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EIN BEITRAG ZUR MEDIENPOLITISCHEN ABSTINENZ DER
LINKEN IN DER BRD
Freies Radio nur im Dreyeckland?
Die Entwicklung seit
April 1985:
Vor genau einem
halben Jahr, im April '85, begann Radio Dreyeckland (RDL) aus einem offenen
Studio in Freiburg zusenden, instandbesetzte ,,seine" Frequenz, um Freies
Radio in der BRD zu machen und möglich zu machen (zur Geschichte von RDL siehe
Kasten). Im bundesweiten Aufruf zu diesem Freiburger Sendestart hieß es:
"Wenn
wir Freies Radio auch in der BRD machen wollen, müssen wir irgendwo eine
Bresche in die Mauer der Unmöglichkeit schlagen," und "Aufruf an
alle, die es satt haben, nur ohnmächtig hinter den Fortschritten der
kommerziellen Medien herzukläffen: Hört auf zu jammern - setzt Euch in
Bewegung.... Wir wollen Euch zeigen, daß Kommunikation auch etwas anderes sein
kann, als digitalisierte Impulse einer Glasfaser. Und wir wollen gemeinsam
überlegen, wie wir noch mehr Breschen in die Mauer schlagen können." (1)
Von Traudel Günnel, Freiburg
- Viele kamen im April. 5 Tage lang
konnte RDL und seine Freunde/innen Radio gestalten, ganz öffentlich, mitten in
einem für alle zugänglichen Ort in Freiburg.
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Theo Pinkus und Gerd Röscher berichteten über die
Arbeiterradiobewegung in der Weimarer Republik, |
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Hausbesetzer und Mieter aus Freiburg trafen
sich zur Radiodiskussion "schöner, billiger wohnen", |
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tägliche Nachrichten, in denen Betroffene zu
Wort kamen, in denen anderweitig unterdrückte Meldungen zu hören waren |
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und natürlich Musik. |
In der Erinnerung erscheint das eine oder andere
vielleicht zu rosig, sicher manche Sendung war holperig, da und dort war die
Übertragung technisch nicht einwandfrei – aber: Freies Radio funktionierte
und konnte in Freiburg Leute begeistern, die sich an Sendungen beteiligten, die
einfach mal beim Studio vorbeischauten, die anriefen, und ihre Solidarität
erklärten.
Nach 5 Tagen wurde das Freiburger Studio von RDL
durch mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei geschleift – ein Sender
wurde weder gefunden noch beschlagnahmt. Die Polizeiaktion war begleitet von der
Live-Berichterstattung durch RDL, das aus einem geheimgehaltenen Studio
weitersendete.
Über 3.000 Menschen demonstrierten am
darauffolgenden Tag unter den Losungen: "Eine Frequenz für RDL",
"Kein Kommerz auf Megahertz", "Zulassung Freier Radios in der
BRD", in der Freiburger Innenstadt. Trotz aller Kriminalisierungsversuche
(insgesamt bisher 10 Hausdurchsuchungen und 7 ED-Behandlungen) ließ es sich RDL
nicht nehmen, immer wieder aus Freiburg öffentlich zu senden, zuletzt wieder
konzentriert eine Woche im Juli täglich jeweils 2 Stunden aus wechselnden
Räumen, die politische Gruppen in der Region dem Radio als Asylgebäude zur
Verfügung gestellt hatten. Die Sendungen wurden jeweils von verschiedenen
Gruppen getragen, Friedens-, Öko- und Dritte-Weltgruppen waren genauso
beteiligt wie politische Vereinigungen oder Parteien, wie die Friedensliste, die
Grünen, die örtliche SPD.
Auch während der Sommersendewoche fuhr die Polizei
einen Großeinsatz gegen das Freie Radio und mußte ein weiteres mal
unverrichteter Dinge abziehen. Am folgenden und 2 weiteren Tagen war RDL wieder
zur gewohnten Stunde zu hören, an diesen Tagen vor der Sommerpause unbehelligt
durch bewaffnete Polizei, aller Wahrscheinlichkeit nach aber gut beobachtet
durch Polizisten in Zivil.
Gegenwärtig nähert sich nun das Ende der Sommersendepause. Es
stellt sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen des Radios danach, ob es
gelungen ist, diese Bresche in die Mauer zuschlagen.
Medienpolitische
Handlungsperspektiven der Linken?!
Festzustellen ist: RDL wird vermißt! Wie oft hört man in
Freiburgs Kneipen, auf der Straße, unter Bekannten: "Was ist denn los, man
hört RDL ja gar nicht mehr!" Und RDL wird, trotz aller Anstrengungen von
Seiten der Staatsanwaltschaft unterstützt. Es liegen jetzt bereits viele
Anfragen von Gruppen vor, die ab Herbst wieder Sendungen im Freien Radio
gestalten wollen. Freies Radio als Mittel freier Kommunikation, unzensiert,
authentisch, kontrovers, die Erfahrungen, die zu entfaltenden Möglichkeiten mit
diesem Medium sprechen für sich.
Aber es gibt auch die Skeptiker. "Alle
Bewegungen sind nahezu tot, was ist mit dem Häuserkampf, dem Anti-AKW-Kampf,
der Friedensbewegung oder gar dem Antimilitarismus? Ausgepufft; und da will RDL
eine Radiobewegung entfalten? Sind die RDL-Leute Idealisten/innen, Narzisten/innen
oder nur naiv, wenn sie glauben, Freies Radio in so einer Zeit durchsetzen zu
können?"
Bundesweit scheint sich in der Mediendiskussion vor
allem diese Resignation der Linken durchgesetzt zu haben. Medienpolitik ist zwar
"in", aber fast unwidersprochen wird sie bestimmt durch die
Kooperation der Giganten, durch die Häuser Springer, Burda, Bertelsmann,
Holtzbrinck und andere große Verleger, durch die Multis der Elektronikbranche,
durch Postminister Schwarz-Schilling mit seinen befreundeten Kabelfirmen und
Politikerkollegen. So forderte Schwarz-Schilling Anfang September eine
"liberale Handhabung" des Fernmeldeanlagengesetzes, damit auch
Privatunternehmen statt der Post selbst verkabeln dürfen und als Betreiber
technische Standards und auch Gebühren dieser Netze selbst festlegen können. (2)
Und der medienpolitische Sprecher der CDU im Baden-Württembergischen Landtag,
von Trotha, führt zu den Zielen der gesamten Medienpolitik aus, "... daß
es bei der Zulassung privater elektronischer Medien um eine 'machtpolitische
Frage ersten Ranges' gehe. 'Für viele Menschen gilt nicht das, was ist, sondern
ihre Meinung über das, was ist – und wer prägt hat die Macht. c Die
Kommunikation sei der 'Kitt der Gesellschaft', die Medien bestimmten häufig die
Tagesordnung der Gesellschaftg (3).
Das jetzt bereits bundesweit in die Kabelnetze
eingespeiste private Fernsehprogram SAT 1 läßt Schlüsse auf die bevorstehende
Meinungsvielfalt zu.
(siehe dazu folgenden Zeitungsartikel):
Die
erste deutsche private TV-Station, SAT l, sendet seit 1. Januar; die Signale
kommen von dem Satelliten ECS l und werden von der Post in die Kabelnetze
geleitet - täglich zehn Stunden. Bankleute und Lebensmittelverkäufer haben
dort das Sagen: Knappe 60 Prozent des SAT-1-Programms kommen von der PKS
(Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk), einem Zusammenschluß
der Volks- und Raiffeisenbanken mit den Handelsketten Rewe und Edeka. Die PKS
hat sich auf Popmusik, Unterhaltungsserien und Spielfilme spezialisiert. Die
zweitstärkste Gruppe von SAT l heißt APF (aktuell Presse Fernsehen, 14,8
Prozent an SAT l). Sie besteht aus 165 deutschen Zeitungsverlagen. Über ein
Drittel dieser Gruppe gehört dem Axel-Springer-Verlag.
Springer ist auch noch mit
4,6 Prozent an Unterhaltung, Sport und Quiz beteiligt. Magazine betreut der
Burda-Verlag in Offenburg, er befaßt sich mit Männern, Urlaub, Freizeit.
Dagegen widmet sich die Verlagsgruppe Bauer der Jugend und den Frauen (Stars,
Küchen, Kosmetik und Mode). Für Kinder ist bei SAT l der Ravensburger Verlag
Otto Maier zuständig (2,5 Prozent). Die Wirtschaft wird von der Holtzbrinck -
Gruppe (,,Handelsblatt", ,,Wirtschaftswoche") wahrgenommen: ,,WM"
heißt ihr Wirtschaftsmagazin. Die beiden großen Kirchen besetzen sonntags
abwechselnd fünf Minuten. Über die Pilot-Medien-GmbH haben der Deutsche
Industrie- und Handelstag und der Bundesverband der Deutschen Industrie Einfluß
auf dieses Programm.
aus Bad. Zeitung 5./6.6.85 (4)
In Baden-Württemberg wird dieses Fernsehprogramm
bereits in die Kabel eingespeist, obwohl noch keine gesetzliche Grundlage durch
ein Landesmediengesetz existiert, welches der Rechtsprechung durch das
Bundesverfassungsgericht (3. Fernsehurteil von 1981) entspricht.
Unlängst fand in Berlin die Funkausstellung statt,
auf der die oben angerissene Entwicklung Programm war. Bildschirmwände mit 55
Programmen gleichzeitig, prognostizierte Realität ab 1990 dank dem
Hybrid-Satelliten "Coronet", das Kabel macht's möglich.
Medienvielfalt als Medieneinfalt, Gleichschaltung der Information und Kultur.
Die Folgen dieser sich abzeichnenden Entwicklung werden allenthalben an die Wand
gemalt, man/frau kennt sie und quält sich beim Gedanken daran in Agonie,
verhält sich "postmodern" und findet Gegenöffentlichkeitsstrategien
"altmodisch".
Parallel zur Funkausstellung fand in Berlin die
"Internationale Bild- und Tonstörung" statt. Aus dem Programm:
„aus Anlaß der Internationalen Funkausstellung
und dem Start des Berliner Kabelpilotprojekts, aus Anlaß der massiven
Kommerzialisierung unserer Lebenswelt, der Massenmedien und der Kultur,
aus Anlaß der sich ankündigenden tiefgreifenden
gesellschaftlichen Umwälzung durch den Einsatz neuer Technologien,
aus Anlaß dieser eindimensionalen Technologie- und
Gesellschaftsentwicklung ist es an der Zeit, unsere Kritik zu formulieren und
Alternativen zu denken, zu leben, zu fordern." (5)
In den Arbeitsgruppen zum Thema "Legal-illegal
oder wie erkämpft man/frau sich das Recht auf Freies Radio" oder
"Perspektive und Utopien für Freie Radios in der BRD und Westberlin"
setzte sich die Skepsis fort:
„Sollen wir nicht lieber uns einen
Teil vom Kabel kaufen, um überhaupt etwas zu tun? Können wir nicht den Marsch
durch die Institutionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks antreten? Sind
freie Radios nur möglich als Aktionsradios aus der Illegalität, getragen von
einer kleinen konspirativen Gruppe?
Ja, im europäischen Ausland (Schweiz, Niederlande,
Dänemark, Frankreich, Italien) da sind Freie Radios möglich, weil da auch
andere politische Verhältnisse herrschen! (Mußten diese Radios nicht erkämpft
werden?)
Ja, Radio Dreyeckland ist ja fast so etwas wie ein
ausländisches Radio, es konnte von Frankreich aus senden, früher, und entstand
schließlich in einer bewegungsschwangeren Zeit, in der Blüte des
Anti-AKW-Kampfes um Wyhl!
Ja, wären wir 50 Leute, dann könnten wir
vielleicht auch mal an Freies Radio in unserer Stadt denken, aber mit so
wenigen...!"
Es scheint so, als ob sich bundesweit unter den Linken wirklich der
medienpolitische Jammerzustand hält - ganz abgesehen von den Einsteigern ins
System, deren ,,Eingekauft werden" wohl nur eine Frage der Zeit sein kann.
Konsequenzen für
Radio Dreyeckland
Und dennoch - RDL hämmert weiter an seiner Bresche
in der Mauer, um durchzusetzen, daß es unverfolgt senden kann. Denn nur so ist
Freies Radio als Radio, in dem Hörer/innen massenhaft zu Radiomachern/innen
werden, möglich. Bewegungslose Zeiten sind Zeiten der Bewegung für und von der
Reaktion; sind da nicht die wahren Idealisten/innen diejenigen, die auf bessere
Zeiten warten?
In Baden-Württemberg - und da vor allem in
Freiburg spitzt sich in der Medienpolitik z. Zt. Die Auseinandersetzung auf die
Frage zu: Gelingt es der CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident L. Späth
samt ihrer verschiedenen Helfer bei Polizei und Staatsanwaltschaft, RDL und alle
Forderungen nach Zulassung Freier Radios in allernächster Zeit zum Schweigen zu
bringen, um so in Ruhe ihr Landesmediengesetz zu verabschieden (siehe Kasten),
und in dessen Folge ungestört in Rundfunk und Fernsehen dem privaten Kommerz
Tür und Tor zu öffnen? Oder bleibt RDL ein Faktor, getragen, van der,
Bevölkerung der Region und von vielen Sympathisanten/innen im Land, an dem die
Landesregierung, wenn auch zähneknirschend, bei der im Frühjahr 86 anstehenden
Frequenzvergabe nicht vorbeikommt. Damit wäre allerdings die Grundlage
geschaffen für weitere Ansprüche, die vielleicht von Freunden/innen des Freien
Radios überall im Land gestellt würden. Die hiervon ausgehende Gefahr einer
Meinungsfreiheit im Äther für die Herrschenden ist leider ablesbar an der
massiven Einschüchterung und versuchten Kriminalisierung. Von den Linken als
Handlungsmöglichkeit aber leider weder er- noch be-griffen.
RDL hat sich dafür entschieden, ein Faktor zu bleiben. Seit
geraumer Zeit läuft in der Region eine Unterschriftensammlung unter den
Forderungen nach Einstellung der Kriminalisierung und Erteilung einer Frequenz.
RDL ist initiativ geworden, um einen Verband aller
Initiativen und Interessenten für Freie Radios in Baden-Württemberg zu
gründen. Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Radiokreisen zu vernehmen, wird
in der letzten Oktoberhälfte der Sendebetrieb aus Freiburg wieder aufgenommen.
Denn was ist ein Freies Radio, das nicht zu hören, nicht zu benutzen ist!
Natürlich wird es unter den beschriebenen, von
oben diktierten Bedingungen nicht so einfach sein, attraktives Radio
regelmäßig und rund um die Uhr zu machen.
Aber es ist, wie bereits zweimal bewiesen, auch
nicht so einfach, RDL zum Schweigen zu bringen, oder den Äther zu räumen.
P.S.: An alle, die Aufgrund dieses Berichtes und
der verbreiteten Resignation zum Trotz, doch Lust bekommen haben, auch an einer
Radiobresche zu klopfen:
Hört, macht, unterstützt Freie Radios! Gründet
Radio-Initiativen vor Ort und tretet in Kontakt mit
Radio Dreyeckland, c/o Fabrik für Handwerk und
Ökologie, Habsburger Str. 9, 7800 Freiburg
Literaturverzeichnis:
1) Aufruf des Freundeskreises RDL zum Freiburger
Sendestart, April '85
2) Badische Zeitung vom 10.9.85
3) Badische Zeitung vom 6.7.85
4) Hanno Kühnert: Privates Fernsehen - einer
einzigen Gruppe ausgeliefert, in: Badische Zeitung vom 5./6.6.85
5) Programm der Internationalen Bildstörung,
Berlin, August 1985
6) T. Günnel: Die Frequenzbesetzung von Radio
Dreyeckland, in: Medium, 4 und 5/85
7) Radio Dreyeckland, eine Frequenz jetzt!
Broschüre des Freundeskreises RDL Freiburg, August '85 |