WASSER:
Ressource, Lebensmittel, Menschenrecht
Weltweit haben 1,2 Milliarden Menschen keinen
Zugang zu sauberem Wasser, und täglich sterben etwa 6.000 Kinder an Krankheiten
aufgrund von verschmutztem Trinkwasser.
Elisabeth Voß, Redaktion Berlin - Seit Beginn
der 1990er Jahre werden mit rasanter Geschwindigkeit Wasserwerke, die bisher in
staatlicher Hand waren, privatisiert. Drei Konzerne sind in über 100 Ländern tätig
und kontrollieren etwa 40% des weltweiten Wassermarktes: die französischen
Unternehmen Veolia (früher Vivendi) und Ondeo (Tochter der Suez Lyonnaise des
Eaux), und die deutsche RWE (Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke) mit
ihrer britischen Tochter Thames Water.
Privatisierungs-Mythen
Die Privatisierungsbefürworter argumentieren mit dem Versagen staatlicher
Systeme. In Entwicklungsländern sind vor allem ärmere Viertel schlecht
versorgt, oft verfügen sie über gar keinen Wasseranschluss, oder die
Leitungssysteme sind defekt und die Wasserqualität ist schlecht. Als Lösung
der Versorgungsprobleme der Armen gilt die Privatisierung. Auch Länder des
Nordens versuchen zunehmend, ihre leeren Kassen durch Privatisierungen aufzufüllen.
Mit Public-Private-Partnerships (PPP) soll alles besser werden.
Der Privatisierungsmythos besagt, der Staat habe versagt, und nun seien die
Privaten gefragt, eine Versorgung effizient, mit besserer Qualität zu günstigeren
Preisen sicher zu stellen. "Kostendeckende Gebühren" sind eine
Voraussetzung für Finanzierungshilfen internationaler Organisationen (wie
ernsthaft der aktuelle Politikwechsel der Weltbank hin zur Betonung der
Notwendigkeit staatlicher Verantwortung ist, wird die Praxis zeigen) und auch
Zielvorgabe in der Entwicklungszusammenarbeit von BMZ (Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und GTZ (Gesellschaft für
technische Zusammenarbeit).
Aber selbst geringe Beiträge zur Kostendeckung für Betrieb und
Instandhaltung von Versorgungsanlagen sind für Arme oft unerschwinglich. Dies
betrifft ebenso eine selbstorganisierte Wasserversorgung. Wo zusätzlich
privatisierungsbedingt Gewinne in die Preiskalkulation eingehen, werden immer
mehr Menschen von der Versorgung ausgeschlossen. Eine Wasserversorgung, die
unter Gewinnerzielungsaspekten betrieben wird, baut die Unternehmenstätigkeiten
dort aus, wo Gewinne zu erzielen sind, also v.a. in Metropolen und Gegenden mit
eher wohlhabender Bevölkerungsstruktur. Abgelegene ländliche Regionen und
Armutsgebiete sind wirtschaftlich unrentabel und werden tendenziell eher von der
Versorgung abgehängt.
Ein Menschenrecht wird zur Ware
Nachdem 1998 die Wasserversorgung in einem Teil der Provinz Maldonado
(Uruguay) privatisiert wurde, verschlechterte sich die bisher vorbildliche
Versorgungssituation, es kam verschmutztes, stinkendes Wasser aus den Hähnen.
Nachdem in Teilen Südafrikas "kostendeckende Wasserpreise" eingeführt
wurden, waren Menschen ohne Geld gezwungen, Wasser aus Flüssen zu trinken, und
es kam 2000 zur größten Choleraepidemie in der Geschichte des Landes.
Seitdem Thames Water die Londoner Wasser- und Abwasserbetriebe übernommen
hat, geht es bergab (Werner Rügemer: Marode Leitungen als Renditeobjekt, s.
Seite 7). Die Berliner Wasserwerke wurden teilprivatisiert, und haben seither
mehr Probleme als vorher (Gerlinde Schermer: Wasserprivatisierung in Berlin, s.
Seite 8). Kann die Wissenschaft helfen? Anfang diesen Jahres wurde an der TU
Berlin eine Stiftungsprofessur eingerichtet für Siedlungswasserwirtschaft. Aber
sie hat einen Schönheitsfehler: Stifterin ist der Wassermulti Veolia, der
24,95% der Anteile an Berlinwasser hält - so viel zum Thema Freiheit der
Wissenschaft.
Selbstorganisation als Alternative?
Stellt eine selbstorganisierte Wasserversorgung oder auch Abwasserentsorgung
eine Alternative dar zur Privatisierung? Können Wasserwerke im Eigentum und
Besitz der BürgerInnen eine bessere Versorgung gewährleisten als Staat oder
Konzerne? Auch dörfliche Wassergenossenschaften (Andreas Eisen:
Wassergenossenschaften, s. Seite 8) oder private Pflanzenkläranlagen im ländlichen
Raum (Interview mit Hermann Hummer, s. Seite 9) sind Formen der Privatisierung.
Im Unterschied zur profitorientierten Bewirtschaftung durch Konzerne geht es
hier jedoch um den direkten Nutzen für die EigentümerInnen, neben Ver- bzw.
Entsorgungssicherheit und günstigen Preisen werden auch ökologische Aspekte
einbezogen.
In Entwicklungsländern sind selbstorganisierte Projekte oft die einzige Möglichkeit,
überhaupt einen Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen. Dafür ist die
Unterstützung durch NGOs in der Regel unabdingbar. Denn die Fähigkeit zur
Selbstorganisation aus eigener Kraft ist ein Privileg derer, die über die
notwendigen materiellen und immateriellen Voraussetzungen verfügen.
Selbstorganisierte Wasser- und Abwasserprojekte sind kleinteilig und lokal,
bewegen sich - je nach Ausgangssituation - zwischen dem Charme der Autonomie und
den Zwängen der Not. Stellen sie Einzelfall-Lösungen dar für
Besserverdienende hier oder EmpfängerInnen von Entwicklungshilfen dort, oder
sind sie Keimformen zukünftig flächendeckend vorstellbarer Strukturen der
Daseinsvorsorge? Ist es im Bereich lebensnotwendiger Güter und Leistungen überhaupt
sinnvoll, den Staat vollständig und dauerhaft aus seiner Fürsorgepflicht zu
entlassen? Oder laufen selbstorganisierte Projekte Gefahr, als Einfallstore
einer Privatisierung in kapitalistische Strukturen zu dienen?
Staatliche Verantwortung unter gesellschaftlicher Kontrolle
Die brasilianische Millionenstadt Porto Alegre begann 1993, die BürgerInnen
in Haushaltsentscheidungen einzubeziehen. Im Rahmen dieser "Bürgerhaushalte"
wird auch über Investitionen und Preisgestaltung des staatlichen Wasserbetriebs
DMAE entschieden. Fast alle BürgerInnen werden mit sauberem Trinkwasser
versorgt, die Kindersterblichkeit liegt 80% unter dem Landesdurchschnitt. Der
Wasserpreis ist niedrig, für BewohnerInnen mit geringem Einkommen nochmals
vermindert.
Als 1999 die Wasserversorgung in Cochabamba privatisiert wurde, wehrten sich
die BewohnerInnen der Stadt im bolivianischen Hochland erfolgreich gegen die
neuen Besitzer unter Führung des US-amerikanischen Konzerns Bechtel. Im
"Wasserkrieg" von Cochabamba wurden mehrere hundert Menschen verletzt,
ein Jugendlicher wurde bei den Straßenkämpfen getötet. Dann übernahm die
Stadt das Wasserwerk SEMAPA, beteiligte nun jedoch BürgerInnen, VertreterInnen
von Gewerkschaften und Unternehmen, und baute eine kooperative
Unternehmensleitung auf.
In anderen Regionen Boliviens wird versucht, die traditionell kleinteilige
Wasserversorgung umzustrukturieren in Zweckverbände auf Basis von Aktien, was
zu heftigen Protesten und der Forderung nach Kommunalisierung führt (Thomas
Fritz: Dogmatische Helfer, s. Seite 9).
Selbstorganisation und politische Bewegungen
In Tansania unterstützen Entwicklungsprojekte Selbstorganisationsprozesse in
lokalen Wasserprojekten, zur Linderung akuter Not. Strukturell wirksam werden
sie dort, wo sie zu einer Politisierung der Betroffenen beitragen (Bernd
Ludermann: Teures Wasser für die Armen, s. Seite 10).
Hierzulande gibt es viel zu wenige Berührungspunkte oder gar Kooperationen
zwischen selbstorganisierten Projekten und politischen Bewegungen. Ganz anders
als z.B. in vielen Ländern Lateinamerikas, wo Widerstand und wirtschaftliche
Selbsthilfe oft zusammen gehören. Die Theorie und Praxis der Selbstorganisation
im Bereich der Daseinsvorsorge ist unabdingbar angewiesen auf kritische
politische Reflektionen, um nicht (ohne es zu beabsichtigen) einer neoliberalen
Privatisierung und Kommerzialisierung Vorschub zu leisten.
Fallstricke im Privatisierungsdiskurs
Eine Globalisierungs- und Privatisierungskritik, die überwiegend emotional
geführt wird, kann Einfallstore bieten für nationalistische Ressentiments,
rechtsextreme Argumentationsmuster und Verschwörungstheorien. Menschliche
Verzweiflung angesichts der Übermacht kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen
kann anfällig machen für Theorien, die rational nicht mehr zugänglich sind.
So gründete z.B. Martina Pflock (Ende 2004 verstorben) in Thüringen 2003
eine Bürgerinitiative "Abwasser Abzocke - Nein Danke". Sie
verstrickte sich zunehmend in Kontakten zur rechtsextremen Gruppe KRR
(Kommissarische Reichsregierung) um Wolfgang Gerhard Günther Ebel, nahm an
einer "Reichsversammlung" mit Horst Mahler teil, hing antisemitischen
Verschwörungstheorien an und isolierte sich zunehmend.
Populistische Verallgemeinerungen, egal aus welcher Ecke ("die"
Kapitalisten, "die" Amerikaner...), mit denen die Welt vereinfachend
in Gut und Böse aufgeteilt wird, sind schnell anschlussfähig an eine
(erstarkende?) neue Rechte und ihren Gestus der staatsfeindlichen Revolte.
Rationale Aufklärung tut Not, sowohl inhaltlich (durch präzise Recherche
und Argumentation auf der Basis von Fakten) als auch formal (in der
kontinuierlichen selbstkritischen Reflektion der Art und Weise, wie diese Fakten
verwendet werden). Die platte Abwehr rechter Querfrontstrategien durch
antideutsche Dogmatismen, die reflexhaft die amerikanische und isrälische Fahne
schwingen, hilft weder dem politischen Verständnis noch der politischen Praxis.
Es gibt viel zu tun
Selbstbestimmung der BürgerInnen braucht Aufklärung und sachliche
Umgangsformen, um weder neoliberale Mythen zu bedienen, noch gar als Zerrbild
des fanatisierten Mob zu enden. Beispiele für Organisationsformen und Methoden
demokratischer Selbstorganisation - sowohl in politischen Bewegungen als auch in
Projekten wirtschaftlicher Selbsthilfe - liegen in Fülle vor, sind jedoch noch
nicht zufriedenstellend gebündelt und verfügbar.
Die hier vorgestellten Beispiele sind ein kleiner Versuch, die Vielfalt und
Bandbreite der Wasserproblematik anzureißen. Wir freuen uns, wenn sie ergänzt
werden durch weitere Beiträge zu Erfahrungen aus anderen Wasser- und
Abwasserprojekten. Schnelle Antworten sind bei diesem Thema nicht zu haben. Aber
Fragen, die dem Verständnis des Themas und der unterschiedlichen Lösungsansätze
dienen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10