OSTDEUTSCHE LANDWIRTSCHAFT
Zwischen allen Stühlen
- Agrarproduktivgenossenschaften
im Dreiklang von Verdrängung, Anpassung und Experiment
Diskriminierungen
jeglicher Art gehören bei den Agrargenossenschaften bis heute zum Alltag. In
der Presse oftmals als "Rote Barone" verleumdet sitzt diese
Kooperationsform zwischen allen Stühlen. Von den Genossenschaftsverbänden
wurde ihr Scheitern durch eine Studie schon in den Anfangsjahren vorausschauend
"wertfrei prognostiziert", von der Landwirtschaftslobby werden sie als
starke Konkurrenz der westdeutschen Bauernbetriebe immer wieder bekämpft und im
alternativen Sektor ist auch heute noch Größe, fehlende ökologische
Ausrichtung und die eigenständige Unternehmenskultur Grund genug, sich nicht
mit dieser besonderen Form einer Produktivgenossenschaft auseinanderzusetzen.
Burghard Flieger, Red.
Genossenschaften - "In
Westdeutschland interessiert man sich nicht für uns." "Die wollen uns
von seiten der Politik doch nur kaputtmachen." "Es ist glaube ich
nicht gut, wenn etwas über unseren Betrieb in Westdeutschland erscheint."
Solche ablehnenden Antworten sind charakteristisch, sobald in ostdeutschen
Agrargenossenschaften Informationen nachgefragt werden. Die BSE-Krise hat das
Misstrauen gegenüber der Presse noch verstärkt. Folgen sind ausgeprägte
Schwierigkeiten, Unternehmensporträts zu einzelnen Betrieben zu erstellen.
Dabei gibt es eine Vielzahl an Unternehmen, die mit Innovationen aufwarten können:
demokratische Unternehmensstrukturen, intensive Frauenförderung, Umstellung auf
ökologische Landwirtschaft, regenerative Energieerzeugung sowie Eröffnung
neuer Produktionszweige wie Hanf-, Flachs-und Kräuteranbau.
Kampf ums Überleben
Als weiteres zentrales Problem
kommt hinzu: Schuldenfrei ins neue Jahrhundert zu gehen, war vielen
Agrargenossenschaften in den neuen Bundesländern nicht vergönnt. Sie schleppen
einen Berg Altkredite aus DDR-Zeiten mit sich herum, weil ihnen damals die
Lasten gemeinnütziger bzw. kommunaler Aufgaben aufgebürdet wurden. Über 430
Millionen DM kommen bei den LPG-Nachfolgebetrieben allein in
Mecklenburg-Vorpommern zusammen. Zwar wird gegenwärtig überprüft, ob die
Betriebe aus eigener Kraft in weiteren zehn Jahren - also bis 2010 - in der Lage
sind, ihre Schulden zu begleichen. Schaffen sie dies nicht, so besteht die vage
Hoffnung, dass andere Regelungen getroffen werden - aber nur für die, die die
vielfältigen Benachteiligungen bis dahin überleben.
Der erste Beitrag des Schwerpunkts
gibt einen Überblick zu den bestehenden Agrargenossenschaften und ihrer
Entwicklung seit der Wende: Wie viele Betriebe konnten den erzwungenen
Rechtsformenwandel zum Erhalt genossenschaftlicher Strukturen nutzen? Auch auf
den zwiespältigen Umgang der Verbände mit dieser Unternehmensform wird
eingegangen. In dem zweiten Artikel verdeutlicht Lutz Laschewski, dass es die
Agargenossenschaft gar nicht gibt. Vielmehr lassen sich zahlreiche Sozialtypen
unterscheiden. Modelle paternalistischer Fürsorge sind wahrscheinlicher als
Basisdemokratien. Dennoch konnten einige Kooperativen - meist nur mit einer
kleinen Anzahl von 10 bis 15 beschäftigten Mitgliedern - ihren
produktivgenossenschaftlichen Charakter verstärken.
Beispiele aus der Praxis
Ergänzend werden zwei
Unternehmensbeispiele ausführlicher skizziert. Klaus Böhme veranschaulicht,
wie es der Agrargenossenschaft "Börde" gelingt, sich durch
umfangreiche Investitionen in moderne Produktionsanlagen und Technik sowie
qualifizierte und motivierte Mitglieder eine Basis für die Zukunft zu schaffen.
Altschulden, steigende Bodenpreise und die Schwierigkeiten bei der Tierzucht führen
aber dazu, dass das Überleben immer wieder auf harte Proben gestellt bleibt.
Entsprechend hat die Bartelshagener Agrargenossenschaft mittlerweile einen
eigenen Weg eingeschlagen. Elke Ehlers schildert eindrucksvoll die Möglichkeiten,
die sich durch die Umstellung auf Freilandgeflügel als ein Standbein ergeben.
Die kritischer gewordenen Verbraucher bevorzugen zunehmend den Kauf artgerecht
aufgewachsener Tiere.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 9