WIRTSCHAFTLICHE SELBSTHILFE VON UNTEN
Solidarische Existenzsicherung
Vom 24. bis 26. November findet an der TU
Berlin der Kongress "Wie wollen wir wirtschaften? Solidarische Ökonomie im
globalisierten Kapitalismus" statt. Nachdem es viele Jahre still geworden
war um alternative Formen von Ökonomie, scheint das Thema jetzt wieder aktuell
zu werden.
Catadores-Kooperative Cooperlimpa, Diadema,
Brasilien
Foto: Elisabeth Voß
Elisabeth Voß, Redaktion Berlin - Immer mehr
Menschen sind nicht in der Lage, ihren Bedarf durch Einkäufe am Markt zu decken
- ihnen fehlt das dafür nötige Geld. Sie sind zum Beispiel darauf angewiesen,
gebrauchte Dinge zu kaufen, holen sich Lebensmittel an Ausgabestellen von
Kirchen oder sozialen Einrichtungen und nutzen Angebote der Umsonstökonomie.
Wer keine Wohnung mehr hat, schläft in Notunterkünften und kann weitere
Angebote sozialer Träger in Anspruch nehmen.
Parallel zur zunehmenden Armut und Hilfsbedürftigkeit entwickeln sich
Angebote sozialer Einrichtungen. Deren MitarbeiterInnen sind oft selbst schlecht
bezahlt, viele haben Ein-Euro-Jobs, aber es gibt auch eine Reihe von
ehrenamtlich Tätigen. Es wird in diesem Bereich zweifellos viel notwendige
Arbeit mit großem Engagement geleistet. Es gibt aber ebenso diejenigen, die an
der Not anderer gut verdienen, öffentliche Mittel erhalten, ohne dass dies den
Betroffenen wirklich zugute käme.
Erwerbslosigkeit und materielle Not führt darüber hinaus oft zu sozialer
Ausgrenzung und gesundheitlichen Problemen. Fürsorgliche Hilfsangebote sind
notwendig, können aber auch Abhängigkeiten schaffen. Wer lange von fremder
Hilfe lebt, ohne die Erfahrung, aus eigener Kraft etwas bewirken zu können,
verliert leicht an Selbstvertrauen. Umgekehrt kann die Bewältigung prekärer
Lebenslagen in Selbsthilfe ungeahnte Kräfte freisetzen.
Wir werfen in diesem Schwerpunkt einen Blick auf Alternativen. Auf Projekte,
in denen Menschen mit unterschiedlichen Befähigungen zur Lebensbewältigung
Strukturen schaffen, um ihre materielle und soziale Situation zu verbessern.
Neben der Selbsthilfe spielt dabei auch die Solidarität mit anderen eine
wichtige Rolle.
So beschreibt Daniela Kaminski vom Verband Second-Hand vernetzt, dass in der
Gebrauchtwaren-Branche einerseits Arbeitsplätze entstehen für Benachteiligte,
andererseits diskriminierungsfrei Preiswertes angeboten wird. Den Berliner Büchertisch
stellt seine Gründerin Ana Lichtwer als interessantes Beispiel
gemeinschaftlicher Selbsthilfe in dieser Branche vor.
Auch die hier dargestellte Sozialistische Selbsthilfe Köln lebt von
Gebrauchtwaren, und ebenso wie die Basisgemeinde Wulfshagener Hütten leben und
arbeiten hier sehr unterschiedliche Menschen miteinander. Beide Gruppen haben
einen ausgesprochen politischen Ansatz. Hans Otto Strübel-Eckert von
Wulfshagener Hütten stellt hier die menschliche Seite des Zusammenlebens in den
Vordergrund.
Selbsthilfe von Marginalisierten findet hierzulande oft im Stillen statt,
anders als zum Beispiel in Frankreich, wo es sowohl eine starke
Erwerbslosenbewegung, als auch eine offiziell anerkannte und unterstützte
"Economie sociale et solidaire" gibt. Von dort kennen wir auch die
Bewegung der "Sans Papiers", der illegalisierten Menschen ohne
Aufenthaltsrecht, die mit politischen Aktionen auf sich aufmerksam machten.
Petra Datta umreißt die Schwierigkeiten der Solidarischen Existenzsicherung von
Papierlosen in Deutschland.
Impulse solidarischer Ökonomie kommen seit einigen Jahren verstärkt aus
Lateinamerika. Manfred Liebel beschreibt eine Kinder-Kooperative in Peru, und
ich berichte von zwei Kooperativen von MüllsammlerInnen in Brasilien und
Argentinien, die ich 2004 besucht habe. Die zum Schluss dokumentierte Erklärung
umreißt den Zusammenhang zwischen politischer Begründung und konkreter
Projektpraxis: Eine andere Welt ist notwendig - eine andere Welt ist möglich -
eine andere Welt hat schon begonnen.
In diesem Sinne werden wir diesen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt
wirtschaftlicher Selbsthilfe von unten in den nächsten Ausgaben mit weiteren
Beispielen fortsetzen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10.