SCHWERPUNKTTHEMA:
ANDERS ARBEITEN - ODER GAR NICHT?!
Selbstbestimmte Arbeit gemeinsam organisieren
Im
Vorfeld des Berliner Kongresses »Anders arbeiten - oder gar nicht!?« gab es
bereits Diskussionen darum, ob der Begriff »3. Sektor« überhaupt in diesem
Zusammenhang benutzt werden sollte. Das Spektrum, das gemeinhin unter diesem
Begriff subsumiert wird, reicht vom ADAC und den großen Wohlfahrtsverbänden
bis zu regionalen Tauschringen und politischen Initiativen.
Elisabeth Voß, Berlin -
»3. Sektor« bedeutet einzig und allein, daß es sich
weder um Wirtschaftsbetriebe mit Gewinnerzielungsabsicht noch um staatliche
Einrichtungen handelt. Weitere formale oder gar inhaltliche Kriterien sind damit
nicht benannt, und die Arbeitsverhältnisse im »3. Sektor« reichen von
hochdotierten Geschäftsführungsposten bis zu unbezahltem Engagement.
Jenseits von entfremdeten
Lohnarbeitsverhältnissen in profitwirtschaftlich orientierten Unternehmen sind
verschiedenste Formen bezahlter und unbezahlter Arbeit möglich. Das Anliegen
des Berliner Kongresses ist es, Ideen und Forderungen zu Rahmenbedingungen zu
entwickeln für Arbeitsmöglichkeiten, die von Form und Inhalt her von den
Arbeitenden selbst bestimmt werden.
Das vielbeschworene Ehrenamt
Das endgültige Verschwinden der
Vollbeschäftigung als realpolitische Zielsetzung bringt lauter werdende Rufe
nach ehrenamtlichem Engagement, Gemeinsinn, »Bürgerarbeit« etc. hervor. Nicht
daß es sie bisher nicht gäbe. Millionen Frauen leisten täglich unendliche
Stunden unbezahlte Haus- und Erziehungsarbeit. Etliche Menschen sind ganz unabhängig
von der Entwicklung am Arbeitsmarkt in sozialen, politischen oder kirchlichen
Zusammenhängen tätig, ohne dafür bezahlt zu werden.
Die »Bürgerarbeit« des
Soziologen Ulrich Beck
soll z.B. als unbezahlte Arbeit in selbstgewählten Bereichen geleistet werden,
gegen ein Bürgergeld, eine Grundsicherung in Höhe des Sozialhilfesatzes. Auch
wenn Beck selbst in seinem Konzept keine Arbeitspflicht vorsieht, lassen die
Erfahrungen mit ABM- und BSHG-Beschäftigung nichts Gutes ahnen. Schon heute
werden mit diesen Zwangsmaßnahmen Menschen unter Androhung des Entzugs auch des
notwendigsten Lebensbedarfs zur Arbeit gezwungen.
Gleichzeitig wird freiwilliges,
unbezahltes Engagement erschwert, indem Menschen, die sich ohne Bezahlung
engagieren, die Arbeitslosen- oder Sozialhilfe gestrichen wird, weil sie dem Arbeitsmarkt
angeblich nicht zur Verfügung stehen. Statt endlich das bedingungslose Recht
auf Freiwilligkeit in der Wahl der Arbeit und damit auch das Recht auf
Nichtarbeit anzuerkennen, wird überflüssigerweise auf einer überholten
Arbeitsethik beharrt.
Qualifizierung und Beschäftigung im zweiten
Arbeitsmarkt
Auf dem sogenannten zweiten
Arbeitsmarkt haben die arbeitslosen Opfer von Wirtschaftskrise und Sparpolitik
die Chance, in einer ABM für immerhin 80% Tariflohn oder als SozialhilfeempfängerInnen
für zusätzliche zwei bis drei Mark die Stunde wieder am Arbeitsleben teilhaben
zu dürfen. Da wird geputzt, gepflegt und betreut für das Gemeinwohl, alles
unter dem Deckmäntelchen, daß von diesem zweitklassigen Arbeitsmarkt nur zusätzliche
Aufgaben übernommen werden. Diese Zusätzlichkeit besteht u.a. aus Grünanlagenpflege,
Fahrgastbetreuung, Betreuung von Kindern, Alten und Menschen mit Behinderungen.
Eher also ein Minimalprogramm zur Instandhaltung öffentlicher Räume und notdürftigster
humanitärer Hilfen.
In etlichen Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaften haben NutznießerInnen der Krise sich wenigstens für
eine begrenzte Zeit gut bezahlte Jobs als ErfüllungsgehilfInnen von Arbeits-
und Sozialämtern geschaffen. Daneben sind solche Maßnahmen auch immer wieder
von mehr oder weniger selbstverwalteten Initiativen genutzt worden, um
engagierte soziale und kulturelle Arbeiten ökonomisch abzusichern. Dort ist die
Kurzfristigkeit der Maßnahmen besonders bitter.
Immer neue Qualifizierungsangebote
suggerieren, daß es an den Arbeitslosen selbst liegt, daß sie keine Stellen
finden, weil sie eben nicht qualifiziert genug sind. In überwiegend aus
Europamitteln finanzierten Maßnahmen zur Qualifizierung von Arbeitslosen werden
in der Regel nur
Zertifikate über die Teilnahme an den Bildungsveranstaltungen erworben. Viel zu
selten werden IHK-Abschlüsse oder gar berufliche Erstausbildungen ermöglicht.
Existenzgründung als Alternative?
Existenzgründungen aus der
Arbeitslosigkeit sind nur in Ausnahmefällen eine echte Möglichkeit für
Menschen, die neben dem nötigen Fachwissen auch über genügend materielle
Mittel, Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen verfügen. Ein Ausweg für
nennenswerte Teile der arbeitslosen Bevölkerung kann darin nicht gesehen
werden.
Herkömmliche Existenzgründungen
und ihre Förderung sind ausschließlich auf Individuen ausgerichtet.Darin
spiegelt sich die gesellschaftliche Entwicklung zu immer mehr Individualisierung
und Entsolidarisierung. Es gibt durchaus einige Menschen, die diese neuen Freiheitsgrade
für sich kreativ nutzen können, weil sie dynamisch, flexibel und mobil genug
sind, in der sich verändernden Welt ohne herkömmliche Sicherheiten ihren Platz
zu behaupten. Für alle anderen, die den größeren Teil der Bevölkerung
ausmachen, ist die Situation eher verunsichernd und bedrohlich.
Soziale Unternehmen zwischen Markt und öffentlicher
Förderung
Als arbeitsmarktpolitische
Instrumente zwischen Markt und öffentlich geförderter Beschäftigung wurden in
Berlin z.B. Arbeitsförderbetriebe (AFBs) eingerichtet. Diese sollten nach einer
dreijährigen, degressiven Förderung am Markt bestehen. Die noch existierenden
AFBs haben dieses Ziel nicht erreicht, die Förderungsdauer mußte verlängert
werden. Trotz aller Schwierigkeiten ist es ein vernünftiger Ansatz, öffentliche
Fördermittel einzusetzen in Vorhaben, die auf langfristige Tragfähigkeit
ausgerichtet sind.
An der Schnittstelle zwischen
Markt und öffentlich gefördertem Sektor würde es Sinn machen, kollektive
Existenzgründungen mindestens ebenso zu fördern wie individuelle Gründungsvorhaben.
Mit einer Kombination aus Arbeitsfördermitteln, Wirtschaftsförderung, sowie
der Bereitstellung von Risikokapital und Ressourcen (Gebäude, Ausstattungen
etc.) könnten sich auch Menschen eigene Arbeitsplätze schaffen, die allein
dazu nicht in der Lage wären. Die Bevorzugung solcher sozialen Unternehmen bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge wäre ein weiterer Schritt zu ihrer
Stabilisierung.
Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor
mit Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt ist eine von vielen möglichen
Antworten auf die anhaltende Erwerbslosigkeit. Weitere Elemente einer Strategie
zur Zukunft der Arbeit wären Mindestlöhne, allgemeine Arbeitszeitverkürzungen,
Erleichterungen für Teilzeitarbeit und eine bedingungslose Existenzsicherung für
alle.
Auf dem Kongreß in Berlin werden
konkrete Empfehlungen und Forderungen zu Rahmenbedingungen selbstbestimmter
Arbeit entwickelt, die in einem »Berliner Frühlingspapier« veröffentlicht
werden. Der Kongreß wird dokumentiert, und die Arbeit an diesen Themen soll
nach dem Kongreß fortgesetzt werden, um die mit der Kongreßvorbereitung
begonnene Vernetzung zwischen den verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen
fortzuführen und zu erweitern.
Infos
zum Kongreß