MUSIK & SELBSTVERWALTUNG
Musik ist eine kooperative Kunst
Foto: Irina Popova
»Die Musik ist eine kooperative Kunst, von
Grund auf organisch, sozial. Sie ist bestimmt die edelste Form des
Sozialverhaltens, zu der wir fähig sind. Und ganz sicher eine der edelsten
Aufgaben, die ein Einzelner übernehmen kann. Außerdem ist sie, wie jede Kunst,
durch ihr ganzes Wesen etwas, das geteilt wird. Der Künstler teilt, das ist das
Wesen seiner Darbietung.«
(Ursula LeGuin, Planet der Habenichtse)
Von Maurice Schuhmann, Berlin - Das Zitat aus
der anarchistisch- feministischen Science Fiction-Utopie von Ursula K. LeGuin
bringt den Kern von Musik in idealistischer Weise auf den Punkt – »Musik ist
eine kooperative Kunst«. Sie bietet sich daher auch von einem emanzipatorischen
Anspruch her an, in kollektiver Form (selbst-)organisiert und verwaltet zu
werden. Der Bereich »Musik« nimmt in unserer Gesellschaft einen privilegierten
Platz ein – angefangen beim morgendlichen Radioeinschalten, über die
Beschallung im Supermarkt bis hin zur Planung für die Freizeit – überall
scheint sie mit im Spiel zu sein und unseren Alltag mitzubestimmen. MusikerInnen
sind neben Filmstars und SportlerInnen immer noch die Berufsgruppe mit dem
höchsten »Idolstatus« und »Vorbildfaktor «. Von daher verwundert die
Kommerzialisierung und die wirtschaftliche Bedeutung der »Musikindustrie «
wohl kaum.
Gleichzeitig ist sowohl die Pop- und Rockmusik in allen seinen Facetten als
auch der m.E. in einzelnen Spielarten des Jazz immer wieder der Versuch gewesen,
einen Gegenpol gegen die Kommerzialisierung und Marktförmigkeit der
Madjorlabels zu bilden. »Musik « hat vor diesem Hintergrund auch viel mit
Rebellion und Politik zu tun. Der amerikanische Spaßguerillero Jerry Rubin
schrieb in seinem Buch »Do it!«: »Der Rock’n’Roll ist der Beginn der
Revolution!« Ein Motto, was in vielen Bereichen der Rockmusik – allen voran
in der destruktiven Form der Rebellion des britischen Punks Mitte der 70er Jahre
seinen Widerhall gefunden hat – bevor er auch kommerzialisiert wurde. Darüber
ist innerhalb der Musikbranche und ihren theorielastigen Ablegern der
Musikpresse bereits viel debattiert und nachgedacht worden.
Ein Themenkomplex wie »Musik & Selbstverwaltung «, der für viele
kleinere musikalische Sub- und Gegenkulturen eine wichtige Frage ist, findet
sich meistens nur innerhalb der kleinen Subkulturmedien – meistens Fanzines
– diskutiert. Vor diesem Hintergrund möchte die folgende Schwerpunktausgabe
unterschiedliche Facetten des Komplexen beleuchten und zur breiteren
Diskussionen anregen – auch wenn die Fokussierung aufgrund meiner eigenen
musikalischen Sozialisation stark punk- und berlinlastig ist. Nichts desto trotz
lassen sich dennoch aus den Beiträgen Anregungen auch über die Stadt- und
Szenegrenzen hinweg ziehen.
Diese Schwerpunktausgabe fokussiert vor allem die alternative Infrastruktur
für die Musikkultur in Form von Proberäumen (Kommune Lutter), Clubs (K.v.U.),
Labels (Falling Down Records), DJ/DJane-Kollektiven (Cable Street Beat) und
Plattenläden (Real Deal Records) sowie einen Ausblick auf die Möglichkeiten,
die die neuen Medien für die Selbstverwaltung bieten. Die AutorInnen der
Beiträge sind schon seit vielen Jahren in den jeweiligen Bereichen aktiv und
haben die Veränderungen innerhalb der jeweiligen Szene miterlebt. In einzelnen
Aspekten knüpft die Ausgabe auch an die Februarausgabe der CONTRASTE zum Thema
»Jugend« an – schließlich sind Jugendliche und junge Erwachsene immer noch
die HauptkonsumentInnen von Musik und stellen einen wichtigen Bestandteil der
Infrastruktur.
Sicherlich wären auch Interviews mit Bands, Fanzines oder
VeranstalterInnenkollektiven noch eine Bereicherung gewesen und hätten den
Schwerpunkt abgerundet oder einzelner subkulturellen Strömungen wie dem
Anarchopunk, indem die Forderung nach Selbstverwaltung und -organisation
immanent ist, aber hierfür reichte der vorhandene Platz leider nicht aus. In
diesem Sinne kann diese Ausgabe nur eine Anregung zur Diskussion bieten.
Vielleicht folgt eine Fortsetzung dessen in einer kommenden Ausgabe der
CONTRASTE... Bis dahin viel Spaß bei der Lektüre.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10
SCHWERPUNKTTHEMA
Burg Lutter Proben, Aufnehmen, Chillen
Das DJ Kollektiv Cable Street Beat Seite 7
Falling Down Records Es geht nicht nur um Musik, es geht um’s Ganze
Real Deal Record Store Ein eindeutig anarchistischer Laden Seite
8
Kirche von unten das subkulturelle Wunder Seite 9
Neue Technologien: Das Aufbrechen der alten Konsumstrukturen Seite
10