ALTERNATIVE PRINTMEDIEN
Verlagsgenossenschaften
- Erhalt einer politischen Kultur- & Medienlandschaft als
Unternehmenszweck
Grafik: Thomas J. Richter
Die Geschichte der genossenschaftlichen
Selbsthilfe beinhaltet zweierlei: die solidarische Übernahme von Lebensrisiken
durch Formen kollektiver Selbstversorgung und die Entwicklung einer politischen
Kultur, die die Hoffnung auf menschenfreundliche Perspektiven am Leben hält.
Verlagsgenossenschaft "Freiheit", Berlin, Verlagsgenossenschaft
"Freies Volk", Bern, Verlagsgenossenschaft "Neue Erde",
Wien, Verlagsgenossenschaft "Volksstimme", Hagen, "Realotopia"
Verlagsgenossenschaft, Zürich - die Namen sprechen Bände, auch wenn sie
Vergangenheit sind. Sie drücken die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft aus.
Für letzteres hatten Kultur- und Bildungsgenossenschaften einen wichtigen
Stellenwert. Können heutige Medien- und Verlagsgenossenschaften an diesen
Wurzeln anknüpfen?
Burghard Flieger, Red. Genossenschaften - Viele der
aktuell existierenden Verlagsgenossenschaften weisen Überschneidungen mit ihren
historischen Vorläufern auf. Dies gilt vor allem, wenn die Herausgabe von
Printmedien im Vordergrund steht. Insofern greifen Darstellungen, die sie als
Konsum- oder Dienstleistungsgenossenschaften einordnen, zu kurz. In Wirklichkeit
sind sie Kulturgenossenschaften. Sie halten Medien aufrecht, die in der
Kommerzlandschaft nach herkömmlichen Marktregeln keine Chance hätten. Ihre
UnterstützerInnen wollen nicht nur eine Zeitung, in der ihnen aktuelle
Nachrichten sorgfältig aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. Nicht die
Information als Ware ist das Produkt, sondern das Aufrechterhalten von
politischen Denk- und Diskussionskulturen, die im Zuge der Erfahrungen
"alles ist käuflich und verkäuflich" unterzugehen drohen.
Betteln als Firmenzweck
Im Zuge ihrer ständigen Professionalisierung und dem dauerhaften Zwang der Ökonomie
stehen sie deshalb in einem Zwiespalt, den vieler ihrer Akteure vermutlich nicht
wirklich durchdringen. Dilettantismus, politische Fehlgriffe, schlechte
Preis-Leistungsverhältnisse oder Unvollständigkeit werden ihnen verziehen.
Geht ihnen aber die Auseinandersetzung, das Ringen nach Wahrheiten, das
Anstossen neuer Sichtweisen oder einfach nur die politische Kultur verloren,
verlieren sie für
die Leserinnen und Leser ihren Sinn. Insofern können Technik, Outfit und gute
Schreibe noch so sehr an Perfektion gewinnen, wenn der innere Drang, Politik zu
betreiben, nicht mehr zu spüren ist, überleben sie sich - die im
Vorspann aufgeführten Verlagsgenossenschaften sind Beispiele hierfür.
Im Schwerpunkt werden die aktuell bekannteren Mediengenossenschaften im
deutschsprachigen Raum dargestellt. Sie weisen zahlreiche Parallelen in ihrer
Geschichte, den Richtungsstreits, den technischen und inhaltlichen Innovationen,
bei der permanenten Geldnot und dem unverhohlenen Betteln um finanzielle
Ressourcen auf. Nur die Druckereigenossenschaft TC DRUCK, die aus der Zeitung Tübinger
Chronik hervorging, ist hier eine Ausnahme. Als Produktivgenossenschaft stand
sie jahrelang wirtschaftlich auf gesunden Beinen durch enge vertragliche
Zusammenarbeit mit einer lokalen Tageszeitung. In Relation zu den übrigen
dargestellten Zeitungsgenossenschaften konnte sie trotz hohen technischen
Innovationsdrucks eher ein "gemütliches" Dasein pflegen.
Die Macht den Produzenten
Bei der zweiten eindeutigen Produktivgenossenschaft, der Schweizer WOZ, ist
dies ebenso wenig der Fall wie bei der taz und der jungen Welt. Auch die gerade
erst neu entstandene Göttinger Wochenzeitung dürfte, wenn sie das Überleben überhaupt
hinbekommt, zu den Dauertrommlern für Spenden gehören.
Solange alle Verlagsgenossenschaften ihren Beitrag zu einer politischen Kultur
in Deutschland verdeutlichen können und diesen auch ausfüllen, haben sie
zumindest Chancen, den einen oder anderen "Almosen" zu erhalten. Unter
diesem Blickwinkel ist die WOZ der "ehrlichste" Ansatz. Als
Produzentengenossenschaft muss sie nicht alle möglichen Abschottungen von
Redaktion und Vorstand gegenüber den Konsumenten betreiben. Für diese bietet
sie den Ideal- bzw. Förderverein
als angemessene Organisationsform an. Hier kommt gar nicht erst der Verdacht
auf, dass die Gelder, die zur Verfügung gestellt werden, etwas anderes als
Spenden oder verlorene Zuschüsse sein könnten - für die Aufrechterhaltung
einer politischen Kultur- und Medienlandschaft.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10