Monatszeitung für Selbstorganisation
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ÜBER DAS GLOBALE FINANZSYSTEMWann schmilzt der Kern?Von Robert Kurz, Nürnberg - Von der Schuldenkrise der Dritten Welt hat man lange nichts gehört. War da mal was? Gelöst ist zwar grundsätzlich nichts, aber braucht es das überhaupt? Ob nun zwei oder zweieinhalb Billionen Dollar in Form von Schuldpapieren um den Globus zirkulieren, wen interessiert das eigentlich noch? Mexiko kann so oft Pleite gehen, wie es will, da werden dann eben immer neue Rettungspakete geschnürt: 20 Milliarden Dollar, 60 Milliarden Dollar - alles Peanuts! Auch die russischen Finanzen sind schon vor Jahren zusammengebrochen, aber was soll's. Die Rettungsgelder vom IWF werden stets pünktlich überwiesen, und der Jelzin-Clan soll davon seine Weihnachtsgeschenke in Kalifornien einkaufen. Dasselbe gilt für die Überschuldung von Banken und Großunternehmen. Was einst Sensationsmeldungen gewesen waren, darüber blättert man heute in der Wirtschaftspresse eher gelangweilt hinweg. Ja, sicher, da ist irgendwann einmal das US-amerikanische Sparkassensystem zusammengebrochen. Waren das 500 Milliarden Dollar Miese oder 800 Milliarden oder noch mehr? Egal, es ist ja nichts passiert. Meine Güte, es muss eben hier mal die französische Großbank Crédit Lyonnais vom Staat gestützt und dort mal die faktisch bankrotte Frankfurter Metallgesellschaft "saniert" werden. Geht doch alles, oder? Und die Flucht unseres deutschen Immobililienkönigs (wie hieß der doch gleich?) nach Florida, das war immerhin ein schönes Medien-Event. Was mit dem Milliardenverlust geschehen ist, keine Ahnung. Ist doch alles weggesteckt. Und jetzt steht der südkoreanische Daewoo-Konzern mit 90 Milliarden Dollar in der Kreide. Na und, die Aufkäufer stehen ja schon Schlange. Von den faulen Konsumentenkrediten wollen wir gar nicht erst reden. Wenn allein in der BRD Anfang 1999 mehr als 1,26 Millionen Haushalte in Zahlungsnot gerieten, ist das allein deren Problem. Die Milliarden, die da versickern, interessieren doch nicht. Das ist sowieso ein Klacks im Vergleich zu den USA, wo die Privathaushalte schon Mitte der 90er Jahre höher als der Staat verschuldet waren. Bei einem Volumen von 11 oder 12 Billionen Dollar schiebt das Bankensystem ohne große Mühe Miese und Luftbuchungen der Konsumfraks vor sich her, die in der Größenordnung eines mittleren Staatshaushalts liegen. Im globalen Maßstab dürften die faulen Kredite der staatlichen Außenverschuldung, der Unternehmen und Konsumenten zusammengenommen heute das Weltsozialprodukt bereits übersteigen. Nichts Genaues weiß man nicht. Offene Bilanzen und ehrliche Finanz-Statistiken sind so häufig wie schlanke Sumo-Ringer. Jedenfalls hätte das globale Finanzsystem bei dieser fantastischen Überschuldung längst zusammenbrechen müssen. Ist es aber nicht; und so lebt sich's nun gänzlich ungeniert. Irgendwie sprudelt das Geld, das nicht nur die schier endlose Kette von Umschuldungen, Trickbuchungen und Abwicklungen ermöglicht, sondern aus dem Minus der Weltschuldenfalle ständig neues positives Wachstum zaubert. Die Hauptquelle in den 90er Jahren sind die Aktienmärkte, deren anscheinend unerschöpfliche Kurssteigerung alle Krisen und Zusammenbrüche mit goldenem Licht überstrahlt. Soviel verschulden kann sich die Welt gar nicht, wie mit dem Börsenfeuerwerk wettgemacht wird. Vorbei die Zeit der Ängste vor dem großen Krach. Schon der große Einbruch von 1987 erwies sich ja bloß als kleine Delle in der Aufwärtskurve, und seitdem gibt es zwar hin und wieder mal "Korrekturen" nach unten oder "Seitwärtsbewegungen", aber wen ängstigt das schon. Während 50 Prozent der US-Amerikaner verelenden, feiert die andere Hälfte als Aktienbesitzer quer durch alle soziale Schichten die Finanzparty, obwohl ihre Reallöhne seit zwei Jahrzehnten sinken. In der BRD mischen immerhin auch schon 20 Prozent der über 18-Jährigen mit. Der smarte Handy-Typus mit Internet-Zugang zum "Neuen Markt" gibt den Trend des gesellschaftlichen Bewusstseins vor. Vielleicht ist trotzdem die schüchterne Frage erlaubt, in welchen Realitätsdimensionen sich das wundersame Geschehen inzwischen abspielt. Gehen wir gleich in die Weltspitze: Seit seiner Gründung im Jahr 1900 benötigte der berühmte Dow-Jones-Index 66 Jahre, bis er das Niveau von 1.000 Punkten einmal kurz tangierte. Es dauerte noch einmal 16 Jahre, bis er dieses Niveau nachhaltig überschritt. Dann gab es kein Halten mehr: 1995 lag der Dow bereits bei 4.000 Punkten, 1996 bei 6.000, im Februar 1997 bei 7.000, im Juli schon bei 8.000, 1998 bei 9.000 und seit Mitte 1999 bei nicht weniger als 11.000 Punkten. Ein ähnlicher Quantensprung findet sich fast in der ganzen Welt, wenn auch nicht überall in derselben Größenordnung. Obwohl auch der deutsche Aktienmarkt schon aufgebläht ist, musste der "Spiegel" Anfang 1999 erschreckt feststellen, dass der US-Spitzenreiter Microsoft bei 29.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 14,5 Milliarden Dollar allein einen "Börsenwert" hat, der mit 435 Milliarden Dollar größer ist als derjenige von acht BRD-Großkonzernen zusammengenommen, die mit 1,3 Millionen Beschäftigten 387 Milliarden Dollar umsetzen. Man kann es auch so sagen: Das Volumen der fiktiven Börsenkapitalisierung, das heute die Weltwirtschaft trägt und die Mammutverschuldung wegsteckt, hat mindestens 100 Jahre "Zukunftserwartung" vorweg genommen und verknuspert. Es ist eine absurde Dimension, in der die vermeintliche "New Economy" einer strukturell "arbeitslosen" Scheinakkumulation die kapitalistische Zukunft bereits völlig leergesaugt hat. Die unvermeidliche Kernschmelze des fiktiven Kapitals, der GAU des globalen Finanzsystems, wird genau dann eintreten, wenn fast niemand mehr einen Gedanken darauf verschwendet. Aus: ND, 10.9.99 |
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