SOLIDARISCHE ÖKONOMIE
Kultur der Kooperation
Women wigwaming flax, 1944, Growers
Cooperative near Monroe, Oregon
Wie immer in Krisenzeiten nimmt das
Interesse an alternativen Wirtschaftsformen zu.Welche Erfahrungen wurden in der
Vergangenheit gemacht, und welche Projekte gibt es heute? Was sind ihre
gesellschaftlichen Funktionen, und wie können sie kooperieren, um gemeinsam
stärker zu werden?
Von Elisabeth Voß, Redaktion Berlin #
Seit Jahrzehnten taucht immer wieder die Idee auf, dass es gut wäre, wenn sich
die verschiedenen Betriebe, Projekte und Initiativen anderen Wirtschaftens
vernetzen würden. So entstand auch CONTRASTE 1984 aus der Projektemesse
»Ökologisch leben, friedlich arbeiten in einer selbstbestimmten Gesellschaft«
in Oberursel. Eine breitere Vernetzung ist bisher nicht gelungen. Im März 2012
geht es nun nach Kassel zum »Forum Solidarische Ökonomie«.
Schon immer geht es in politischen Diskussionen um
wirtschaftliche Selbsthilfe auch um die Frage, ob sie mehr sein kann, als ein
Nischenphänomen zur Hilfe in der Not: Hat sie das Potential, das System der
dominanten, profitorientierten Wirtschaftsweise zu sprengen? Oder lenkt sie eher
ab von politischen Fragen, verhindert vielleicht das Aufbrechen
gesellschaftlicher Konflikte, und hat insofern eine systemstabilisierende
Funktion? Und passen nicht Selbsthilfe und Eigenverantwortung hervorragend zum
Abbau des Sozialstaats, dessen gravierendste Auswirkungen hierzulande dank
Schuldenbremse vermutlich noch bevorstehen?
Auch in der Frage staatlicher Unterstützung gibt es
unterschiedliche Auffassungen. Während jedoch in den 1980er Jahren die
Staatsknetedebatte recht grundsätzlich geführt wurde, scheint sie heute eher
pragmatisch verhandelt zu werden. Nach wie vor sind die Rahmenbedingungen für
genossenschaftliche Unternehmungen in unterschiedlichsten Rechtsformen –
zumindest in Deutschland – eher schwierig. Ob sich das im internationalen
»Jahr der Genossenschaften 2012« ändern wird? Was kann von der EU erwartet
werden?
Brasilien hat schon 2003 ein Staatssekretariat für
Solidarische Ökonomie eingerichtet. Unterstützt durch Caritas, Gewerkschaften
und Universitäten entstehen Genossenschaften, um Arbeitsplätze zu schaffen und
die Armut zu besiegen. Gleichzeitig nimmt das Landgrabbing und die Zerstörung
des Regenwaldes im Amazonas-Gebiet zu – häufig gegen den erbitterten
Widerstand der Einheimischen und unter Anwendung tödlicher Gewalt. Die taz
berichtete Anfang Januar unter Berufung auf das brasilianische
Arbeitsministerium: »In Brasilien gibt es so viele Arbeitssklaven wie noch nie.
Farmen oder Baufirmen verweigern tausenden Arbeitern Mindestlohn und Hygiene«.
Wenn Selbsthilfeinitiativen über den Nutzen für ihre
Mitglieder hinausgehende gesellschaftliche Wirkungen erzielen wollen, dann
werden sie nicht umhin kommen, miteinander zu kooperieren. Ebenso wie innerhalb
von Gruppen ist auch die Kooperation zwischen Projekten wesentlich abhängig von
der Art und Weise, wie die Menschen darin miteinander agieren – eben von der
Kultur der Kooperation.
Wenn es gelänge, dass größere Teile der
unterschiedlichen Unternehmungen und Projekte anderen Wirtschaftens ein
gemeinsames Selbstverständnis entwickelten, und wenn sie sich darüber hinaus
als Teil sozialer Bewegungen für eine global gerechte Gesellschaft begriffen,
und in diesem Sinne gemeinsam agierten, dann könnten vielleicht
solidarwirtschaftliche Vorhaben in größerem Maße als bisher entstehen. Um ihr
transformatorisches Potential zu entfalten, bräuchten sie einen offenen und
aktiven Umgang mit ihrem Doppelcharakter als tendenziell systemstabilisierende
Nothilfe-Reparaturbetriebe und gleichzeitig Keimformen einer anderen Welt.
Solidarische Ökonomie ist keine Heilslehre, keine Idee, die der Vermarktung
bedarf, sondern eine vielfältige und widersprüchliche Realität, die glaubhaft
in eine größere Öffentlichkeit getragen werden sollte. Eine Kultur der
Kooperation braucht Raum für solidarische Kritik und die Bereitschaft und
Fähigkeit, Ambivalenzen zu benennen und ihr Fortbestehen auszuhalten.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10
SCHWERPUNKTTHEMA
Die Soziale Solidarische Ökonomie in der Wirtschafts-
und Finanzkrise (Teil 2)
Seite 7
Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
Seite 8
Forum Solidarische Ökonomie – Kultur der Kooperation
Seite 8
Über das Scheitern von Vernetzungsversuchen
Seite 9
Genossenschaftsgründung als Bildungsprozess. Über die
Rolle der Innovationswerkstätten (»Incubadoras«) für Solidarische Ökonomie
in Brasilien
Seite 10
Forschungsarbeit zu Utopie und Praxis: Kritischer Blick
auf Solidarische Ökonomie in Brasilien
Seite 10