Neue-Arbeit-Gruppen erproben praktische Kritik der
Marktwirtschaft
Meister Anpassung regiert das Land !
Lastwagen der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim mit Aufschrift
gegen den Afghanistankrieg
Die globalisierte Privatwirtschaft hat für
eine Mehrheit der Menschen unzureichende Lebensverhältnisse hervorgebracht: Ca.
80% der Erdbewohner leben in primitiven, menschenunwürdigen Behausungen ohne
fließendes Wasser, Toiletten oder Heizung. Fast die Hälfte leiden an den
Folgen von Unterernährung. Die gewaltige Produktivitätssteigerung der letzten
hundert Jahre kommt den meisten Menschen kaum zugute. Eine hauchdünne Schicht
von Kapitalbesitzer beherrscht einen Großteil dieser Produktionsmöglichkeiten.
Die Masse der ProduzentInnen wird mit Waren abgespeist, die ihre Bedürfnisse
immer wieder neu auf das Reich der Warenwelt ausrichten und verflachen. Tätige
Mitmenschlichkeit, Solidarität, Liebe ... werden zum Luxus fern von dieser
Wirtschaftsweise, oder sie werden dazu benutzt, die schlimmsten Schädigungen zu
lindern. Dann kann der Schweinsgalopp des Verwertungswettlaufs weitergehen. Ist
das alles ?
Hilmar Kunath, Redaktion Hamburg - Gut, dass
sich in den letzten Jahren eine neue Globalisierungskritik-Bewegung entwickelt
hat. Dort werden verstärkt die Auswirkungen dieser Wirtschaftsweise kritisiert
und gefordert, ihr Zügel anzulegen. Es bleibt allerdings erst einmal offen, wie
Kräfte entwickelt werden könnten, die globalen Spekulationsströme zu
unterbinden und die Macht der Konzerne zu begrenzen. Bleibt deshalb erst einmal
alles wie es ist?
Durch unsere Arbeitsverhältnisse in der (Privat-)wirtschaft drohen wir immer
wieder zu Geiseln einer Kapitalspolitik des ungehemmten Waren- und Geldverkehrs
zu werden. Jede Einschränkung des `freien Unternehmertums', ob Tobinsteuer oder
Vermögenssteuer, kann mit einer Drohung des Abbaus unserer Arbeitsplätze
beantwortet werden.
Bisher ist diese Wirtschaftsweise fast ohne demokratische Alternativen
geblieben. Was fehlt, ist eine praktische Kritik dieser Wirtschaftsweise, die an
unseren alltäglichen Lebensverhältnissen ansetzt. Kongresse, Demos, Proteste
und E-mails können allein keine neue demokratische Wirtschaftsweise
hervorbringen. Erst wenn ein Teil der weltweiten Kritikbewegung an der
kapitalistischen Globalisierung sich zu praktischen Alternativen zur
Marktwirtschaft entwickelt, kann sie dauerhaft deren Anpassungszwängen
entgehen.
Selbstorganisation ist angesagt, um Schritt für Schritt die Zwänge von
Waren und Geld zurückzudrängen. Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe, als (Wieder-)Ausbauen
von gegenseitiger solidarischer Hilfe kann eine Grundlage sein, den scheinbar
allgewaltigen Anpassungszwängen von Markt und gekaufter Meinung zu widerstehen.
Solange Lebens- und Arbeitsperspektiven ausschließlich auf marktbezogene
Erwerbsarbeit gründen, sind die Lohnabhängigen oder kleinen
WarenproduzentInnen Anhängsel der Wirtschaft und Politik, die sie in ihren
globalen Auswirkungen vielleicht gerade heftig kritisiert haben. Sie müssen
schließlich wieder nach Haus und ihr Geld verdienen. Der Anpassungszwang an den
Warenmarkt hat die alte Alternativbewegung fast völlig zu Anpassung und Auflösung
gebracht. Was unterscheidet heute manchen Bioladen, selbstverwalteten
Fahrradladen, alternativen Busreise- oder Druckbetrieb von einer `normalen'
privatwirtschaftlichen Firma? Dass der alltägliche Umgang mit Waren und Geld
das bewirken könnte, wurde gewaltig unterschätzt. Auch die heutigen
Projektgemeinschaften werden sich den Märkten anpassen müssen, wenn sie nicht
bewusst etwas Neues schaffen, was diesen Anpassungszwängen standhalten kann.
Damit diese Anpassung nicht geschieht, können wir uns in einem ersten
Schritt mit einigen Menschen aus unserem unmittelbaren Umfeld zusammenschließen
und unsere Erwerbszwänge, unsere Abhängigkeit von Waren und Geld praktisch
abbauen. Einzeln sind unsere Spielräume recht gering. Schon mit wenigen
Personen können wir Projekte gegenseitiger Hilfe beginnen, zum Beispiel einen
Umsonstladen aufbauen (siehe Beitrag unten) Neben dem ohnehin noch recht starken
Marktbezug unserer Arbeit, den einige von uns etwas kürzen können, sollten wir
systematisch und gruppenübergreifend einen Bereich direkter gegenseitiger Hilfe
zu einem demokratischen Wirtschaften ohne Waren und Geld weiterentwickeln. Das würde
dauerhaft ermöglichen, den Marktzwängen besser zu widerstehen.
Wie so ein neues Wirtschaften aussehen kann, möchten wir auch auf Grundlage
der Schwierigkeiten, auf die unsere Praxis stößt, miteinander und auch in der
CONTRASTE diskutieren. Um in die Richtung der verabredeten, basisbestimmten
Solidarität weiter zu gehen, haben wir als Neue-Arbeit-Gruppen und
Projektgemeinschaften einen losen Zusammenschluss gebildet. Wir wollen über die
Möglichkeiten, Erfahrungen, Schwierigkeiten eines Wirtschaftens jenseits der Märkte
miteinander reden, um vielleicht auch bald zu praktischem Zusammenwirken zu
kommen. Noch bezeichnen wir das, was wir meinen, oft nur abgrenzend und mit
unterschiedlichen Begriffen: Neue Arbeit, Lokale Ökonomie (darunter
Stadtplanung von unten), Solidarwirtschaft, demokratisches, selbstbestimmtes
Wirtschaften usw..
Ausgehend von einer gemeinsamen Tagung unserer Gruppen in Dresden im
September 2001 stellen wir uns hier in der CONTRASTE erstmals gemeinsam öffentlich
vor. Für nächstes Jahr ist ein weiteres Treffen geplant von Gruppen und
Einzelnen, die Theorie und Praxis eines direkten, selbstbestimmten Wirtschaftens
weiterentwickeln wollen.
Schwerpunktthema auf Seite 7-10