ENERGIE IN BÜRGERHAND
Hase oder Igel:
Die Energiewirtschaft im Spannungsfeld von Rekommunalisierung,
Vergenossenschaftlichung und Monopolisierung
300 Trecker, 50.000 Leute aus der ganzen Republik protestierten am 5. September
gegen die Atomkraftnutzung. Auch Mitglieder
der Genossenschaft »Energie in
Bürgerhand eG« waren zahlreich vertreten
Die Dynamik im Energiesektor ist gewaltig.
Dies gilt nicht nur für die Entwicklung der regenerativen Energien, sondern
auch für die Strukturen der Energieversorgung. Rekommunalisierung und
Vergenossenschaftlichung sind zwei zentrale Trends. Ob dies anhält, bleibt
ungewiss. Atomlobby und die aktuell handelnden politischen Parteien stemmen sich
diesem Trend kräftig entgegen. Umso wichtiger ist es, sich mit innovativen
Organisationsformen für eine nachhaltige Energiewirtschaft intensiv
auseinanderzusetzen. »Energie in Bürgerhand« und die Qualifizierung zum
energiegenossenschaftlichen Projektentwickler, im Schwerpunkt ausführlicher
dargestellt, stehen als Beispiele dafür.
Burghard Flieger, Red. Genossenschaften # Die
deutsche Gesellschaft ist »energiesüchtig«. Sie verhält sich wie ein
Alkoholiker, der glaubt, sein Suchtproblem lösen zu können, indem er in eine
Schnapsfabrik einheiratet. Nötig ist aber zunächst eine »Entziehungskur«.
»Erst dann können wir überhaupt beurteilen, wie viel Energie wir wirklich
brauchen«, so lautet die Diagnose von Hans-Peter Dürr, der im Oktober 80 Jahre
alt wurde. Er ist Mitglied des Club of Rome. Dürr gilt als wichtiger
Impulsgeber der internationalen Umwelt- und Friedensbewegung. 1987 erhielt er
den Alternativen Nobelpreis. Laut Dürr ist eine solare Energiewende nur
möglich, wenn auch die großindustriellen Strukturen der Energieerzeugung
verändert werden. Die Energieherstellung müsse in der Hand der Bürger und
Kommunen, nicht der Großkonzerne oder Staaten liegen.
Beeindruckender Zuspruch
Den bisher größten Schritt in Richtung Bürgerbeteiligung beabsichtigt die
Genossenschaft »Energie in Bürgerhand eG« zu gehen. Mit 100. Mio. Euro und
mehr will sie in die Thüga einsteigen, den fünftgrößten Energiekonzern
Deutschlands. Dieser entsteht, wenn der Verkauf seitens der E.ON tatsächlich
bis Ende des Jahres über die Bühne geht. Die Verkaufsverhandlungen mit zwei
Zusammenschlüssen von Stadtwerken der Integra und der KOM9 sind bereits
abgeschlossen. Zum Einstieg der Energie in Bürgerhand fanden erste
Vorgespräche statt.
Der Einstieg wäre eine Sensation. Damit bekäme die Thüga ein neues
Gesicht. Sie wäre nicht nur in der Hand der Stadtwerke, sondern könnte
bundesweit als Energiekonzern mit bürgerschaftlicher Beteiligung und
nachhaltiger Ausrichtung grundlegende Weichen für eine klimafreundiche
Energiepolitik stellen. Sie würde damit dem Legitimationsdefizit und der
fehlenden Glaubwürdigkeit der großen Vier ein eigenständiges überzeugendes
Profil entgegensetzen. Die Stadtwerke könnten so Bürgernähe überzeugend
demonstrieren.
Der Schwerpunkt startet mit einem Überblick von Jörg Lange über den sich
wandelnden Energiemarkt. Deutlich werden dabei der Trend zur Rekommunalisierung,
aber auch die zahlreichen Hürden, die sich hier auftürmen. Erst vor diesem
Hintergrund lässt sich der Stellenwert der Initiative »Energie in
Bürgerhand« richtig einschätzen. Immerhin erhielt diese innerhalb von fünf
Monaten Zusagen und Einzahlungen von über 3.500 Menschen für mehr als 20 Mio.
Euro. Anschließend werden die Ziele und der aktuelle Stand der Entwicklung der
eingetragenen Genossenschaft skizziert. Das Für und Wider durch Michael Sladek
von dem Ökostromanbieter EWS Schönau und von Wolf von Fabeck vom
Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) sowie ein Interview mit der
ehrenamtlich aktiven Industriekauffrau Beya Stickel über die Hintergründe
ihres Engagements runden den Überblick ab.
Unterstützende Qualifizierung
Einschränkungen der Entwicklung auf dem Markt für regenerative Energien
ergeben sich durch den Arbeitsmarkt. Das immense Beschäftigungswachstum –
2007 waren im Bereich der regenerativen Energie ca. 20.000 Unternehmen mit ca.
250.000 Menschen tätig – wird durch fehlende qualifizierte Arbeitskräfte
begrenzt. Um die Potenziale weiterhin ausschöpfen zu können, sind hier
Kooperationen der beteiligten Akteure gefragt mit einem Schwerpunkt bei der
Schnittstelle von Endnutzer und installierendem Betrieb. Genau in diesem Bereich
setzt eine Qualifizierung zur Umsetzung von Energiegenossenschaften an. Sie
startet im März 2010 in Rheinland-Pfalz. Mit deren Hilfe soll eine
Bürgerbewegung von unten im Bereich der regenerativen Energien angestoßen
werden – eine ideale Ergänzung zum Einstieg der Bürger in die Thüga.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10