LINKE IM AUFWIND ODER EGAL? STAATSMACHT UND / ODER APO?
Hilfe die Linkspartei (?/!) ist da
Sieben Jahre Rot-Grün haben das System
unseres Sozialstaats grundlegend umgewälzt. Die Pflege des Erbes der Ära Kohl
wurde angereichert mit ganz neuen, ganz innovativen, furchtbar mutigen Reformen.
Schön frei und flexibel ist es jetzt hier, Deutschland kann weltweit Kriege führen,
die Bosse dürfen nach Belieben heuern und feuern, die Löhne befinden sich ganz
entspannt im freien Fall, und das Unternehmertum blüht in unzähligen Ich-AGs.
Elisabeth Voß, Redaktion Berlin - In den
Kollektiven der letzten 30 Jahre wurde die heutige Erwerbsarbeitsrealität oft
schon gelebt: mobil, flexibel, eigenverantwortlich und engagiert arbeiteten wir
mit hohem Einsatz für Niedriglöhne. Aus der Kritik an entfremdeten
Ausbeutungsverhältnissen und einem entmündigenden und repressiven Staat
entstanden vielfältige selbstorganisierte Projekte und Bewegungen für ein
"Leben ohne Chef und Staat". An die Stelle herkömmlicher
Organisierung in Parteien und Gewerkschaften trat die "Politik der ersten
Person" mit unterschiedlichsten Formen persönlich-politischer
Selbstverwirklichung, fantasievollen Spontiaktionen, autonomen
Hausbesetzungen....
Heute müssen wir mehr oder weniger hilflos zusehen, wie Staats- und
Gewerkschaftshetze als medial hochglanzpolierte Begleitmusik zur Abschaffung von
Sozialstaat, Tarifverträgen und staatlichen Unternehmen der öffentlichen
Daseinsvorsorge dienen. Die Freiheit von der wir träumten, fällt uns als
Deregulierung auf die Füße, Engagement und Eigenverantwortung sollen wir jetzt
in Billigjobs zeigen - die Ideale von einst zeigen als Wiedergänger eine
schaurige Fratze. Wer hat die Definitionshoheit in diesem Land?
Am Wahlwochenende zitierte Tom Schimmek in der tageszeitung (taz) unter dem
Titel `Arschlochalarm!' den 33jährigen Daniel Dettling von `berlinpolis':
"`Unsere Vorgängergeneration hat die APO gemacht, wir machen
Denkfabriken', sagt der Direktor der `Denkfabrik der nächsten Generation'. Er
will eine `konstruktive APO' machen, träumt von neuen `Handlungs-Eliten'. Das
`enge Korsett der Siebziger und Achtziger', findet Dettling, war irgendwie
`miefig', `ohne Vision von sich selbst'. Passt so gar nicht zum `radikal
beschleunigten Wandel' der Gesellschaft. `Wir haben uns im selben Jahr wie Attac
gegründet.'"
Seine Kunden sind Konzerne, Unternehmensverbände und die Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft (INSM), die als Vorhut des Neuen Denkens von
Arbeitgeberverbänden - allen voran Gesamtmetall - und dem Institut der
deutschen Wirtschaft Köln getragen wird, und selbst von der "Zeit"
als "Lautsprecher des Kapitals" bezeichnet wird. Unter
www.chancenfueralle.de öffnen sie den Giftschrank ihrer Reformvorschläge. Für
die passende Stimmung sorgen die Cocktails am INSM-eigenen Bundespressestrand
und die Gute-Laune-Kampagne, in der sich unter Führung der Bertelsmann-Stiftung
die ganze Bandbreite der Gehirnwäsche-Industrie zusammen gefunden hat, denn:
"Du bist Deutschland".
Diese Kultur der großen Koalition hat nun ihr politisches Pendant gefunden.
Ist damit der Rollback perfekt? Werden Begriffe wie "sozial",
"Gerechtigkeit" oder "Solidarität" jetzt endgültig ersetzt
durch "neu", "Chancengleichheit" oder
"Eigenverantwortung"? Werden zukünftig Städte wie Unternehmen geführt,
z.B. per Managementauftrag an Bertelsmann (wie durch seine Tochterfirma Arvato
AG im britischen East Riding of Yorkshire)? Wird das globale Kapital sich nach
und nach alle Infrastrukturen einverleiben und immer größere Bevölkerungsteile
der Armut und Ausgrenzung preisgeben?
Oder gibt es endlich klare Verhältnisse, wenn nicht mehr "wir"
regieren, und hat "die" Linke dadurch jetzt die historische Chance,
sich selbst zu definieren und quer durch viele Schichten der Bevölkerung für
eine breite soziale Protestbewegung zu mobilisieren? Brauchen soziale Bewegungen
einen parlamentarischen Arm, und welche Einflussmöglichkeiten haben sie, um
gemeinsam mit diesem etwas zu bewegen? Die Vernunftpartnerschaft von PDS und
WASG nehmen wir als Anlass, über Strategien zur Umsetzung politischer
Forderungen von unten zu diskutieren, vor allem unter der Fragestellung, welchen
Stellenwert selbstorganisierte Strukturen und Unternehmungen darin haben.