BILDUNGSGENOSSENSCHAFTEN
Mitgliederförderung statt Bildungsindustrie
Nutzerorientierte Angebote erleichtern die Aneignung
sozialer und fachlicher Kompetenzen
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Schulgenossenschaften sind nicht zuletzt eine
Reaktion auf die Bildungsmisere. Die Schulgenossenschaft Scheeßel, die erste in
Deutschland,
diente bei ihrer Gründung dazu, überhaupt höhere Schulbildung auf dem Lande
zu ermöglichen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der
Genossenschaftsidee und dem Thema Bildung? Welchen Stellenwert gaben die Mütter
und Väter des Genossenschaftsgedankens der Kultur des Lernens? Können
Bildungsgenossenschaften bessere Konzepte der Qualifizierung anbieten als andere
Organisationsformen? Einfach lassen sich diese Fragen nicht beantworten, aber
auf jeden Fall spielte in den Anfängen des Genossenschaftswesens Bildung eine
zentrale Rolle.Welche Ansätze von Bildungsgenossenschaften in der
Bundesrepublik existieren, und ihre Einordnung in die »Bildungskette«, stehen
im Mittelpunkt der vorliegenden CONTRASTE.
Von Burghard Flieger, Red. Genossenschaften # Druckereien,
Kulturzentren, Zeitungen, Büchereien und vieles andere mehr sind Ausdruck der
Idee, dass soziale und fachliche Kompetenz Voraussetzung für eine Lösung der
sozialen Frage durch Genossenschaften sind. Liegt es da nicht nahe, auch
Bildungsgenossenschaften zu gründen, in denen die Vermittlung
unterschiedlichster Kompetenzen als Förderauftrag eine zentrale Rolle spielt?
Auch wenn sich das deutsche genossenschaftliche
Verbandswesen heute immer wieder auf Schulze-Delitzsch und Raiffeisen bezieht.
Deren Selbstverständnis und Leitbilder werden in der Realität stark
vernachlässigt. Für Beide war Bildung eine entscheidende Grundlage, um das mit
den Genossenschaftsgründungen verfolgte Ziel einer allgemeinen Hebung des
Wohlstands zu stützen. Schulze-Delitzsch verstand sich als »Förderer der
allgemeinen Volksbildung« und Raiffeisen sah »Bildungsarbeit als integralen
Bestandteil der Genossenschaftsarbeit«. Insofern lässt sich festhalten: Die
Einrichtung von Bildungsvereinen oder gegebenenfalls auch von
Bildungsgenossenschaften war den Ideengebern für das heutige
Genossenschaftswesen in Deutschland ein wichtiges Anliegen.
In den heutigen Prinzipien des Internationalen
Genossenschaftsbundes (IGB) ist dieses Anliegen bereits erheblich abgeschwächt.
Dort heißt es unter Punkt 5.: »Erziehung und Ausbildung der Mitglieder sowie
Information der Öffentlichkeit«. Gemeint ist damit vor allem, dass die
Genossenschaften eine Aus- und Fortbildung ihrer Mitglieder gewährleisten. Sie
ermöglichen so ihren gewählten Vertretern, ihren Geschäftsführern und
Angestellten, zur Fortentwicklung ihrer Genossenschaft wirksam beizutragen.
Darüber hinaus soll auch die Öffentlichkeit informiert werden. Ziel ist es,
besonders der Jugend und meinungsbildenden Multiplikatoren Kenntnisse über Art
und Vorzüge der Genossenschaft zu vermitteln. Dies geschieht in Deutschland
gegenwärtig sehr intensiv. Mit zahlreichen Aktivitäten im Rahmen des
Internationalen Jahrs der Genossenschaften wird erstmals seit langem für die
Genossenschaftsidee breit geworben.
Die Einführung in den Schwerpunkt enthält drei Teile.
Im ersten Schritt werden Zusammenhänge mit der Genossenschaftsgeschichte und
den Idealen der Genossenschaftsbewegung zum Thema Bildung aufgezeigt.
Anschließend geht es darum, den Bildungsbegriff zu konkretisieren. Was gehört
dazu und welchem Bildungsanspruch können Bildungsgenossenschaften überhaupt
gerecht werden. Deutlich wird dabei, dass einzelne Genossenschaften immer nur
Teilbereiche abdecken. Das Denken in Bildungsketten und damit die Verknüpfung
zu einem Ganzen, aus dem ein Bereich herausgegriffen wird, in dem besondere
Bedarfe oder Defizite gesehen werden, liegt insofern nahe. Ein Überblick, wo
Bildungsgenossenschaften bisher existieren und was sie mit ihren Aktivitäten
abdecken, runden den Einleitungsteil ab.
Anschließend folgen vier Beispiele.
Schulgenossenschaften blicken bereits auf eine gewisse Tradition zurück.
Entsprechend wird die älteste Schulgenossenschaft in Deutschland, die
Eichenschule Scheeßel eG, dargestellt. Sie entstand auf dem Lande nach dem
zweiten Weltkrieg. Das zweite Beispiel kommt aus dem Zusammenhang der
Waldorfschulgenossenschaften. Diese waren die ersten, die im Bildungssektor
verstärkt auf die Rechtsform der Genossenschaft zurückgriffen. Die beiden
anderen Praxisbeispiele stellen das Thema Vernetzung unterschiedlicher
Bildungsanbieter in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Bei der
Bildungsgenossenschaft Südniedersachsen, kurz BIGS, sind es vor allem
Bildungsangebote für Migranten und Beratungen für
Qualifizierungsinteressierte, durch die Unterstützung der Mitglieder erfolgt.
Dagegen übernimmt die Lippe Bildung eG für ihre Region Pionierarbeit durch
neue Bildungsangebote mit technischer und internationaler Ausrichtung.