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Krieg & Medien

EINE KOMMENTIERTE PRESSESCHAU ZUM JUGOSLAWIENKRIEG

Krieg und Medien

"Das erste Opfer des Krieges, betonen unsere Medien, ist immer die Wahrheit. Das ist schon tausendmal gelogen. Wenn es in den Zeiten des Nicht-Krieges die Wahrheit gäbe, dürfte es zu keinem Krieg kommen. Oder irgendwas müßte mit der Wahrheit nicht stimmen. Dir ersten und einzigen Opfer eines jeden Krieges sind immer konkrete Menschen."
Georg Seeßlen in "Konkret" 5/99

"Unsere Bomben sind Bumerange. Daheim haben sie das helle Gebäude der Begriffe und Werte zerstört."
Gyorgy Konrad, Präsident der Berliner Akademie der Künste, in "Der Tagesspiegel" 10.5.99

 

weimar.jpg (43755 Byte)von Günter Herkel - Wir wollen nicht nur den militärischen Konflikt gewinnen, sondern auch den Medienkrieg, sagte zu Beginn des Kosovo-Krieges ein NATO-Sprecher. Denn die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung wächst, je emotional aufgeputschter die der Bevölkerung verabreichte Information, je klarer das Feindbild ist. Umgekehrt gilt: Je besser informiert die Menschen, desto weniger leicht fällt den Spezialisten für psychologische Kriegsführung, eine Zustimmung der Öffentlichkeit zu kriegerischen Handlungen zu erreichen.

Information und Desinformation

"Der Tagesspiegel", 29. März: "500.000 Kosovo-Albaner auf der Flucht". FAZ, 31. März: "Nach Angaben der NATO wurden seit Mitte vergangener Woche 120.000 Menschen aus ihren Städten und Dörfern vertrieben."

Kommt wohl nicht so genau drauf an.

BZ, "Bild Berlin" und "Süddeutsche Zeitung" melden am 30. März übereinstimmend die "Hinrichtung" von Fehmi Agani, Soziologie-Professor und Berater von Ibrahim Rugowa sowie von Baton Haxhiu, Chefredakteur der Zeitung "Koha Ditore". Diese Zeitungen (und andere) nennen als Quelle die NATO, welche sich wiederum auf "verläßliche Quellen" beruft. Am 3. April erfolgt das Dementi der NATO. Die "hingerichteten" albanischen Intellektuellen seien wohlauf.

Aber zuzutrauen wär's ihnen gewesen, den Serben - haben vermutlich viele Leser gedacht. Denn die Grundlagen entsprechender Gutgläubigkeit haben die Meister der psychologischen Kriegführung längst gelegt. Das wichtigste Instrument:

 

Die Personalisierung und Dämonisierung des "Feindes"

Eine Auswahl aus dem Haßvokabel-Repertoire der freien Presse: Irrer Serbe, Schlächter, Serbenführer M., entfesselte Soldateska, serbischer Hitler, Wahnsinniger.

Auch die Frau des Haßobjekts bleibt nicht verschont. die "Hexe von Belgrad" nennt sie die "Bild Zeitung" am 26. März. Hexen wurden im Mittelalter bekanntlich verbrannt. Heute brennt Belgrad.

Mittlerweile zeigen derlei Pauschalverteufelungen bei der deutschen Bevölkerung Wirkung. Nach Berichten der Berliner Lokalpresse werden Serben, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben, zunehmend von ihren Nachbarn geschnitten, wo nicht aggressiv angegangen.

Zur Entsorgung deutscher Geschichte durch die unseligen Faschismus-Vergleiche des Feldherren-Tandems Fischer-Scharping ist schon einiges publiziert worden. Deportation, Selektion, Völkermord, Genozid und Auschwitz unterhalb dieser Begrifflichkeiten tun es die ministeriellen Gesinnungsethiker heutzutage nicht mehr. Der Rechtfertigungsdruck für die eigenen Handlungen muß ungeheuer groß sein.

Dazu gehört auch die Verunglimpfung des politischen Gegners, und sei es der in den eigenen Reihen. "Weißwäscher des Faschismus" sagt Fischer zu Gysi, und Schröder nennt die PDS die "fünfte Kolonne" von Milosevic. Paradoxe Welt: Der Menschenrechtler wird aus Mitleid zum Befürworter gnadenloser Bombardierungen; der konsequente Kriegsgegner dagegen wird ausgeschlossen aus der Gemeinschaft der Demokraten, mutiert gleichsam zum Unmenschen.

"Kollateralschäden"

"Wir führen keinen Krieg" heißt es in der Regierungserklärung Schröders vom 24.3.99. Von "Einsatz" ist die Rede, von einer "Militäraktion". Schröder muß das sagen, schließlich ist ein Angriffskrieg völkerrechts- und grundgesetzwidrig. Die NATO selbst spricht von einer "Luftkampagne", allenfalls von "Luftschlägen". Das ganze heißt nicht Krieg, sondern Kosovo-Konflikt.

Außenminister Fischer eskortiert im "Spiegel" vom 19.4.99: Wir führen Krieg, wir leisten Widerstand ..." Wurde Deutschland etwa von der serbischen Luftwaffe attackiert? Schamgrenzen fallen. Der Kosovo ist "unser Spanien" sieht sich Fischer geradezu als Internationalen Brigadisten. Im Spanischen Bürgerkrieg versuchten Sozialisten, Kommunisten und parteilose Einzelkämpfer, der durch einen Putsch rechter Militärs und die Intervention der faschistischen Achsenmächte Deutschland und Italien bedrohten Republik zu Hilfe zu kommen. Vergleiche hinken, gewiß. Aber: Der immer undifferenzierter geführte Luftkriegsterror der NATO gegen breite Teile der jugoslawischen Zivilbevölkerung stellt Fischer und seine Freunde - was die Wahl der Mittel angeht - eher in die Tradition der Legion Condor.

1.000 zivile Opfer nach fünf Wochen Krieg sind für Eberhard Seidel in der TAZ (30.4.-2.5.99) "eher ein Beleg für behutsame Bombardements". Ein furchtbares Begriffspaar. Ist dem Autor die sprachliche Entgleisung nicht bewußt? Die Folgen "behutsamer Bombardements" heißen neuerdings "Kollateralschäden". Bilder davon tauchen - im Gegensatz zu den immergleichen Bildern vom Elend in den Flüchtlingslagern eigentlich nie auf. Wer sorgt in deutschen Redaktionen dafür, daß die Gemüter der Leser/Zuschauer so gut wie nie vom Anblick ziviler Opfer in Jugoslawien beunruhigt werden. Regiert auch nach der "behutsamen" Bombardierung eines Flüchtlingstrecks, der chinesischen Botschaft in Belgrad und anderen "Kollateralschäden" immer noch das Bestreben, den Mythos von der chirurgisch sauberen "Luftkampagne" aufrecht zu erhalten? Welche Folgen das "behutsame" Ausklinken von Urangeschossen und Graphitbomben über Raffinerien, Kraftwerken und Stadtzentren hat, wird sich wohl erst in einigen Monaten zeigen. Werden sich dann der grüne Umweltminister besorgt über Umweltschäden, die grüne Gesundheitsministerin über gesundheitliche Gefahren der Bevölkerung äußern?

Die Verantwortung der Medien

"Die Journalisten sind in der Regel nicht die Fälscher, sie sind die Vermittler von Falsch-Information", nimmt Professor em. Heinz Odermann in seiner Analyse der "psychologischen Kriegsführung" im "Neuen Deutschland" vom 3.5.99 (ja, im ND!) unseren Berufsstand in Schutz. Aber er relativiert. "Je nach politischer Haltung und journalistischer Standesauffassung werden die Nachrichten der psychologischen Kriegsführung entweder wörtlich weitergegeben und nach Kräften sensationell ausgeweitet oder distanziert im Konjunktiv gebracht und mit Widersprüchen registriert. Die scheinbare publizistische Vielfalt bekräftigt die Wirkung der täglichen Desinformation. Sie wird in allen Medien wiedergegeben."

In Deutschland ist die fehlende Distanz vieler Journalisten zu den kriegführenden Parteien offensichtlich. Die nahezu einmütige Kriegsbejahung in den ersten Wochen, die Identifikation der Berichterstatter mit der "eigenen Partei" - da zeichnet sich ein bedenklicher Wandel des journalistischen Selbstverständnisses ab. Der Journalist wird zum Agitator. Unterschiede zwischen Boulevardpresse und "seriöser" Presse werden in dieser Hinsicht eingeebnet. Als besonders unappetitlich aus berufsethischer und menschlicher Perspektive empfand ich einen Kommentar von Peter Sartorius in der "Süddeutschen Zeitung" (29.4.99) nach der Bombardierung des staatlichen serbischen Fernsehens. Unter der Überschrift "Das bombardierte Wort" urteilt der Autor: "Attackiert wurde nicht das freie Wort, sondern die Lüge, und auch nicht die freie Meinung, sondern das Meinungsdiktat." Denn Milosevic habe "das gedruckte genauso wie das gesendete Wort systematisch in sein System der Haßerzeugung gezwungen". Eine achselzuckende Rechtfertigung eines gezielten Bombenanschlags auf eine zivile Einrichtung, bei dem mehrere Menschen den Tod fanden. Vorübergehend gab es nur noch NATO-Propaganda, keine serbische Propaganda. Ein informationspolitischer Fortschritt?

In Deutschland herrscht - das ist hinreichend bekannt - Pressefreiheit. Hierzulande ordnen sich viele Kollegen nicht zwangsweise, sondern freiwillig dem "System der Haßerzeugung" unter. Ein Grund, sie und ihre Betriebe deshalb zu bombardieren, ist das sicher nicht.

Nachwort: Der Autor verurteilt selbstverständlich ethnische Säuberungen. Er ist aber der altmodischen Auffassung, daß Kriege keine Probleme lösen, sondern neue schaffen. Krieg ist die schlimmste denkbare Menschenrechtsverletzung.

Aus: Menschen machen Medien, Nr. 6 Juni 1999

Foto: Transparente und Flugblätter schaffen Gegenöffentlichkeit
Infoladen in Weimar - Kulturhauptstadt Europa 1999 Foto: K. Wintterle

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008