BEITRAGEN ZUM PERSÖNLICHEN UND GESELLSCHAFTLICHEN WANDEL
Gewaltfreie Kommunikation
Versöhnungsbund - Begegnung von
palästinensischen und israelischen
Jugendlichen
Foto: Monika Flörchinger
Gewaltfreie Kommunikation steht in der
politischen Tradition der Gewaltfreiheit im Sinne von Mahatma Gandhi und Martin
Luther King. Diese Tradition meint mehr, als keine Gewalt gegen Menschen
anzuwenden, und seien es auch Besatzungssoldaten. Diese meint auch mehr, als
keine Gewalt gegen Sachen anzuwenden, und seien es auch Polizeiautos, mit denen
der Weg des Castors nach Gorleben gesichert wird. Gewaltfreiheit geht vielmehr
im Kern davon aus, dass der Mensch in der Uniform beispielsweise ein Offizier,
auch ein Mensch ohne Uniform ist, dass er ansprechbar ist, dass er bereit ist,
Verantwortung für sein Tun zu übernehmen. Und dass er vielleicht daraus
Konsequenzen zieht, wenn diese Ansprache in Würde geschieht, ihn nicht als
Person beleidigt und herabsetzt. Wobei vielfache gewaltfreie Proteste und
Aktionen diesen Prozess befördern können.
Heinz Weinhausen, Redaktion Köln # Anfang der
achtziger Jahre löste eine politische Aktion innerhalb der Grünen eine
Kontroverse aus. Ein Abgeordneter hatte einen Empfang genutzt, einen General der
US-Streitkräfte mit einem Beutel voll von Schweineblut zu beschmutzen, um auf
die blutigen Taten der US-Armee aufmerksam zu machen. Wurde hier die rote Linie
bezüglich der Gewaltfreiheit überschritten, die damals noch einer der vier
Grundpfeiler der Grünen war? Es wurde argumentiert, dass diese Tat eine
Herabwürdigung des Menschen hinter der Uniform darstellte. Legitim wäre nur
gewesen, wenn der Protestierende sich vor den Augen des ranghohen Soldaten
selbst mit dem Blut besudelt hätte.
Gewaltfreie Kommunikation (GFK), gegründet von Marshall Rosenberg, hat sich
diesbezüglich festgelegt. Sie lehnt auch Gewalt durch Worte und Gesten ab. Sie
will nicht beschimpfen, beleidigen, herabsetzen, demütigen, nicht manipulieren,
um die eigenen Interessen durchzusetzen – die in unserer Kultur übliche Art
und Weise des Sprechens. Diejenigen, die sich in der GFK üben, ahnen um die
Möglichkeiten einer neuen Art des Sprechens und Zuhörens. Ihr Anspruch ist es,
klar und deutlich ihre Meinung zu sagen und konsequent für ihre Interessen
einzutreten und dabei die Interessen des anderen wahrzunehmen. Denn ohne
Verbindung zum Gegenüber ist jedes Reden ein Monolog. So bedeutet GFK in der
Praxis zunächst Brücken zu bauen durch geduldiges Zuhören, durch
mitfühlendes Fragen. Es bedeutet auch Wut und Hass beim Gegenüber zulassen zu
können. Wobei eine Brücke allein schon wertvoll und heilend ist, wenn ein
Opfer von Gewalt seinen Schmerz mitteilen kann, auch ohne seinen Wunsch nach
Rache verschweigen zu müssen. Bei persönlichen Konflikten in Freundeskreisen
oder auch im selbstverwalteten Betrieb kann die Brücke genutzt werden,
aufeinander zuzugehen. So können Lösungen gefunden werden, die beide
Konfliktparteien als gewinnbringend erachten und damit dauerhafte sein können.
Die GFK will beitragen zum friedlichen Miteinander auf der Mikroebene, zum
Frieden in der Welt auf der Makroebene. In meinem selbstorganisierten Projekt
ringen wir oft darum, konstruktive Lösungen bei widerstreitenden Interessen zu
finden, möglichst ohne runterzumachen oder zu beleidigen. Aber im hektischen
Alltag ist der Wille zwar spürbar, aber das Fleisch oft schwach. Das Klavier
gewaltfreier Kommunikation spielen zu können, fällt mir und wohl auch anderen
nicht leicht. Es bedeutet stetiges Lernen und Üben.
Dabei Interessenten zu unterstützen und zugleich bei Konflikten zu
vermitteln und zu versöhnen, diese Aufgabe hat sich der D-A-CH e.V. gestellt,
ein Netzwerk von Trainerinnen und Trainern einerseits, von lokalen GFK-Gruppen
andererseits. Ich freue mich, dass diese Initiative nun ihre Sicht der Dinge in
der CONTRASTE darstellt: die Grundlagen und Ziele der GFK und jede Menge Praxis.
Insbesondere danke ich Barbara Leitner für die Koordination all dessen und
für ihr journalistisches Wirken.
Gewaltfreie Kommunikation wird Widerspruch bei LeserInnen und Lesern
hervorrufen. Wird hier nicht eine harte gesellschaftliche Wirklichkeit
»weichgespült«? Und was wäre das Leben, wenn ich nicht mehr schreien und
schimpfen kann? Nur zu, unsere Zeitung steht zur Kontroverse bereit.
GFK will nicht nur im Persönlichen wirken, sie will auch beitragen,
Gesellschaft zu ändern, steht ein für eine friedliche menschliche
Gesellschaft. Hier nun schon mein Zwischenruf: Ja, sie stellt eine starke Kraft
dar. Um dieses Ziel aber Realität werden zu lassen, müsste sie sich verbinden
mit der Strukturkritik warenproduzierender Gesellschaft. (Oder umgekehrt.) Wer
tauscht, kauft oder verkauft, lohnarbeitet usw. ist bereits getrennt und
entfremdet vom anderen, muss meist noch die Ellbogen ausfahren, um in der
Konkurrenzgesellschaft nicht unterzugehen oder nutzt sie, um sich besser als die
anderen zu stellen. Da ist oft nichts mit Brücken-Bauen oder sie stürzen
schnell wieder ein. Gewaltfreie Kommunikation würde besser gelingen, wenn es
bereits grundlegende materielle Brücken im Sinne solidarischer Ökonomie geben
würde, wenn die Gesellschaft zumindest auf dem Weg hin zu einer solidarischen
Existenzgemeinschaft wäre. Dies würde wiederum konsequenterweise bedeuten,
Wert, Ware, Markt und Geld den Laufpass zu geben. In der Produktion,
Bereitstellung und vielfachen Nutzung freier Software scheint bereits ein
anderes gesellschaftliches Prinzip auf. Yes, we can.
SCHWERPUNKTTHEMA
Interview: Wir sprechen kraftvoll, einfühlend und aufrichtig
Seite 7
Versöhnungsprojekt: Wie können wir einander nur je verstehen – bei soviel
Schmerz?
Seite 8
Vom Slumkind zum Friedensstifter: Marshall Rosenberg
Seite 8
Wertschätzende
Kommunikation: Erfolgsfaktor Empathie
Seite 9
Gewaltfreie Kommunikation im Kindergarten und Familie: Magische Momente in
der Giraffenecke
Seite 9
Neue Wege in der Kommunikation im Strafvollzug: Den Menschen hinter dem
Inhaftierten sehen
Seite 10
Berühren durch Empathie: Gewaltfreie Kommunikation mit den
»Unberührbaren« in Indien
Seite 10