21.-24. JULI IN ERFURT:
Forum gegen Neoliberalismus
Noch steht zwar keine einzige ReferentIn im
hierfür eingerichteten Pool ihrer Homepage (sozialforum2005.de), aber trotzdem,
die in Porto Alegre begonnene Sozialforumsbewegung nimmt nun auch in Deutschland
ihren Lauf. 4 Themenkomplexe sollen Diskussionen bündeln. Eine Initiative
bereitet einen Frauennraum vor - wieder eine andere organisiert einen Offenen
Raum als "Soziaforum von unten". Einen Überblick über das
Themenspektrum bietet unser Schwerpunktthema, das wir mit einer Einführung
seitens der Programm-AG beginnen.
von Angela Klein, AG Programm - Das 1.
Sozialforum in Deutschland nimmt Gestalt an. Das Grundgerüst steht. Die
Planungen gehen von 5.000 Teilnehmenden aus, aber die Tagungskapazitäten (Räume
und Übernachtungen) ermöglichen bis zu 11.000 Beteiligte. Nun hängt alles
davon ab, in den kommenden Wochen das Interesse an der Beteiligung, an der Veröffentlichung
von Diskussionsangeboten und am Aufspüren von Diskussionspartnern zu wecken.
Denn das Sozialforum will nicht nur ein Markt der Möglichkeiten sein - es will
vor allem dazu dienen, die Zersplitterung der sozialen Bewegungen und der Linken
zu überwinden und aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu machen.
Die Örtlichkeit eignet sich bestens dazu. Die mittelgroße thüringische
Landeshauptstadt mit der wunderschönen Altstadt bietet nicht nur Schulen, die
Fachhochschule, die Zitadelle, den Domplatz und die Thüringenhalle an - sie
bietet auch eine Vielzahl größerer und kleinerer öffentlicher Plätze, die
sich bestens für künstlerische Darbietungen, Aktionsgruppen und alle Formen
von Veranstaltungen eignen, welche den direkten Kontakt zur Bevölkerung suchen.
Für Übernachtungen stehen neben zahlreichen Pensionen und Hotels (Erfurt
ist eine Touristenattraktion) ein großer Zeltplatz, Turnhallen und Privatunterkünfte
zur Verfügung. Sollte es dennoch zu eng werden, kann man auch ins nahegelegene
Weimar ausweichen, der Zug braucht keine 20 min. dorthin.
Erfurt wird am Wochenende vom 21.-24. Juli vom Sozialforum besetzt sein - es
finden keine anderen Veranstaltungen parallel statt. So ist es mit der
Stadtverwaltung vereinbart, die sich darauf eingestellt hat, das Sozialforum
logistisch zu unterstützen. Der Oberbürgermeister ist von der CDU, er
verspricht sich aber einen Imagegewinn für Erfurt und sicher auch einen Bonus
bei den im Herbst anstehenden OB-Wahlen.
Die Struktur des Sozialforums ähnelt konzentrischen Kreisen. Der Kern
gliedert sich entsprechend der Tradition des Europäischen oder Weltsozialforums
in vier Themenbereiche, die versuchen, das Diskussionsangebot zu bündeln. Diese
lauten:
1. Arbeitswelt und Menschenwürde;
2. Globalisierung und die Rolle Deutschlands in der Welt;
3. Menschenrechte und politische Teilhabe;
4. Eine lebenswerte Welt - anders leben.
Diese Formulierungen ermöglichen, dass ähnliche Fragestellungen aus ganz
unterschiedlichen Milieus und Sachbereichen heraus formuliert werden. Die
Diskussion gemeinsamer Themen aus unterschiedlicher Perspektive soll damit verstärkt
werden.
Zu den vier Themenbereichen können Arbeitsgruppen, Seminare und auch Großveranstaltungen
angeboten werden. Getreu internationalem Vorbild werden Arbeitsgruppen dabei als
(meist) kleinere Veranstaltungen definiert (um die 25 Personen), die (auch) von
einzelnen Gruppen angeboten werden; Seminare als etwas größere Veranstaltungen
(zwischen 80 und 200 Personen), die auf jeden Fall von mehreren Gruppen
gemeinsam angeboten werden sollen.
In eigener Regie wird der Vorbereitungskreis des Sozialforums keine Großveranstaltung
durchführen. Er hat allerdings die Initiative ergriffen, dass es zu jedem
Themenschwerpunkt auf jeden Fall eine Großveranstaltung geben soll. Dazu haben
sich Arbeitsgruppen gebildet. Den Stand der Vorbereitungen kann man auf der
Webseite verfolgen; dort wird auch zur Mitarbeit eingeladen.
Die Veranstaltungen zu den vier Themenbereichen folgen einem Zeitschema von
jeweils 2 Stunden in fünf über den Tag verteilten Blöcken (von 9h bis 21h).
Kulturbeiträge sind in dieses Zeitschema integriert. Am Ende sollen die
Diskussionen in einem Infopool zusammengeführt werden. Indymedia wird durch die
Aufstellung einer eigenen Computerplattform dabei behilflich sein.
Eine gesonderte Vernetzungsphase am Abend ermöglicht VeranstalterInnen und
Teilnehmenden, ihre Wege zu kreuzen, Infos auszutauschen und gemeinsame
Initiativen zu verabreden. In dieser Zeit soll auch die Versammlung der sozialen
Bewegungen vorbereitet werden.
Das 1. Sozialforum in Deutschland folgt damit dem, was in Porto Alegre als
"neue Methodologie des Sozialforums" entwickelt wurde: Weg von
passivem Konsum und folgenlosem Ideenaustausch hin zu einer Arbeitsweise, die
prozesshaft angelegt ist. Das Sozialforum will Anstöße geben, die über die
Zusammenkunft in Erfurt hinausweisen. Denn das Sozialforum ist kein Selbstzweck:
Es will den sozialen Bewegungen, die in Opposition zum Neoliberalismus stehen,
einen selbstverwalteten Raum bieten, in dem sie gemeinsame Strategien
diskutieren und Aktionsvorschläge entwickeln können. Es will sie zur Überwindung
der Zersplitterung und zur Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit ermuntern. Neben
dem Kern der vier Themenbereiche gibt es einen Kranz von selbstverwalteten Räumen,
die eigene Abläufe haben. Angemeldet wurden bisher ein FrauenRaum und ein
Sozialforum von unten.
Über die Stadt verstreut werden vielfältige Kulturveranstaltungen und
aktionsbezogene Darbietungen stattfinden. Die OrganisatorInnen sind in
Verhandlungen mit dem Kommunalen Kino und dessen Umwandlung in ein
Sozialforumskino. Christliche Basisgemeinden bieten Gebete und Meditation an. Es
wird einen Raum geben, in dem sich die bestehenden lokalen und regionalen
Sozialforen koordinieren können. Und auch das Essen soll nicht allein unter dem
Gesichtspunkt der Versorgung, sondern in seiner Bedeutung als Kulturträger und
als gesundheitlicher und ökologischer Faktor thematisiert werden.
Hauptinstrument der Kommunikation wird in den nächsten Monaten das Internet
sein. Alle Angebote für Veranstaltungen müssen auf die Webseite gestellt
werden. Dort steht auch, wie das Anmeldeverfahren für Unterstützende,
VeranstalterInnen und Teilnehmende funktioniert und wie sich das Sozialforum
finanzieren will. Als Werbemittel steht ein Einladungsflyer im Netz abrufbar
bereit. In einem Internet-Shop können weitere Werbemittel wie Taschen, Käppis,
T-Shirts u.a. bestellt werden.
Es wird angeregt, dass der aus dem Verkauf erzielte Erlös für die Unterstützung
der Fahrt- und Teilnahmekosten von Menschen mit extrem niedrigem Einkommen (ALGII-Beziehende
oder MigrantInnen) verwendet wird. Die Finanzierung des Sozialforums geschieht,
wie alles andere auch, aus der Tasche derer, die es aktiv unterstützen. Andere
Finanzmittel gibt es nicht. Auch keine Mäzene, die uns großzügig finanzieren.
Es stehen deshalb auch nicht von vornherein Finanztöpfe bereit. Manche
empfinden das als Belastung. Es ist aber auch ein Stück Freiheit, weil es uns
finanziell unabhängig macht. Da wir also für die Unterstützung von Menschen
mit sehr geringem Einkommen gesonderte Mittel brauchen, müssen wir diese selber
organisieren. Am einfachsten geht es vor Ort, wo die Strukturen bekannt sind,
die Interessierten direkt angesprochen und auf zahlreichen Veranstaltungen
Sammelaktionen durchgeführt werden können.
Es hat sich herumgesprochen, dass das Sozialforum keine Beschlüsse fasst.
Alles, was hier verabredet wird, bindet ausschließlich die Gruppen und
Personen, die diese Verabredungen tragen, nicht das Sozialforum als Ganzes. Der
Drang, die Niederlage im Widerstand gegen die Hartz-Gesetze aufzuarbeiten,
Strategien und Organisationsformen zu diskutieren und die Bewegung gegen den
Neoliberalismus ein Stück voran zu bringen, ist jedoch groß. Deshalb wird es
am Sonntagmittag eine Versammlung sozialer Bewegungen geben. Diese will
vorbereitet sein. Dazu wird auf die Forumsseite der Homepage ein
Diskussionsbeitrag eingestellt, der sich mit der Frage befasst: Wie weiter mit
den sozialen Bewegungen in Deutschland? Auch diesen Beitrag verantworten nur
diejenigen, die ihn unterzeichnen. Er soll aber zu Antworten und Erwiderungen
reizen, damit bereits im Vorfeld eine Debatte aufkommt, wie es hierzulande nach
der Durchsetzung der Agenda 2010 weiter gehen soll. Ergebnisse dieser Debatte
sollen in eine Erklärung einfließen, die auf dem Sozialforum in der
Vernetzungsphase diskutiert und auf der Versammlung der sozialen Bewegungen
verabschiedet wird. Darüber hinaus sollen Vorschlägen für Aktionen und
Kampagnen vorgetragen und über einen kommenden zentralen Aktionstag beraten
werden.
Das Sozialforum beginnt am Donnerstagabend um 18 Uhr mit einer Eröffnungsveranstaltung.
Hier stellt sich das Sozialforum dar - eingebettet in das WSF und ESF. Dazu gibt
es Redebeiträge aus Brasilien, aus dem europäischen Ausland und vom Thüringer
Sozialforum, welches die Einladung nach Erfurt ausgesprochen hat. Eine Begrüßung
in den Sprachen, die von den in Deutschland lebenden Nationalitäten gesprochen
werden, wird unterstreichen, warum wir von einem Sozialforum in Deutschland,
nicht von einem deutschen Sozialforum reden. Die Veranstaltung soll den
Charakter eines Open-Air-Festivals haben, auf dem die Kulturbeiträge überwiegen.
Sie sollen die Vielfalt der hier ansässigen Kulturen widerspiegeln und
verschiedene Generationen ansprechen.
Am Samstagnachmittag von 14.30h bis 16.30h versammeln wir uns zu einer
Demonstration, zu der auch die Bevölkerung in Erfurt und in Thüringen
eingeladen ist. Abends um 19h schließt sich ein großes Konzert an.
So baut sich das 1. Sozialforum in Deutschland allmählich auf. Als Forum
gegen den Neoliberalismus will es alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen,
die vom Großkapital angegriffen werden - also "sozial" im
umfassenden, nicht im eingeschränkten Wortsinn sein. Letzten Endes geht es
darum, nach dem Scheitern des sog. real existierenden Sozialismus und dem Überlaufen
der Sozialdemokratie ins Lager des Liberalismus ein neues, gesellschaftsveränderndes
Subjekt zu schaffen. Dies ist ein langfristiges Projekt, in dem die sozialen
Bewegungen Hauptakteure sein wollen.
Das Verhältnis zu den Parteien ist konfliktbeladen, da braucht man nicht
drum herum zu reden. Weniger denn je fühlen sich soziale Bewegungen heute von
Parteien vertreten, das gilt auch für die Parteien, die sich in Opposition zu
den Parteien im Bundestag sehen. Das ist kein Grund, die Diskussion über das
Verhältnis der sozialen Bewegungen zu den Parteien zu vermeiden. Es ist jedoch
ein Grund, auch in Deutschland den Grundsatz der Charta von Porto Alegre zu
beherzigen, der da heißt: "Weder Repräsentanten von Parteien noch militärische
Organisationen können am Forum teilnehmen." Konkret bedeutet das, dass
Parteien auf dem Sozialforum keine Veranstaltungen durchführen können - nur
Jugendorganisationen, Stiftungen und Medien. Auf der Webseite wird eingeladen zu
einer Arbeitsgruppe, die den Dialog der sozialen Bewegungen mit den Parteien
vorbereitet.
Das Sozialforum in Deutschland sieht sich von Anfang an im Kontext des WSF
und des ESF. Das Ausland signalisiert hohes Interesse an Erfurt, und wir wollen
unsere Freundinnen und Freunde aus den Nachbarländern und von weiter her
einladen, mit uns zusammen zu diskutieren. Denn eine der Grundüberzeugungen,
auf denen das Sozialforum beruht, ist, dass wir unsere gesellschaftlichen
Probleme nicht mehr im nationalstaatlichen Rahmen lösen können.
www.sozialforum2005.de