuge der Privatisierungsbestrebungen
öffentlicher Leistungen entstanden zu sein. Das Begriffspaar »Waren und
Dienstleistungen « suggeriert eine Verkäuflichkeit am Markt. Dabei geht es
doch um eine Versorgungssicherheit, die unabhängig sein soll von der
Zahlungsfähigkeit der Einzelnen, weil die Teilhabe am Lebensnotwendigen ein
Menschenrecht ist.
Vieles ließ sich hier nicht klären, aber darum geht
es ja auch gar nicht. Wir können weder allgemeingültige Definitionen noch
Rezepte für die demokratische Bewirtschaftung von Ressourcen anbieten.
Stattdessen haben wir versucht, aus unterschiedlichen Perspektiven und mit
einigen Beispielen die Vielfalt und Widersprüchlichkeit des Themas aufzuzeigen.
Letztlich führt wohl kein Weg daran vorbei, dass die jeweils an einem Projekt
oder einer Aktion Beteiligten miteinander klären, worum es ihnen konkret geht
und was sie jeweils unter welchem Begriff verstehen, und das auch nach außen
deutlich machen. In solidarischen Vernetzungszusammenhängen könnte es eine der
vielen Herausforderungen sein, ohne in konkurrente Bewertungen zu verfallen, die
Vielfalt der unterschiedlichen Herangehensweisen als Bereicherung zu verstehen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10
SCHWERPUNKTTHEMA
Sind öffentliche Güter Commons – und wenn ja, was
bedeutet das?
Seite 7
Infrastrukturen der Daseinsvorsorge Anlageklasse oder
Gemeingüter?
Seite 8
Global umkämpfte Gemeingüter Commons und Solidarische
Ökonomie als politische Herausforderung
Seite 8
Solidarisch G’sund: Plattform für ein öffentliches
Gesundheitswesen
Seite 9
Von Kindern und dem Volksbegehren Energie
Seite 9
Buchbesprechung: Anleitung zum globalen
Ressourcenschutz
Seite 10
Beispiele: Öffentliche Güter, die als Gemeingüter
bewirtschaftet werden
Seite 10