Monatszeitung für Selbstorganisation
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EDITORIALSchulen für wen?Immer mehr sogenannte »Missbrauchsfälle« in Schulen kommen ans Licht – welch verharmlosende Bezeichnung, als gäbe es einen korrekten Gebrauch von Kindern – die zutreffende Bezeichnung »sexuelle Gewalt « wird in den Medien vermieden. Auf jahrzehntelanges Schweigen folgen öffentliche Betroffenheitsbekundungen. Am 11. März 2009 erschoss ein 17jähriger in Winnenden in seiner Realschule und auf der anschließenden Flucht 15 Menschen und dann sich selbst. Zum Jahrestag dieses Amoklaufs wurden mal wieder schärfere Waffengesetze gefordert. Der baden-württembergische Landtag beschloss ein 30-Millionen-Euro-Programm, vor allem zur Einstellung von 100 SchulsozialarbeiterInnen. Was haben sexuelle Gewalt und Amokläufe gemeinsam? Es gilt als normal, dass Forschung und Produktion in großem Maße direkt oder indirekt der Herstellung von Waffensystemen dienen, deren einziger Zweck darin besteht, Menschen zu töten. Dies nützt sowohl den Herstellern und Händlern für ihre Profite, als auch den Staaten, die diese Waffen einsetzen, zur Aufrechterhaltung oder Verbreiterung ihrer Macht. Eine Kritik am »militärisch-industriellen Komplex« ist selten geworden. Schulen bereiten junge Menschen auf ein Funktionieren in einem solchen Wirtschaftssystem vor. Statt Kinder und Jugendliche in der Gesellschaft willkommen zu heißen, sie als Menschen mit unabdingbaren individuellen Rechten respektvoll zu behandeln und ihnen einen Raum zur Entfaltung ihrer Potentiale anzubieten, wird von ihnen erwartet, sich anzupassen. Sie haben die Anforderungen zu erfüllen, ohne jedes Recht auf freie Gestaltung ihrer in der Schule zu verbringenden Lebenszeit, mit in den meisten Fällen nur sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Entwicklung von eigenen Interessen und Kreativität. Die Institution Schule räumt den Kindern und Jugendlichen nur marginale Mitbestimmungsrechte im Rahmen des Schulverfassungsgesetzes ein. Dabei sind sie existentiell abhängig vom in der Schule über sie gefällten Urteil, die Zeugnisse sind für ihren weiteren Ausbildungsweg entscheidend. Seit Deutschland wieder Kriege führt, ziehen Anwerber der Bundeswehr durch Schulen, um junge Menschen für den Militärdienst zu rekrutieren. Wo es kaum zivile Perspektiven gibt, ist eine Verpflichtung beim Militär mit garantierter Ausbildung und vergleichsweise gutem Einkommen verlockend, zusätzlich bringt jeder Tag im Auslandseinsatz Zuschläge. Für junge Männer verspricht der Dienst an der Waffe eindeutige Rollenbilder, Selbstvertrauen und Sicherheit in einer unsicheren Welt. Wer denkt da noch an »Soldaten sind Mörder« oder an die Rückkehr aus dem Krieg im Zinksarg? Sexuelle Gewalt wird ganz überwiegend von Männern ausgeübt, Opfer sind Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts. Amokläufer sind in der Regel männlich, die Opfer von Winnenden waren größtenteils weiblich. Solche Gewalttaten weisen unübersehbar auf gesellschaftliche Missstände hin. Solange eine Gesellschaft patriarchal strukturiert ist, solange sie Macht und Gewalt als Basis der Produktion und des gesellschaftlichen Lebens akzeptiert und fortlaufend reproduziert, bleiben Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt ebenso wie gegen Amokläufe hilfloses Herumdoktern an Symptomen. Theorien und Praxen Solidarischer Ökonomien versuchen an den Ursachen anzusetzen. Eine Wirtschaft, die den Menschen dient, in der Lebensnotwendiges hergestellt und dabei globale soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden, braucht auch andere Schulen – Freiräume für Kinder und Jugendliche als Keimformen einer anderen Welt. Elisabeth Voß |
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