JUGEND & JUGENDKULTUREN ZWISCHEN RECHTSEXTREMISMUS, ANPASSUNG &
EMANZIPATION
Fuck the System ?
- Versuch einer Einführung in ein endloses Thema
Jugend hat in der europäischen Geschichte
immer schon bewegt: Vor allem die, die nicht mehr jugendlich waren. Die
Erwachsenen. Sie vergötterten die Schönheit der Jugend, ihre Vitalität; und
sie verdammten die aufmüpfige Jugend, die keine Tugenden mehr lebte, frech und
verkommen war. So geschehen bereits im alten Rom, zu Zeiten des Catilina.
Von Roman Schweidlenka - Heute klagen wir - d.h.
"unsere" Kreise - über eine meist unpolitische Jugend. Der
PolitkerInnen einfach am Arsch vorbeigehen. Die sich viel weniger in politischen
Parteien engagieren als in früheren Jahren. Wofür sie vermutlich auch gute
Gründe haben. Aber war es in "unserer" Zeit, von 1968 aufwärts, denn
"die" Jugend, die gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, sich die Haare
lang wachsen ließ, für eine freie Sexualität schwärmte und sich Kommunen und
WGs zuwandte? Die neue Utopien, neue Weltbilder träumte und mit Lebensformen
experimentierte, die die satte Spießerwelt zu Hassausbrüchen und Warnungen vor
dem Untergang des Abendlandes motivierte? Für unsere viel beklagte Gegenwart
möchte der Beitrag von Klaus Breuss Mut machen (auf Seite 7).
Nein, es waren, wenn ich mich recht zurück erinnere, nicht alle - einige
waren es, die damals die Fahne der Rebellion und eines neuen freien
Lebensgefühls engagiert voran trugen. Die meisten schliefen ihren burgeoisen
Traum von Geld, heiler Kleinfamilie und Karriere. Und schon bald regte sich an
den gesellschaftlichen Rändern die andere Partie: Die ersten jugendlich-
rechten Unkenrufe quakten aus einem immer noch braunen Sumpf.
Sind nicht jene gar nicht so wenigen Jugendlichen, die sich der zur neuen
Religion verklärten Leistungsneurose verweigern, die auf ihre Art aussteigen,
die, wie ich immer wieder hören kann, erkannt haben, dass mit ehrlicher Arbeit
keine/r begütert, wohlhabend oder gar reich wird, man damit bestenfalls (!)
überleben kann, auf ihre Art politisch? Ihr "Fuck the System!" mag
tiefgründiger sein als so manches brave, biedere Engagement in etablierten
Parteistrukturen.
Und wenn wir von der Politikverdrossenheit der Jugend - eigentlich ist es
eine PolitikerInnenverdrossenheit - klagen: Wie viele Erwachsene engagieren sich
für Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit und nicht nur für ihren kleinen
ängstlichen Vorteil?
Viele PolitkerInnen zelebrieren, wie es der Soziologe Bernhard Heinzlmaier in
seinem provokanten Beitrag "Jugend unter Druck" dargelegt hat, die
Botschaft: Selbstinszenierung auf Events, die Sucht nach Medienpräsenz,
Verrenkungen für Ego, Gier, Profitund Machtbesessenheit. Inhalte? Klare
Politische Programme? Die sind für viele Jugendliche kaum erkennbar. Sollen sie
besser sein als die medial hoch gepuschten "Vorbilder"? Die moderne
Sinn-Botschaft im Sinn der Mächtigen und Superreichen ist: Kümmere Dich brutal
nur um Dich, Deinen Erfolg, Deine Karriere, sei unsolidarisch und scheiße auf
die Anderen. Sei isoliert. Der Beitrag von Peter Scheibengraf (auf Seite 9)
weist darauf hin. Mein Respekt gilt jenen Jugendlichen, die aus dieser
neoliberalen Dunstglocke und menschenverachtenden Ideologie ausbrechen und neue,
emanzipierte, solidarische, künstlerisch offene Wege und
Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Stellvertretend für viele: Raphaela
Buschenreiter, mit einem Beitrag auf Seite 9 in dieser Ausgabe. Dazu gibt es
auch ein Interview mit "Impuls Aussee" (auf Seite 8).
Es gibt nicht "die" Jugend. Die gab es schon 1968 und die
Jahrhunderte davor nicht. Ein bäuerlicher Jugendlicher des 14. Jhdts. hatte
herzlich wenig mit einem adeligen Spross gemeinsam. Heute ist die Zersplitterung
in Szenen, Jugendkulturen und Cliquen unübersehbar. Ausgehend von dieser
Tatsache kann und will die Schwerpunktnummer "Jugend" der CONTRASTE
kein umfassendes analytisches Bild von Jugend bringen. Aber Streiflichter sind
angesagt, Perspektiven von Jugendlichen, Jugendkulturen und JugendarbeiterInnen,
bunt soll es sein und lebendig.
Einen Schwerpunkt bilden die rechten Jugendlichen. Das hat einen guten Grund.
Es gibt bereits viel zu viele von ihnen. Und in viel zu vielen jugendlichen
Köpfen spuken ewiggestrige braune gedankliche Vampire, die der Strom der Zeit
und eine erfolgreiche (?) Demokratie eigentlich längst hätten wegspülen
sollen.
Schlimm, dass rechte Horrorgestalten in etlichen Jugendkulturen ihr Unwesen
treiben. Jugendkulturen waren und sind, wenn sie diese Bezeichnung verdienen,
autonome, selbst entworfene Lebens- und Kulturentwürfe junger Menschen, die sie
in kritischem Gegensatz zur Erwachsenenwelt, zur herrschenden Gesellschaft, zur
etablierten Kunst und Kultur setz(t)en.
Immer schon seit der Romantik versuch(t)en hell- und dunkelbraune Kräfte
jugendbewegte Menschen für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Vor
allem die Suche nach neuen spirituellen Formen, die immer wieder in den Gefilden
des Neuheidentums grasen ließ, wurde zur Einfallsschneise rechtsextremer
AgitatorInnen. Das war bei der deutschen Jugendbewegung ab 1900 nicht anders als
bei der Alternativbewegung der siebziger und achtziger Jahre und bei den
zeitgenössischen Gothics und Metalheads. Wenn es auch in diesen Jugendkulturen
(kleinere) antifaschistische Kräfte und Gruppen gibt, so ermöglicht doch die
große Masse der unpolitischen Szenenjugendlichen, dass rechtsextreme und
neonazistische AgitatorInnen einzelne Elemente der nationalsozialistischen bzw.
faschistischen Ideologie salonfähig machen können. Dazu gibt es das
"Merkblatt rechte Jugendliche " auf Seite 7. Und ein Interview mit dem
"Explosiv" auf Seite 8.
Eine breit gestreute politische Aufklärung ist angesagt, die Jugendliche,
Jugendverantwortliche und ganz allgemein die Gesellschaft erreicht. Dabei ist zu
hoffen, dass es eine Aufklärung gibt, die nicht nur den Kopf anspricht, sondern
auch Herz und Bauch, jugendliche Lebenswelten. Gleichzeitig ist es sinnvoll, als
Alternative ein neues Interesse an demokratischen Verhalten und Überzeugungen
zu wecken. Wenn man die moralisierenden, langweiligen Belehrungen, die
"uns" in jugendlichem Alter den Schlaf in die Augen trieben, dabei
vermeiden kann und lustige, aufregende, spannende, vielleicht sogar erotische
Methoden entwickelt, hat mensch sogar einige Chancen auf Erfolg.
Ich habe versucht, in diesem CONTRASTE-Schwerpunkt sowohl allgemein gültige
Erkenntnisse, Gedanken und Berichte zu publizieren, musste und wollte dabei
jedoch auf die spezifisch steirische Situation zurückgreifen. Die Steiermark
ist, dies sei den deutschen LeserInnen vorsichtshalber mitgeteilt, ist ein
Bundesland in Österreich. Neben den in dieser Nummer vorgestellten oder durch
Beiträge erwähnten Einrichtungen seien, stellvertretend für viele steirische
NGOs und Gruppierungen, noch der "Dachverband der offenen
Jugendarbeit", die "ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus" und
die "Plattform gegen antidemokratische Strömungen - für eine
demokratische Steiermark aktiv aufstehen", erwähnt. Einrichtungen, die als
eine wichtige Grundlage demokratischer Prozesse angesehen werden können.
Den AutorInnen und InterviewpartnerInnen der einzelnen Beiträge danke ich
für ihre selbstlose Arbeit für diesen CONTRASTE-Schwerpunkt.
ZUR PERSON
Roman Schweidlenka ist Leiter des LOGO ESO INFO, einer Beratungsstelle für
sogenannte Sekten, Okkultismus, Satanismus, Fundamentalismus (etc.) und
Mitbegründer des "Forums Politische Bildung - Steiermark" und der
"Plattform gegen antidemokratische Strömungen - Für eine demokratische
Steiermark aktiv aufstehen", Autor zahlreicher Bücher und Pressebeiträge,
unter dem Künstlernamen Michael Benaglio als Literat tätig.