Schwerpunktthema:
20 JAHRE WAGNER & CO, EIN PORTRAIT
Hat Selbstverwaltung heute viele Namen?
Erst selbstverwalteter
Pionierbetrieb, dann Marktführer in der Nische Solartechnik sowie einziger Anbieter von
Regenwassernutzungsanlagen und nun als innovatives Umweltunternehmen mit mehr als 100
MitarbeiterInnen erwachsen geworden: Wagner & Co im hessischen Cölbe hat seine
Firmenstruktur mehrfach umstrukturiert, dennoch mehrere Gründungsprinzipien beibehalten
und ist heute einer der größten selbstverwalteten Betriebe in Deutschland. - Gründe
genug, ordentlich zu feiern, was im Mai und Juni mit der Eröffnung des europaweit ersten
Bürogebäudes mit Passivhausstandard gebührend getan wurde. Grund aber auch,
zurückzublicken sowie das Erreichte öffentlich zu diskutieren. CONTRASTE-LeserInnen
haben in unserem Schwerpunkt Gelegenheit, Details zur heiklen Suche nach geeigneten neuen
MitarbeiterInnen, der laufenden Lohndiskussion sowie zu den heutigen internen
Entscheidungsstrukturen zu erfahren. Es sollte kein oberflächlicher Bericht von aussen
werden, sondern verschiedene Wagner-MitarbeiterInnen reflektieren selbst ihren
Betriebsalltag und geben ihre Diskussionen wieder, denn "selbstverwaltete
Großbetriebe haben keine Vorbilder". Spricht daraus bereits der leise Stolz des
früheren Pionierbetriebs und jetzigen jungen Erwachsenen, es ohne Vorbild geschafft zu
haben? - Den Anfang macht der Bericht vom Treffen einiger ähnlicher Großbetriebe bei
Wagner & Co.
Dietmar Schlosser, Cölbe - Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20-jährigen
Firmenbestehen, fand im neuen Passiv-Solarhaus von Wagner & Co ein Symposium mit
Betrieben in Selbstverwaltung statt. "Hat Selbstverwaltung heute viele Namen?",
lautete das Motto.
Die Betriebe SOLVIS, PSI, die tageszeitung, die Lehrerkooperative, und Wagner & Co (*) stellten
ihre wichtigsten Entwicklungsschritte in den letzten Jahren vor. Das Spektrum reichte von
Strukturänderungen, der Kapitalbeschaffung für weitere Investitionen bis zur Gründung
einer Aktiengesellschaft. Die Veranstalter haben aus aktuellem Anlass die Veranstaltung
auf große selbstverwaltete Betriebe konzentriert, weil diese mit anderen Realitäten beim
Kampf ums Überleben befasst sind als z.B. kleinere Handwerkerkollektive und sie keine
"Vorbilder" haben. Die Diskussion leitete Burghard Flieger, CONTRASTE-Redakteur
und Genossenschaftsexperte.
Zahlreiche "normale" Betriebe
versuchen derzeit, die Motivation und Identifikation Ihrer MitarbeiterInnen mit dem
jeweiligen Betrieb durch flache Hierarchien, Investivlohn etc. zu verbessern. Sie steuern
ihre Führungsstile und die Organisation hin zu einer stärkeren Mitbestimmung und
Partizipation der Angestellten und Arbeiter. Demgegenüber orientieren sich größere
selbstverwaltete Betriebe an den kapitalistischen Betrieben und führen Hierarchien und
individuelle Verantwortungsbereiche ein, beschaffen Kapital durch Investoren außerhalb
des Betriebes und Räumen ihnen teilweise weit reichendeweitreichende Befugnisse ein.
Basisdemokratie verliert dabei an Bedeutung und Elemente der repräsentativen Demokratie
prägen die Entscheidungsstrukturen. Dadurch sollen die Betriebe innovativer, produktiver
und wirtschaftlicher arbeiten, um im Wettbewerb überleben zu können.
Scheitern oder Wandeln?
Das bereits im vergangenen Jahrhundert
formulierte Oppenheimer'sche Transformationsgesetz schwebte über den Beiträgen und
Diskussionen. (vgl. Kasten Seite 7) Stehen selbstverwaltete Betriebe in verschiedenen
Entwicklungsphasen tatsächlich vor der Frage: Scheitern oder Wandeln?
Ali Saghati von PSI betonte, dass von Außen
nur der persönliche Vorteil interessiere, interne Unternehmensabläufe und -ziele seien
von nachrangiger Bedeutung. Demokratie im Betrieb könne also nur mit einem unmittelbaren
Nutzen für den Kunden zum Erfolg führen. "Wollen die Betriebe überleben und ihren
MitarbeiterInnen ein gesichertes Einkommen bieten, müssen sie sich professionalisieren
d.h. Produkte/Leistungen verkaufen, die von den Nachfragern gewünscht werden," so
Saghati weiter. Dabei würden Preis, Qualität, Distribution und die Kommunikation eine
wichtige Rolle spielen.
Je nach Genossenschaftstyp und ihrer
Ausprägung können unterschiedliche Kriterien definiert werden, wann ein Betrieb in eine
Krise gerät - sich wandelt oder scheitert. Weitere Scheiterungsgründe für
selbstverwaltete Betrieb und Genossenschaften sieht Burghard Flieger insbesondere in einem
entstehenden Wertedissens und einem Generationskonflikt. So gebe es im Grunde zwei
Wertegruppen in den Betrieben, die Marktorientierten und die Werteorientierten. In
Krisenzeiten gewinne die "Ökonomiefraktion" die Oberhand und innere Strukturen
würden zum Nachteil der werteorientierten MitarbeiterInnen geändert. Im Durchschnitt
müsse alle sieben Jahre mit ökonomischen Krisen gerechnet werden, die
Strukturanpassungen erforderten.
Laut Burghard Flieger entstehen
Generationskonflikte oft, wenn neue MitarbeiterInnen nicht eingegliedert werden können:
"In selbstverwalteten Betrieben gibt es nie Lob und neue Ideen werden leicht
abgebügelt (obwohl sie nach drei Jahren dann doch eingeführt werden). Die
"Neuen" brauchen ca. 2-3 Jahre, um anerkannt zu werden. Ohne "breites
Kreuz" entstehen Schwierigkeiten, die oft in ein Arbeitnehmerverhalten führen."
Es gelte für die Betriebe, die genossenschaftliche Handlungskompetenz zu fördern, indem
sich alle MitarbeiterInnen in diese Richtung entwickelten.
Beteiligungsmodell
Ein anderes Problem größerer
selbstverwalteter Betriebe ist die Finanzierung von Investitionen, denn Wachstum bedeutet
auch in Gebäude, Maschinen und innovative Produkte zu investieren. Reicht die
Eigenkapitalbasis nicht aus, dann finanzieren häufig die Banken und machen den Betrieb
abhängig von Kreditprüfern. Um diesem Problem aus dem Wege zu gehen, hat SOLVIS ein
Beteiligungsmodell entwickelt. Stille Teilhaber kaufen als Kommanditisten der SOLVIS
Solarsysteme GmbH Anteile im Wert von mind. 5.000 DM und finanzieren damit die notwendigen
Investitionen. Die Interessen der Teilhaber werden über einen Beirat vertreten, der mit
der Geschäftsleitung in ständigem Kontakt steht. Das Problem der direkten Einflussnahme
der Teilhaber auf das Unternehmen SOLVIS Solarsysteme GmbH, wird durch die Gründung der
SOLVIS Energiesysteme GmbH & Co KG gelöst. Das neue Unternehmen ist für den Vertrieb
verantwortlich, so dass wesentlichen Bereichen des Betriebes die MitarbeiterInnen
selbstbestimmt handeln und entscheiden können.
Demokratisch, solidarisch und
erfolgsbeteiligt
Insgesamt waren sich fast alle
TeilnehmerInnen dahingehend einig, dass bei größeren selbstverwalteten Betrieben ein
ständiger Anpassungsdruck besteht, der über die Jahre zu erheblichen
Strukturveränderungen führt. Trotzdem gibt es Betriebe, die einen Betriebsrat
einführen, die MitarbeiterInnen nicht mehr am Gewinn beteiligen oder nur noch eine
eingeschränkte Transparenz über betriebliche Entwicklungen aufrecht erhalten und dennoch
ihren Betrieb als selbstverwaltet erklären. Hat die Selbstverwaltung viele Namen? Eine
klare Antwort konnte in der Diskussion nicht gefunden werden. Auf jeden Fall bietet
Selbstverwaltung ein breites Spektrum an Möglichkeiten, einen größeren Betrieb nach
demokratischen, solidarischen und erfolgsbeteiligten Überzeugungen zu führen.
(*) SOLVIS, Herstellung und Vertrieb von solarthermischen Anlagen,
Braunschweig, ca. 65 Mitarb.; PSI AG, Gesellschaftfür Prozesssteuerungs- und
Informationssysteme, Berlin, ca. 600 Mitarb.; die tageszeitung, taz-Verlagsgenossenschaft
e.G., Berlin, ca. 250 Mitarb.; Lehrerkooperative e.V., Bildung und soziale Projekte,
Frankfurt a.M., ca. 200 Mitarb.