USA:
Stimmen der Opposition
Es gibt eine Opposition in Amerika, eine
radikale
Opposition, die bis auf zwei, drei Namen hierzulande
gänzlich unbekannt ist, aber diese Opposition hat
viele Stimmen, und die Stimmen schweigen nicht,
gerade jetzt nicht! Aber ihre Nichtbeachtung im
kommerziellen Medienbetrieb sowohl jenseits des
Atlantiks, wie auf unserer Seite hat System, ein
opportunistisches, geldgeiles, zensorisches System!
Deshalb wollen wir sie in CONTRASTE
veröffentlichen, und soweit nicht hier abgedruckt,
findet ihr die Volltexte auf unserer Homepage oder
als Sonderdruck(*). Im folgenden möchte ich einen
Überblick aus den Kommentaren verschiedener
Autoren geben:
Von Herrmann Cropp - In seinem Text, zwei Tage
nach
dem Anschlag, befasst sich Edward Herman, zeitweiliger
Weggefährte von N. Chomsky, mit der parteiischen
Berichterstattung der New York Times. Er schreibt unter
anderem: "Eine der unverwüstlichen Eigenarten der US-Kultur
ist die Unfähigkeit oder Weigerung, US-Verbrechen zu
erkennen. Die Medien haben lange gefordert,
dass die Japaner und Deutschen ihre Schuld zugeben und
Wiedergutmachung zahlen. Aber die Idee, dass dieses
Land selbst gewaltige Verbrechen begangen habe, und es
sein kann, dass gegenwärtige Ereignisse wie die
Welthandelszentrums- und Pentagonangriffe als Antworten auf
jene Verbrechen anzusehen sind, ist fast nicht erlaubt. Im
Leitartikel zu den jüngsten Angriffen (12,9,01) weist die
New York Times zwar auf das Ende des kalten Kriegs und
den "wiederauflebenden ethnischem Hass" hin, aber dass
die USA und die NATO zu diesem Wiederaufleben mit ihren
eigenen Taten beitrugen (z.B. die Sowjetunion zu demontieren
und die russische "Reform" unter Druck zu
setzen, Slowenien und Kroatien zu ermutigen Jugoslawien zu
verlassen und diesen Staat aufzulösen, ohne sich
um das Problem der Minderheiten zu kümmern) das
wird überhaupt nicht zu Kenntnis genommen."
Herman gibt dann eine Aufstellung dieser Verbrechen
der amerikanischen Politik: WTO, Weltbank, IMF, Unterstützung
rechter Regierungen, Staatsterrorismus, Folter
und Entführungen in Lateinamerika, Vietnam, Südafrika,
Angola, Suharto, Marcos, das Folterregime des persischen
Schahs, die Unterstützung des Irak gegen Persien
und dann der Krieg gegen Irak, der Abschuss eines persischen
Zivilflugzeugs und schließlich die Unterstützung
der israelischen Enteignungspolitik und ethnischen
Säuberungen in Palästina. Darüber schweigt die US-Presse
oder berichtet falsch. Herman: "Viele dieser Hundertmillionen
Verlierer wissen ziemlich gut Bescheid über die
Rolle der Vereinigten Staaten in diesem Prozess. Es ist die
US-Öffentlichkeit, die kaum etwas davon weiß."
Und zum Schluss seines Kommentars: "Alle diese Opfer können
durchaus einen Widerwillen gegen die "westliche Zivilisation
und ihre kulturellen Werte" haben, aber
das kommt daher, weil sie erkennen, dass es die rücksichtslose
Zumutung eines neoliberalen Regimes einschließt, das den
westlichen, transnationalen, korporativen Interessen dient,
obendrein mit der Bereitschaft, unbegrenzte Gewalt
anzuwenden, um die Ziele des Westens
zu erreichen. Die Times-Herausgeber erkennen dies
nicht oder geben es jedenfalls nicht zu, weil sie die
Sprecher des Imperialismus sind, und das Kapital nicht bereit
ist seine Politik zu ändern. Dies verheißt Übles für die
Zukunft. Aber es ist von großer Wichtigkeit, die Tatsache in
diesem Augenblick zu betonen, dass imperialer Terrorismus
zwangsläufig die Antwort des Kleinterrorismus produziert, und
dass dringender Bedarf besteht, die ursächliche Gewalt des
herumwütenden Imperiums zu zügeln."
Das amerikanische Z-Magazin verzeichnete bereits
zwei Tage nach den Anschlägen etliche Kommentare von
Autoren der US-Linken auf ihrer Homepage, und noch
immer kommen neue hinzu (www.zmag.org - von
denen ich mehrere
übersetzt habe). Es fällt kaum auf, weil
die Aufgeregtheit sowohl der Lesenden, die nach immer
neuen Informationen und Antworten auf existenziell
empfundene Fragen suchen, wie auch derer, die schreiben und
auch kaum etwas anderes tun können als zu suchen, dass sich
die Kommentare alle irgendwie gleichen.
Und zwar auch die der Autoren der amerikanischen Opposition,
die in der Tat eine mehr oder weniger ähnliche Aufzählung der
Konfliktpunkte bringen, nur mit jeweils andern Worten, und
man hofft immer beim Lesen noch ein
bisschen mehr Information zu ergattern. Insofern lassen
sich alle Kommentare danach sortieren, wie sie 1. zur
Medienkritik stehen, 2. zu internationalen Konfliktherden,
3. zu militärstrategischen Fragen und 4. zur jeweiligen
Innenpolitik.
Tariq Ali weist als einziger auf einen möglichen Bürgerkrieg
in Pakistan hin, für den Fall der Kooperation
mit den USA. Michael Albert warnt besonders deutlich
vor einer Einschränkung der Bürgerrechte. Naomi Klein
stellt die von andern Autoren schon bekannten Kritikpunkte in
den Rahmen einer Medienkritik, "das Ende
von Videospielkriegen". Jean Bricmonts schreibt in
"Das Ende vom Ende der Geschichte", obwohl er sich im
Titel auf den berühmten Diskurs von Fukuyama vom
Ende der Geschichte bezieht, leider keine grundlegende
Einschätzung dieser so deutlich von allen Menschen
empfundenen historischen Wende, sondern zählt auch nur
die Konflikte auf. Nichts anderes tut Noam Chomsky, der
sich als Linguist eigentlich mit den abstrakten Räumen
der Sprache und des Denkens befasst, sodass man schon
einwenig enttäuscht ist. Auch findet sich nirgends eine
Kritik der Umsturztheorie vom "Herzen der Bestie" (Che
Guevara), das es nämlich in einer offenen westlichen
Gesellschaft evident nicht gibt.
Das heißt, ich bin unzufrieden mit den Stellungnahmen der
US-Oppositionellen, denn wenngleich immerhin Ali, Avnery,
Albert und Zinn wenigstens davon sprechen, dass die Ursachen
der globalen Unzufriedenheit beseitigt werden müssen, Avnery
sogar mit dem versöhnlichen Bild: "Statt der zerstörten Türme
von New York müssen die Twin-Tower von Frieden und
Gerechtigkeit gebaut werden." und Albert mit: "wir brauchen
ein neues Denken", und damit meint: "aufhören Waffen zu liefern
... keinen Krieg zu führen ... kostenlose
Gesundheitsfürsorge, garantierte Ausbildung und Behausung,
anständige Löhne, saubere Umwelt", bleibt dieser ganze
Diskurs viel zu sehr im Politischen, z.B. in der Umverteilung
stecken. Es werden stets nur die Interessen, Kräfte, die
Ökonomie und die Zahlen erwogen, und die Moral, sofern sie
politisch erfassbar ist.
Die Kurzatmigkeit solcher Überlegungen muss doch
auffallen, ich meine, es sollte viel mehr in langfristigen
Perspektiven gesellschaftlicher Prozesse gedacht werden,
damit wir nicht bei Begriffen wie Imperialismus, Kampf
der Kulturen (Huntington) oder Barbaren (G.W.Bush)
gegen die zivilisierte Welt (Schröder) hängen bleiben. Zu
untersuchen wäre die Struktur der Konflikte, wozu Christian
Sigrist vor einigen Jahren z.B. mit dem Wort von der
"Cowboy-Demokratie" anregte, d.h. welches
Demokratieverständnis liegt eigentlich der US-Politik
zugrunde?
Möglicherweise ist die multikulturelle US-Gesellschaft ein Modell
für die globale Zukunft, aber um so schlimmer,
wenn wir das Modell gar nicht kennen. Im Gegensatz zu
fast allen Staaten verfügen die USA nur über eine 200-jährige
Staatlichkeit bzw. entsprechende Tradition, und der
Staat als Garant der Sicherheit des Einzelnen zeigt, im
Gegensatz zu gleichweit entwickelten Gesellschaften, die
geringste Rechtssicherheit für sozial Schwache. Es ist die
Rede von der Arroganz der Macht oder schlicht vom Satan, aber
moralische Kategorien sind eher ein Zeichen
von Hilflosigkeit, weil man das, was in den USA für Recht
gehalten wird, nicht versteht.
Übergehen wir jetzt mal das anarchistische Totalverdikte
(übrigens könnte die anarchistische Antistaatlichkeit recht
gut zum amerikanischen Pionierdenken passen), dann wäre ganz
nüchtern jede Form der Rechtlichkeit zu analysieren, denn sie
ist das formale Gerüst allen
Umgangs der Menschen und somit der gesellschaftlichen
Struktur. In Europa oder auch Afghanistan ist Recht quasi
eine Dimension aus der Ewigkeit, hingegen hat das
amerikanische Recht, wenn auch von Europa inspiriert,
eine ganz andere Entwicklung genommen, die den Staat
soweit wie möglich aus den Belangen des Einzelnen heraushält.
Zweifellos hat solche Umwertung des Rechts einen heilsamen
Einfluss auf stagnierte globale Verhältnisse, aber es darf
nicht sein, dass die USA der Welt aufgrund
ihrer Vormachtstellung ihr rudimentäres Recht aufzwingt.
Herrmann Cropp
* "Die Terrorangriffe vom 11.9.2001", Texte
von Tariq
Ali, Uri Avnery, Edward Herman, Radikaler Schwarzer
Kongress, Michael Albert, Howard Zinn, Noam Chomsky,
beim Packpapierverlag, Postfach 1811, D-49008 Osnabrück,
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