Monatszeitung für Selbstorganisation
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Seite 2 Red. Bremen - Seit Anfang 1984 gibt es in Groß-London eine Unternehmensförderungsgesellschaft speziell für Arbeiter-Produktivgenossenschaften. Sie ist Bestandteil der wirtschaftsdemokratischen und produktionsorientierten ,,London Industrial Council" (GLC). Dieses "London Co-operative Enterprise Board" (LCEB) vergibt aus seinem revolvierenden Fonds Kredite an Selbstverwaltungsunternehmen und macht ihnen eine Vielzahl von Beratungs- und Schulungsangeboten. Die überparitätische Beteiligung der neuen Genossenschaftsbewegung an der Führung des LCEB ist ein Beispiel für die jüngste Labour-Strategie, politische Planung und Verwaltung zu dezentralisieren und zu vergesellschaften. Ein großer Teil der Genossenschaftsbewegung beteiligt sich an diesem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konzept. Von Wolfgang Beywl - Für die Kommunalwahlen im Mai 1981 hat die Labour-Party ein wirtschaftliches Programm entwickelt, das sich als Alternative zum Autoritätskurs der Thatcher-Regierung, aber auch zum überholten Keynesianismus der 70er Jahre versteht. Die neue Strategie setzt bei der Produktion selbst an und versucht, durch gezielte Förderung von Schlüsselbranchen den wirtschaftlichen Niedergang von Groß-London aufzuhalten. Zur Umsetzung der ,,Industriellen Strategie für London" wurde eine selbständige Wirtschaftsförderungsgesellschaft (m.b.H.) gegründet, das ,,Greater London Enterprisc Board" (GLEB), in dem Management-Berater, Ingenieure, Marketing- und andere Spezialisten arbeiten. Wirtschaftsdemokratisierung ist zentral für diese industrielle Restrukturierungspolitik: Nur solche Firmen werden unterstützt, die sich schriftlich zu einer Beteiligung des GLEB, der Gewerkschaften und einer evtl. bestehenden innerbetrieblichen Arbeitnehmervertretung an der Abwicklung der Fördermaßnahmen verpflichten. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt des GLEB ist die Unterstützung genossenschaftlicher Unternehmensformen. Für die neue Genössenschaftsbewegung, die - auf die neutralisierte Eigentumsform abzielend - unter dem Titel ,,Industrial Common Owncrship" läuft, war im GLEB seit Mitte 1983 die "Co-operative Unit" zuständig; sie hat u.a. Kredite an Kleingenossenschaften, an eine große Übernahme-Genossenschaft und an die ,,Co-operative Development Agencies" (CDA) vergeben, die mit unseren Netzwerken Selbsthilfe in etwa vergleichbar sind. Die Co-operative Unit begann außerdem, Marktforschungsaufträge zu vergeben, Trainingsprogramme für Co-op Mitglieder zu erstellen und Einzelberatungen durchzuführen. Zu den wichtigsten Leistungen dieser Co-operative Unit zählt, daß die den Dialog zwischen Labour, Gewerkschaften und alter Genossenschaftsbewegung auf der einen Seite und den neuen Co-ops auf der anderen Seite organisiert hat, dessen ,,Geist" aus folgendem Zitat einer Selbstdarstellungsbroschüre spricht: "Während GLC und GLEB darum bemüht sind, Arbeiter-Produktivgenossenschaften zu unterstützen, erkennen beide an, daß es für die neue Genossenschaftsbewegung unerläßlich ist, die Methoden selbst zu bestimmen, wie diese Unterstützung in die Praxis umgesetzt werden soll." Aus diesen Beratungen ging Anfang 1984 das "London Co-operative Enterprise Boaid" (LCEB) hervor. Diese selbständige Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde mit einem repräsentativen Leitungsgremium, Personal und 1 Million Pfund Sterling als Startkapital für den revolvierten Kreditfonds ausgestattet. Das Leitungsgremium (,,Board of Directors") besteht aus 14 Personen: - fünf gewählten Vertreter/inne/n der Londoner ,,worker-co-ops" (105
der ca. 250 Londoner Co-ops sind Mitglied des LCEB; in Briefwahl bestimmen sie
ihre VertreterInnen (derzeit vier Frauen, ein Mann); Beschäftigt sind beim LCEB fünf Personen: Modellhaft ist das Vergabeverfahren der Kredite durch das LCEB. Vergeben werden Kredite bis zu 25.000 £ (höhere Summen werden weiterhin durch das GLEB ausgegeben). Die Kredite können sowohl für Investitionen als auch für laufende Ausgaben (u.a. Löhne) verwendet werden. Die Zinsen bewegen sich in der Größenordnung der Inflationsrate; ihre Laufzeit beträgt meist 5 Jahre. Von der Gesamtsumme von 1 Mio. £ sind nur 450.000 £ frei verfügbar, die übrigen 550.000 £ sind in Teilsummen gestückelt für folgende vier Prioritätengruppen reserviert: - ethnische Minderheiten (insbes. Inder und Afrikaner); Die Kreditgewährung hat mehrere Voraussetzungen: Wichtig ist der Nachweis, daß das Unternehmen ökonomisch lebensfähig ist; von dieser strengen Wirtschaftslichkeitsprüfung erhofft sich das LCEB auch, daß die Co-ops bei anderen Kreditinstituten salonfähig werden. Die Anforderungen an die Praktizierung von Selbstverwaltung in den Unternehmen sind hoch. Die Eintragung als ,,worker co-op" im zuständigen Register ist Grundlage; darüber hinausgehend muß u.a. gewährleistet sein: - Mindestens 75 der Genossenschaftseigentümer müssen im Betrieb arbeiten; - Probearbeitszeiten für künftige Genossen/innen dürfen nicht zu lang sein; - Bei Auflösung der Co-op muß das verbleibende Vermögen an den LCEB-Fonds oder an eine andere Genossenschaft übergeben werden. In einem Kreditantrag muß die Erfüllung all dieser Kriterien, müssen die Bilanzzahlen des vergangenen Jahres sowie die Planungszahlen dargestellt werden. Die Vergabe erfolgt durch das Leitungsgremium, das zu diesem Zweck ca. einmal monatlich zusammenkommt. Die von Kritikern unterstellte Selbstbedienungsmentalität der Projekte-Szene ist nicht aufgekommen, sondern es finden faire Beratungsprozesse statt, und auch bei befreundeten Co-ops wird dann ,,nein" gesagt, wenn die Zahlen nicht stimmen. Eine vergleichsweise neue Einrichtung des LCEB ist das "Marketing Resource Centre", das speziell auf die Bedürfnisse der kleinen worker co-ops zugeschnittene Marktforschung, Verkaufstrainingsprogramme, Werbestrategien u.v.m. anbietet. Die Schattenseite des LCEB soll nicht verschwiegen werden. Von den projektierten 3 Mio. Pfund sind lediglich 1 Mio. £ eingezahlt worden; mehr konnten aus dem Haushaltsansatz für das GLEB (ca. 30 Mio. £ jährlich, wovon einiges in stadtteilnahe Alternativprojekte fließt) nicht losgeeist werden. Das GLEB ist wie das gesamte GLC von den kommunalen Steuereinnahmen abhängig, deren Höhe von der konservativen Zentralregierung in den letzten Jahren beschnitten worden ist. Wenn das GLC - wie angekündigt - im März 1986 von den Tories aufgelöst wird, ist mit Zusatzfinanzierungen für das LCEB auf lange Sicht Schluß. Dabei sind schon heute die Wartelisten der Projekte, die Kredite benötigen, sehr lang. Von London lernen? Das ist nicht so einfach, denn bei den in Frage kommenden sozialdemokratisch regierten Ländern ist (bis auf Hessen) weder bei der Regierung, noch bei den Selbstverwaltungsbetrieben viel Mut zum Risiko der Kooperation vorhanden. Es müßte sich - fast schon ruckartig - sehr viel ändern in den Köpfen und Herzen von Politikern und Kollektivisten, sowohl in den Infrastrukturen der Betriebelandschaft als auch der öffentlichen Mittelbewirtschaftung. Vielleicht kann aber das Londoner Beispiel diejenigen in beiden Lagern wachrütteln, die in ihrer Gartenzwergmentalität nur auf ihr kleines Vorgärtchen schauen und, was eine wirtschaftsdemokratische Zukunft betrifft, "nitt uss de Fööss kumme", wie man hier in Köln über die Ewig-Zuspätkommenden sagt. Ein weiterführender Beitrag über die neue Genossenschafts-Bewegung im Vereinigten Königreich, in dem auch Adressen und Literatur aufgeführt werden, erscheint als Reisebericht von Hanne Bestvater und Wolfgang Beywl in der ersten Ausgabe 1986 des Rundbriefes Alternative Ökonomie, beim Theoriearbeitkreis der AG SPAK. |
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