Monatszeitung für Selbstorganisation
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Zuckerbrot und PeitscheSPD-Forum "Ausgrenzung in die neue Armut"Es gab nicht viel Neues bei diesem Heimspiel der SPD im Erich-Ollenhauer-Haus. Bei ca. 150 Geladenen - zumeist Funktionäre der SPD, der Kirchen, der Arbeitsämter und der Wohlfahrtsverbände ließen die ermüdend langen Referate und die ellenlangen Rednerlisten keine Diskussion zustande kommen. Dennoch bleibt es wichtig, die Veränderungen (?) von SPD-Positionen im Auge zu behalten. Deshalb im Folgenden Auszüge aus der "Begrüßung" durch Peter Glotz und dem Referat von Oskar Lafontaine.
Von Jochen Reinalda - Peter Glotz wie gehabt: die SPD sucht angesichts der Massen- und Dauerarbeitslosigkeit Partner für ein "Bündnis der Fairneß" "unabhängig von traditionellen Parteigrenzen und alten Gegnerschaften". Vor allem die Kirchen sind dabei "gefordert", aber auch alle anderen "sozial engagierten Menschen aus allen Schichten und Gruppen". Jenes Bündnis soll zum "Erhalt des Produktivfaktors sozialer Friede" beitragen. Der nämlich sei in Gefahr. "Die vom sozialen Liberalismus befreite FDP und der wirtschaftsliberale Flügel der Union" betreiben eine Entsolidarisierungspolitik mit dem Ziel der Aufspaltung der Gesellschaft; "die oberen Schichten nehmen die Kernbelegschaften mit, aber ein Drittel der Gesellschaft wird dabei hinuntergedrückt – nicht ins absolute Elend, aber doch an die Grenze der Armut". Oskar Lafontaine hat „selbst vor einem Jahr mein 13. Monatsgehalt für einen Fond zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche bereitgestellt und damit eine unvermutete Kettenreaktion der Solidarität ausgelöst". Solch "persönliches Sicheinlassen", "Mitleiden mit den in die neue Armut Ausgegrenzten" fordert er von seinen Parteifreunden. Desgleichen ein grundsätzliches Umdenken bei der Wirtschaftspolitik. Die dürfe nicht mehr auf Wachstum und Einsparung von Arbeit, sondern müsse auf Ausgleich von Ökonomie und Ökologie sowie auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgerichtet sein und zu diesem Zweck ihr Augenmerk auf die Einsparung von Energie und Rohstoffen richten. Solche Politik sei innerhalb der "großindustriellen Beschäftigung" nicht zu machen, sondern mit Betrieben kleiner und mittlerer Größenordnung, die deshalb bevorzugt gefördert gehören. Konkret fordert Lafontaine von seiner SPD, daß sie überall dort, wo sie Entscheidungsmacht hat (Länder und Kommunen) den "eigenständigen Weg" geht der Förderung des "zweiten Arbeitsmarktes", bevor es dann (in frühestens 3 Jahren) auf Bundesebene an das große beschäftigungspolitische Aufräumen gehen kann. In diesem "zweiten Arbeitsmarkt" (oder auch "informellen Beschäftigungssektor") sammelsurt es wie eh und je. Da finden sich Grottians 100.000 Alternative ebenso wie die derzeit 80.000 ABM-Maßnahmen bundesweit. Da gehören "Beschäftigungsinitiativen" (sehr beliebter Begriff bei den Sozialdemokraten) ebenso rein wie Arbeitslosenselbsthilfegruppen. Gekennzeichnet ist er durch "die Subvention der Löhne und durch Gemeinnützigkeit". Er wird "noch eine unabsehbar lange Zeit" gebraucht, und zwar zur "Integration aller Arbeitslosen, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht auf den formellen Sektor zurückfinden". Allerdings - so Lafontaine - "müssen wir dann auch diesen zweiten Arbeitsmarkt einer Reform unterziehen". Er soll "Starthilfe für den Übergang vom informellen in den formellen Sektor" sein und muß deshalb
In puncto "sozialer Friede" teilt Lafontaine die Ängste seines Parteifreundes Glotz. "Eine bestimmte Form des Proletariats kündigt sich wieder an" heißt es, und wenig später: "Werden die Gralshüter der Marktwirtschaft erst dann wach, wenn Arbeitslose die ersten Steine werfen, wenn das erste Arbeitsamt besetzt wird?" Ausgesprochen gestreichelt werden die selbstverwalteten Betriebe. "Der informelle Sektor hat in einigen Bereichen Pioniercharakter für den formellen Sektor. Er kann zur Blutbank eines neuen Verständnisses von Arbeit und der Art und Weise des Arbeitens werden". Dies gelte "vor allem für die Selbstverwaltungs- und Genossenschaftsidee". Die Sozialdemokratie habe in den nächsten Jahren ("bevor sich die demokratische Lücke wieder schließt und die Lage am Arbeitsmarkt an Dramatik verliert") die historische Chance, experimentelle Wege zu gehen, die sich nicht auf das "Daß", sondern auf das "Wie" des Arbeitsangebotes beziehen. "Bietet sich uns hier nicht die Möglichkeit, neue zukunftsweisende Arbeitsbedingungen zu fördern, die einen humanen solidarischen Lebensstil prägen und ein geschwisterliches Milieu schaffen?" Sie böte sich in der Tat. Oskar Lafontaine aber muß sich fragen lassen, wie denn dabei gewisse Untertöne" seiner Rede zu verstehen sind. "In diesem Saarbrücker Beispiel (gemeint ist die "Zukunftswerkstatt Saar" in Saarbrücken) kommen verschüttete Erfahrungen in Sicht, die zum ureigenen Beitrag der Sozialdemokratie gehören und die wir uns von der alternativ-ökonomischen Szene nicht aus der Hand schlagen lassen dürfen." Und gegen Ende heißt es: "Ich glorifiziere den zweiten Arbeitsmarkt nicht, ich sehe aber seine Übergangsbedeutung. Eine der Rückwirkungen des zweiten auf den ersten Arbeitsmarkt, die ich noch besonders herausstellen möchte, sind die Erfahrungen mit Selbstverwaltung und erweiteter Mitbestimmung. Im Mittelpunkt dieser Thematik sollte die Förderung von gemeinnützigen, Ökologisch-Ökonomischen Genossenschaftsunternehmungen stehen im Sinne des Zusammenhangs von Arbeit und Leben stehen. Hier, in der Wiederbesinnung auf reiche sozialdemokratische Erfahrungen mit Arbeiterselbsthilfe und Genossenschaften, wird das Unterscheidungsmerkmal zur alternativ-ökonomischen Szene und zu den Grünen liegen. Die Genossenschaftsidee hat nichts mit dem Schummerlicht einer Schattenwirtschaft zu tun, sondern sie ist die Morgenröte eines Konzeptes vom humanen Arbeiten und von einem solidarischen Lebensstil in festen Strukturen. Hier liegen auch unaufgearbeitete Berührungspunkte von christlich-vorkapitalistischer Siedlungsbewegung mit dem sozialistisch-ethischen Geist des Genossenschaftsansatzes. Martin Buber steht für diese Symbiose. Die wirtschaftlichen Strukturen genossenschaftlich geführter Kleinbetriebe werden sich sowohl der spontanistischen, als auch einem teilweise als neue Selbstständigkeit verklärten ökonomischen Egoismus auf Dauer überlegen zeigen". Soweit Oskar Lafontaines Kampfansage an die - bislang noch - autonome Bewegung für Selbstverwaltung. Den Wortlaut der - durchaus lesenswerten - Rede können Interessierte direkt bei der SPD in 5300 Bonn, Ollenhauerstr. 1, anfordern. Die Frankfurter WANDELSBLATT-Redaktion verschickt sie nur gegen Erstattung der Porto- und Vervielfältigungskosten. Bleibt anzumerken, daß sich bei der SPD eine Arbeitsgruppe Genossenschaftsrecht gegründet hat. Die wird sich unter Führung von Ulrich Klose beschäftigen mit a) der Situation - (der Krise) - der etablierten Genossenschaften b) den "Beschäftigungsinitiativen", Projekten, selbstverwalteten Betrieben und Betriebsübernahmen jüngeren Datums. Hier wird man sich mit den im Ausland entwickelten Programmen beschäftigen und dann mit der Frage, was hier bei uns seitens der SPD getan werden kann. Gedacht ist bereits jetzt an
c) der Entwicklung der entsprechenden Ideologie für das angekündigte Grundsatzprogramm der SPD. "Immer weniger Menschen produzieren immer mehr. Es handelt sich nicht um eine Wirtschafts-, sondern um eine politische (System-)Krise, da die Wirtschaft weiter wächst. Wie muß ein neues System aussehen, das mit diesen ganzen Schwierigkeiten fertig werden kann?" |
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