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Alternativen?

Gibt es Alternativen zum bestehenden System?

Bislang nicht, weil es auch kein “alternatives Versicherungssystem" gibt. Allerdings ist es sicherlich an der Zeit, über gangbare Wege einmal nachzudenken, was aber auch mit einem Überdenken der Qualität des bisherigen Versicherungssystems verbunden wäre.

Ein “alternatives Versicherungssystem” in der Personenversicherung erfordert langsam gewachsene Solidargemeinschaften, also Strukturen, die bislang noch nicht vorhanden sind, ebenso wie ein anderes Bewußtsein in puncto Versicherungen. Hierzu gehört ein anderes Umgehen mit der Gesundheit, genauso wie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz. Letztlich erfordert es auch eine Organisation und Verwaltung, die nicht so einfach aus dem Boden zu stampfen ist, sondern, die Ergebnis konkreter Bedürfnisse und verschiedenster Erfahrungen sein muß.

Dennoch muß nicht alles so akzeptiert werden, wie es angeboten wird. Um das bestehende Versicherungssystem kommen wir momentan noch nicht umhin. Trotzdem kann es aber Ansätze geben, wenn auch eine qualitative Verbesserung kaum möglich sein wird, zumindest in unserem Umgang mit solchen Versicherungen einen bewußten Schritt voranzutun und auch die finanzielle Belastung der Kollektive niedrig zu halten. Dieses wäre auch ein Schritt, Solidargemeinschaften im Kleinen aufzubauen, hier Erfahrungen auszutauschen, zu lernen und ein eigenes Versicherungssystem wachsen zu lassen.

Dieses soll an einigen Beispielen konkretisiert werden, die für die meisten Kollektive umsetzbar sind.

Im Bereich der privaten Krankenversicherung besteht für die Kollektive die Möglichkeit, Gruppenverträge auszuhandeln.

Insbesondere geht es doch darum, das unkalkulierbare finanzielle Risiko abzusichern. Hierunter fallen z.B. die stationäre Behandlung, lange Krankheit und Zahnersatz.

Das kalkulierbare finanzielle Risiko ist bereits durch das Kollektiv absicherbar. Wie bereits eingangs ausgeführt, sind die Leistungen frei (entsprechend den Tarifen) aushandelbar. Wird für den ambulanten Bereich (Arztbehandlung, Medikamente etc.) ein Selbstbehalt abgeschlossen (z.B. 1.000 oder 1.500 DM im Jahr), und dieser umgelegt auf das Kollektiv, so kann hier eine eigene Risikokasse gebildet werden. Ob es nun der gesamte Selbstbehalt ist oder nur ein Teil, das ist auszuprobieren. Desgleichen kann bei Zahnbehandlung verfahren werden.

In der Praxis heißt das, da8 eine private Krankenversicherung “nur" noch zwischen 100 und 130 DM im Monat kosten kann, jedes Kollektivmitglied noch einmal 50 bis 1OO DM monatlich in den Risikotopf packt und aus diesem Topf die Selbstbehalte gedeckt werden. Das ist bereits schon bei einem dreiköpfigen Kollektiv umsetzbar. Hinzu kommt, daß dieser Risikotopf selbst für Zwischenfinanzierungen genutzt werden kann. Das Kollektiv selbst wird hier schon zur kleinen Solidargemeinschaft.

Das gleiche gilt für den Lohnausfall bei Krankheit, der nur über eine Krankentagegeldversicherung absicherbar ist, die ab dem 1. Tag natürlich entsprechend teuer ist.

Per Gesellschaftsvertrag kann eine Lohnfortzahlung für die ersten vier oder 6 Wochen vereinbart werden. Entweder, dieses wird im Krankheitsfall direkt aus den laufenden Einnahmen bestritten oder ebenfalls über einen Risikotopf abgesichert.

Verfahren auf diese Art und Weise mehrere Kollektive, die vielleicht auch in anderen Bereichen zusammenarbeiten, so kann zwischen diesen Kollektiven die Solidargemeinschaft entsprechend erweitert werden. Besteht eine Möglichkeit von vornherein gemeinsam mit einem privaten Krankenversicherer zu verhandeln, dann sind die Voraussetzungen, günstige Angebote zu erhalten, natürlich noch besser. Je größer die Risikogemeinschaft, desto weniger wird der Einzelne in den Risikotopf zahlen müssen.

Eine weitere, denkbare Möglichkeit für größere Kollektive oder Zusammenschlüsse von Kollektiven ist die Zusammenarbeit mit Arztpraxen. Gedacht ist hier an eine Anstellung als „Betriebsärzte" und die hieraus folgende kostenlose Behandlung und Vorsorge. Ein Teil des in den Risikotopf eingezahlten Betrages wird direkt für die Finanzierung der Ärzte verwendet, der andere Teil dient zur Deckung weiterer Kosten.

Gesetzt der Fall, daß dieses über die Ebene eines Kollektives hinaus, vielleicht auf städtischer Ebene realisierbar wird, dann würde auch ein entsprechender Risikotopf zustandekommen. Neben einer Vertrauensebene untereinander als Voraussetzung, wäre die Verwaltung in diesem Rahmen noch relativ einfach realisierbar. Vielleicht besteht örtlich auch die Möglichkeit, diesen Risikotopf über die Netzwerke zu organisieren, was den Nebeneffekt hätte, daß mittelfristig über diesen Risikotopf auch kleinere Zwischenfinanzierungen für selbstverwaltete Betriebe möglich sind.

An dieser Stelle möchte ich aber noch einmal betonen, daß einher mit solchen kleinen Risikogemeinschaften ein anderes Umgehen mit der Gesundheit gehen muß, worunter ich auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen fasse. Nur allzu oft wird im Selbstverwaltungssektor aus verschiedenen Gründen wenig an die Arbeitssicherheit gedacht und die Gefahr,  gesundheitliche Schäden zu erleiden, ist oft hier erheblich höher als bei traditionellen Betrieben. Wie in jedem Versicherungssystem geht dieses immer zu Lasten der Gemeinschaft. Gerade dieser Punkt ist für mich auch ein Argument, im Bereich der Unfallversicherung sowie der Versicherung gegen Berufsunfähigkeit den Gedanken an eigene Solidargemeinschaften noch zurückzustellen. Wir sollten erst im kleinen Erfahrungen sammeln und diese auswerten, bevor wir über die Absicherung solcher Risiken durch eigene Solidargemeinschaften reden. Diese Bereiche erreichen gegebenenfalls finanzielle Dimensionen, die bei der vorhandenen Kapitalausstattung der Betriebe nicht mehr realisierbar erscheinen.

Daher bietet sich im Bereich Unfall/Berufsunfähigkeit nur die Möglichkeit an, als Kollektiv oder als Zusammenschluß (Verband) Gruppenverträge auszuhandeln. Das finanzielle Risiko wird auf die Gesellschaften verlagert, für uns bringt es aber wenigstens eine Absicherung für den Versicherungsfall und eine finanzielle Ersparnis. Es sei denn, man verzichtet auf diese Absicherung, was ich aber für unverantwortlich halte. Trifft es einen aus dem Kollektiv, dann sind wir als Kollektiv trotzdem gefordert. Oder gibt es jemanden, der meint, daß wir diese Menschen dann mit dem Problem alleine lassen können?

Ich hoffe, daß dieser Beitrag zu Diskussionen anregt und würde mich auch über Reaktionen freuen. Ansonsten stehen wir auch als Kollektiv gerne zur Verfügung. 
Harald Deerberg c/o Versicherungsvermittlung Iske und Kollegen OHG Postfach 10 07 63, 2800 Bremen

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 21. Oktober 2008