20 JAHRE SOZIALISTISCHE SELBSTHILFE
MÜLHEIM
Ein Fenster in die Zukunft
"Soviel Ende war nie". Mit diesem
fulminanten Satz beginnt Robert Kurz sein Buch "Der Kollaps der Modernisierung".
Und meint, dass die Epoche der sogenannten Moderne zu Ende geht, die 200 Jahre junge
Arbeits- und Geldgesellschaft.
Von Heinz Weinhausen, Redaktion Köln - Noch am Anfang des 19. Jahrhunderts gab es heftigen
Widerstand gegen diese Gesellschaftsform, weil sie eine Enteignung von stofflichem
Reichtum bedeutete. So spielte im Mittelalter das Geld nur eine marginale Rolle von 20%
der wirtschaftlichen Leistung. Die Menschen versorgten sich noch selbst in Form der
Großfamilie und anderen Gemeinschaftsformen wie der Allmende. Wer beispielsweise Holz
brauchte, konnte es sich im Wald nehmen. Ökonomie war noch eingebettet und nur ein Aspekt
des gesamten Lebens.
Die Moderne hat die verwobene Ganzheit
zerrissen. Heute verdiene ich - wenn ich noch Arbeit habe - mein Geld in der einen Ecke
der Stadt, wohne in der anderen, kaufe in der Mitte ein, hole meine Tochter aus dem
Kindergarten, besuche meinen Vater im Altenheim, fahre ins Grüne und fliege in Urlaub.
Ich bin überall und nirgends, funktioniere, delegiere und konsumiere. Der inneren Leere
entspricht die Wegwerfgesellschaft. Der gesellschaftlichen Isolierung entspricht die
Gleichgültigkeit der über Geld vermittelten Beziehungen. Der eigenen Ohnmacht
entsprechen die Sachzwänge der entbetteten Konkurrenzökonomie und das Versagen des
Sozialstaates.
Die Computertechnologie entzieht der
Marktwirtschaft schließlich den Boden. Wenn stetig und zunehmend mehr Arbeitsplätze
wegrationalisiert werden als überhaupt neue geschaffen werden können, dann ist dieses
Gesellschaftssystem letztlich nicht mehr bezahlbar. Das ist die banale, aber vielfach
verdrängte Ursache der vielen Krisenerscheinungen. Das Aufplustern der Aktien,- Finanz-
und Kreditmärkte ist nur Ausdruck eines Strohfeuers, das schließlich erlöschen muss.
In diesen Epochenumbruch ist das Projekt SSM
einzuordnen. Hier wird wieder an ältere Wirtschaftsformen angeknüpft, allerdings nicht
rückwaertsgewandt, sondern in radikal-emanzipatorischer Weise. Statt Großfamilie
freiwilliger Zusammenschluss. Statt patriarchaler Hierarchie konkrete Basisdemokratie.
Statt religiöser Dogmen vielfältiger Humanismus. Statt Monotonie vielseitige
Betätigung. Statt Holzpflug Bohrmaschine, LKW und Computer.
In der heutigen Sinnkrise und Zeiten des
Einbruchs der Marktwirtschaft befindet sich die SSM bereits mit einem Fuß im neuen
"Raum der Möglichkeiten". Wenn Menschen - Gesunde und Kranke, Behinderte, Alte
und Junge, Starke und Schwache, - sich zusammenschließen und in das gesellschaftliche
Geschehen einmischen, ihren eigenen Lebenszusammenhang regeln und gestalten, wenn sie
Ressourcen wie Häuser und Maschinen besitzen und sich das nötige Knowhow aneignen,
können sie trotz - oder gerade wegen - weniger Geld reicher und zufriedener leben.
Dafür steht die SSM; als reales Fenster in
eine Zukunft, die da heißt: Soviel Anfang war nie.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 9