FEMINISTISCHE SELBSTORGANISATION GESTERN UND HEUTE
Frauen gemeinsam sind stark!
Im Vergleich mit den Zeiten des Aufbruchs und
der fortschreitenden Entwicklung der Frauenbewegung in den 1970er und 80er
Jahren ist es heute ruhig geworden. Feminismus scheint kein Thema mehr zu sein,
auch wenn Frauen heute noch immer weit davon entfernt sind, wirklich
gleichberechtigt zu sein.
Elisabeth Voß, Redaktion Berlin - Junge Frauen
heute können sich den gesellschaftlichen Mief von damals mit seinen
Heterosexismen und die bürgerlichen Kleinfamilien mit ihren patriarchalen
Strukturen kaum noch vorstellen. So durften Frauen bis 1977 nur erwerbstätig
sein "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar" (§
1356 BGB) war. Wenn frau lesbisch wurde, war dies ein persönlicher und
politischer Befreiungsschlag.
Als Sigrid Rüger 1968 die legendäre Tomate auf den SDS-Theoretiker Hans-Jürgen
Krahl warf, mit dem Ausruf: "Genosse Krahl, du bist objektiv ein
Konterrevolutionär und ein Agent des Klassenfeindes dazu!", war dies ein
Aufbruchsignal. Vom marxistischen "Nebenwiderspruch" zur Hauptsache
werden - gegen die Männer, oder mit ihnen, oder vielleicht einfach ohne sie?
Es war umstritten, was der Kritik am Bestehenden entgegenzusetzen sei.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, oder Lohn für Hausfrauen? Ist das Recht auf
Militärdienst an der Waffe für Frauen ein Indikator der Emanzipation? Gibt es
"das Weibliche"? Sollen Frauen formal gleiche Rechte haben wie Männer,
die sie dann im Sinne der Chancengleichheit nutzen können (oder auch nicht),
oder geht es um aktive Frauenförderung mit dem Ziel der Gleichstellung (aber
welche mag schon Quotenfrau sein)?
Mit Gender Mainstreaming wird seit einigen Jahren ein technisches
Instrumentarium zur umfassenden Berücksichtigung der Interessen von Frauen und
Männern entwickelt, das in eine Zeit zu passen scheint, in der sich nur noch
wenig Widerspruch regt. Eine Zeit, in der es in öffentlichen Verwaltungen
mittlerweile üblich ist, Frauen nicht nur mit zu meinen, sondern auch als
solche anzusprechen, während das Binnen-I in der politischen und Projekte-Szene
immer seltener anzutreffen ist.
Die mittlerweile völlig kommerzielle Frauenzeitschrift EMMA ist gerade 30
Jahre alt geworden, ihre Gründerin Alice Schwarzer erhielt 1996 das
Bundesverdienstkreuz. In ihrer kritischen Würdigung schreibt Frigga Haug in der
taz (26.01.07), emanzipatorische Versuche würden aufgesogen "in einen
Kurs, der die Reproduktion des alten Patriarchats sichert. In dieser
Verschlingung ist die feministische Stimme einverleibt als Pfeifton, der im
Konzert mithalten darf."
Bereits ein halbes Jahr vor EMMA erschien die streng selbstverwaltete
COURAGE, die nach 8 Jahren an einer Mischung aus unlösbaren kollektiven und
wirtschaftlichen Problemen einging. Ähnliche Erfahrungen machten viele
Frauen-/Lesbenprojekte. Heute haben wir es weniger mit Kollektiven zu tun, als
mit Frauen, die individuell selbstorganisierte Wege beschreiten, und sich dabei
mit anderen in kooperativen Formen zusammen schließen. Typische Beispiele
solcher Kooperationen sind die "WeiberWirtschaft" und die
"Schokofabrik" in Berlin, beide als Genossenschaft organisiert.
Auch das gemeinsame Wohnen von Frauen scheint wieder zunehmend aktuell zu
werden, und es entstehen unterschiedlichste Wohnprojekte. Dabei ist durchaus
auch das private Immobilieneigentum möglich und erwünscht - in Frauenhand.
Ein Kristallisationspunkt der Frauenbewegung war der Kampf gegen den § 218.
Alice Schwarzer initiierte 1971 die Selbstbezichtigungskampagne, bei der 374
Frauen im Stern erklärten: "Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für
jede Frau dazu." Der Anspruch auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper
beinhaltet bis heute die Kritik an einer männerdominierten Medizin, die
Organisierung eigenen Wissens und die Entwicklung auf Frauen abgestimmter
schulmedizinischer Behandlungsmethoden und Medikamente, sowie alternativer
medizinischer Ansätze.
Eine Frauenbewegung sehe ich heute nicht. Aber eine vielfältige,
interessante Szene von Frauennetzwerken und Projekten. Auch wenn Frauen heute
oft kleine Brötchen backen, so tun viele von ihnen dies immerhin in der eigenen
Bäckerei.
Schwerpunktthema auf den Seiten 7 bis 11