EINE BASIS FÜR SOLIDARISCHE ÖKONOMIE?
Bedingungsloses Grundeinkommen
Solidarische Ökonomie, ökonomische
Alternativen zu den Krisen und Ungerechtigkeiten des Kapitalismus. Kann ein
allgemeines Grundeinkommen hierfür eine Basis sein, sowohl moralisch akzeptabel
als auch ökonomisch verlässlich? Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das ohne
Ansehen der Person an alle, also individuell völlig unverdient ausgezahlt wird,
und das aus den Überschüssen einer erfolgreichen Überflussökonomie
finanziert wird?
Von Robert Ulmer - Was wäre anders? Heute haben
die Projekte der solidarischen Ökonomie zunehmend die Aufgabe, die Not zu
lindern, sie sind Solidar- aber auch Schicksalsgemeinschaften. Abgesichert mit
einem Grundeinkommen wären die Akteure nicht mehr zum Zwecke der eigenen
Existenzsicherung zum kurzfristigen Erfolg verdammt. Ökonomische Experimente
wären möglich, die sich erst langfristig, oder auch gar nicht,
"rechnen" müssten. Die Mitwirkenden in solidar- ökonomischen
Projekten müssten sich selber und einander nicht mehr unter derart hohen Druck
setzen. Sehr wohl würden sie einander mit hohen Erwartungen konfrontieren, aber
sie wären nicht mehr aus drohender Not auf einander angewiesen.
Auch der ganz normale Arbeitsmarkt wäre nicht mehr der alte. Die
Vertragspartner können sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Die Anbieter von
Arbeitskraft wären nicht mehr so bedingungslos erpressbar, sie könnten
Bedingungen stellen. Heute ist das Arbeitsleben, gerade in den expandierenden
Niedriglohn-Regionen, zunehmend erzwungene Kooperation. Anders in einer
Grundeinkommensgesellschaft: das ökonomische Interagieren wäre wesentlich
freie Kooperation.
Vieles ist umstritten. Ist ein so kapitalismusfremdes "Modul" wie
ein bedingungsloses Grundeinkommen im Kapitalismus überhaupt möglich? Denn ein
Kapitalismus mit Grundeinkommen wäre ein Kapitalismus ohne Lohnabhängigkeit
bzw. mit entscheidend reduzierter Lohnabhängigkeit. Weiter: wer über den
Kapitalismus hinaus will, verdächtigt das Grundeinkommen, den Kapitalismus zu
stabilisieren.
Denn es gewährleistet eine stabile Konsumnachfrage, es befreit die
Unternehmen davon, einen existenzsichernden Lohn zu zahlen (wenn es denn nicht
mit einem Mindestlohn kombiniert wird), es führt, als Kombilohn, zu einem immer
größeren Niedriglohn-Sektor. Hier ist die Höhe des Grundeinkommens
entscheidend: ist es zu wenig, bleibt ein Zwang zum Hinzuverdienst, also ein
faktischer Arbeitszwang. Das ausreichend hohe Grundeinkommen dagegen würde die
freie Assoziation der Individuen ermöglichen - Kommunismus mitten im
Kapitalismus?
Wenn wir den Übergang von einer kapitalistischen in eine
nichtkapitalistische Welt denken, so lehrt uns das Thema Grundeinkommen, die
individuelle Freiheit im Auge zu behalten. Denn denkbar wäre auch eine
nachkapitalistische Welt, zwar ohne Geld und ohne EigentümerInnen an
Produktionsmitteln, aber mit Mitwirkungspflichten, die den Einzelnen, und sei es
noch so basisdemokratisch, von der Gemeinschaft auferlegt würden. Das wäre
dann nicht die Art von solidarischer Ökonomie, die die BefürworterInnen des
bedingungslosen Grundeinkommens anstreben. Ihnen geht es um die Stärkung der
individuellen Freiheit aller. Die formale Vertragsfreiheit reicht nicht aus,
denn sie nützt denen nichts, die vor der Wahl stehen, einen miesen Job zu
akzeptieren oder zu verarmen. Mit Grundeinkommen können sie den miesen Job
ablehnen; das Grundeinkommen verschafft ihnen eine Option mehr, es stärkt ihre
"wirkliche Freiheit" (Van Parijs). Was Feministinnen bereits seit
jeher wissen: die Möglichkeit, Nein zu sagen, steht im Zentrum der Freiheit.
Akzeptieren die ProtagonistInnen solidarischer Ökonomien diesen realen
Freiheitszuwachs aller, oder bereitet er ihnen "moralische
Bauchschmerzen"? Der egoistische Einsiedlerkrebs, den Elisabeth Voß
benennt (Seite 7), ist vielleicht das geringere Problem. Mit ihm oder mit
einsamen couch potatoes haben wir eher Mitleid. Der größere Skandal ist der
berühmte Surfer am Strand von Malibu, der zwar nicht faul sondern sportlich
ist, aber gar nicht daran denkt, jemals etwas (für andere) Sinnvolles zu tun.
Auch keine Reproduktionsarbeit, denn abends, wenn er, angenehm müde vom Surfen,
nach Hause kommt, lässt er sich von seiner Freundin verwöhnen.
Nun wären die wenigen vom Grundeinkommen lebenden "Surfer" die
lebenden Beweise dafür, dass auch die anderen sich nicht mehr alles gefallen
lassen müssen. Insofern wären sie wichtige Verbündete der dann nicht mehr so
erpressbaren Beschäftigten. Wären sie dies auch in einer Welt der
solidarischen Ökonomien?
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10