VIELSAGENDE HÄNDE
Gehörlos - aber nicht sprachlos!
Wie interviewt man Gehörlose? Geht nicht.
Oder mit Papier und Stift: zu aufwendig. Oder man lernt eine Gehörlosendolmetscherin
kennen, die einem ihre Unterstützung anbietet. An dieser Stelle also zuerst
einmal vielen Dank an Ilka Seeberger aus Stuckenborstel, ohne die wir diesen
Schwerpunkt nicht hätten produzieren können. Sie hat nicht nur übersetzt,
sondern auch Kontakte hergestellt und viele Artikel des Schwerpunktes
gegengelesen.
Götz Paschen, Redaktion Bremen-Umland - So war
es möglich, dass in CONTRASTE Menschen zu Wort kommen, die grundsätzlich öffentlich
selten Gehör finden. Damit ist schon ein wesentliches redaktionelles Anliegen
von uns verwirklicht: Das Ungleichgewicht der Präsenz in den Medien etwas
zurechtzurücken. Mich persönlich langweilen die Phrasen, die ich in vielen
Zeitungen von versierten Medienprofis geboten bekomme: Fassade, glattes Lächeln,
Anzug, Bügelfalte, selten unter 50, selten emotional, meistens Sieger, meistens
Menschen aus Einkommensgruppen, die weit über dem Durchschnitt liegen. Das repräsentiert
nicht die Welt, die mich umgibt. Ich habe keine Lust, einer selbstbewussten
Minderheit beim Leben und Agieren zuzusehen. Mich interessiert, was in meiner Nähe
passiert. Was in den Menschen vorgeht. Und mich interessieren auch diejenigen,
die nicht die Kraft haben sich in die erste Reihe zu den Kameras vorzuboxen. Als
Journalist hat man dann zwar seltener die Chance, Lachsschnittchen in sich
hineinzustopfen und sich elegante Getränke bei festlichen Anlässen in den Hals
zu kippen. Andererseits gibt es hier zum Tee oder Sprudelwasser oft menschliche
Begegnungen, die einen berühren.
Erst, wenn Berichte auf einer Ebene stattfinden, die für viele greifbar ist,
erlebt ein Leser das Geschehen so, dass er Anteil nehmen kann. Und nur dann hat
er das Gefühl, dass er verändernd eingreifen kann. Der größte Teil der
Ohnmacht, die ich heute erlebe, ist durch Medien produziert. Wie läppisch wirkt
der Infotisch in der Fußgängerzone verglichen mit schornsteinkletternden
Greenpeace-Aktivisten? Aber ohne Basisaktivitäten vor Ort, wären bundesweite
Initiativen gar nicht denkbar. Und wie banal erscheint uns persönlich
verantwortliches Handeln vor dem Hintergrund globaler Katastrophen? Bleiben Sie
dabei: es gibt nur dieses Leben hier und jetzt.
Neben der Gehörlosigkeit, die in unserem Schwerpunkt Thema ist, gibt es für
mich eine zweite: Taube Ohren für alles, was ohne großen Rummel auf einen
zukommt. Gehörlosigkeit für Aussagen, die einen berühren sollen aber nicht
erreichen. Auch keine einfache Aufgabe, in diesem Getöse mit vernünftigen
Aussagen ohne Pauken und Trompeten seine Adressaten zu erreichen. Weder im
Privatleben noch in dem Trubel der freien Marktwirtschaft. Oft widersprechen die
Ziele inhaltlich den lautstarken Methoden. Kein einfaches Unterfangen, hier eine
treffsichere Mischung herzustellen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10