GENOSSENSCHAFTEN IN DER ARBEITSMARKTPOLITISCHEN DISKUSSION
Seifenblase oder Rettungsanker?
Zum Selbstverständnis von Genossenschaften
gehören
die unternehmerische und soziale Beteiligung der
Mitglieder. Allein schon deshalb können sie als
innovative Lösungsansätze zur Bekämpfung von
Diskriminierung und Ungleichheiten auf dem
Arbeitsmarkt angesehen werden. Sind sie deshalb
schon als arbeitsmarktpolitisches Instrument zu
betrachten? Der CONTRASTE-Schwerpunkt thematisiert
diese gegenwärtig hochaktuelle, konträr geführte
Diskussion.
Burghard Flieger, Red. Genossenschaften - Über
eine abgesicherte Einbindung der Mitglieder, die den arbeitsmarktpolitischen
Zielgruppen zuzurechnen sind, helfen genossenschaftliche Ansätze mehr als
andere Unternehmensformen, die individuellen Fähigkeiten und Motivationen ihrer
Mitglieder zu mobilisieren. Vor diesem Hintergrund stellt ihre innerbetriebliche
Organisation, gekennzeichnet durch ein Experimentieren mit neuen Entscheidungs-
und Managementformen, ein Innovationspotenzial an sich dar, das besondere ökonomische
und politische Möglichkeiten eröffnet.
Allerdings wird die Rechtsform der Genossenschaft in Deutschland für
Unternehmen mit sozialen Zielsetzungen wie der Schaffung von Arbeitsplätzen
bisher wenig genutzt. In anderen Ländern der
Europäischen Union gelang es mit Hilfe der großen genossenschaftlichen
Organisationen - der Konsumenten oder der Landwirte - auch im sozialen Sektor
die genossenschaftliche Selbsthilfe zu aktivieren. Hier besteht die Möglichkeit
zur Entwicklung neuer Wege, von anderen Ländern der Europäischen Union zu
lernen. Für die geringe Zahl der Neugründungen von Genossenschaften ist eine
Reihe von Hürden ausschlaggebend. Ihre Beseitigung bzw. ihr Abbau können zu
einem wichtigen Impuls für verstärkte Gründungen von
Selbsthilfegenossenschaften beitragen. Die wichtigsten Barrieren sind:
- Mangel an Kenntnissen über die genossenschaftliche
Rechtsform;
- Defizite bei Beratung und Qualifizierung;
- Mangel an geeigneten Finanzierungsformen;
- Defizite bei Kooperationsfähigkeit und Motivation;
- Fehlen praxisnaher Entscheidungshilfen.
Kein Wundermittel
Allerdings bewirken auch Genossenschaften keine Wunder. Sie ermöglichen
weder den Aufbau von Arbeitsplätzen, wo es keine Arbeit im Sinne bezahlter Tätigkeiten
gibt, noch können soziale Probleme, bei denen Sozialarbeit und staatliche
Interventionen seit Jahren wirkungslos bleiben, durch Genossenschaften eine
entscheidende Trendwende erfahren. Entsprechend reagieren Sabine Smentek und
Margrit Zauner eher kritisch gegenüber aktuellen Bestrebungen,
Produktivgenossenschaften vorrangig als arbeitsmarktpolitisches Instrument zu
betrachten. Sie befürchten, dass sie zu sehr mit gesellschaftspolitischen
Zielen überfrachtet werden. Nach ihrer Einschätzung müssen Genossenschaften
aber immer dort scheitern, wo sie als Vehikel für die Durchsetzung von
gesellschaftspolitischen Interessen dienen und ihre eigentlichen
betriebswirtschaftlichen Stärken gar nicht erst zum Tragen kommen.
Das Beispiel der hauswirtschaftlichen Dienstleistungsgenossenschaft
HausGemacht eG, gegründet im Mai 1998, veranschaulicht allerdings, welche Möglichkeiten
in der Genossenschaft stecken. Sie wurde gegründet, um mit einem
niedrigschwelligen Angebot dauerhafte Arbeitsplätze für arbeitslose Frauen zu
schaffen. Die Verknüpfung des arbeitsmarktpolitischen Ansatzes mit dem
Modellcharakter der Rechtsform Genossenschaft diente als Begründung, um über
das Programm "Zukunftsoffensive" des Landes Bayern eine Förderung zu
erhalten. Die beiden folgenden Artikel kritisieren dagegen vor allem die
Hemmnisse, mit denen genossenschaftliche Neugründungen konfrontiert werden.
Hintergrund hierfür sind in vielen Fällen, so Delal Atmaca, die ideologische
Fixierung auf das Einzelunternehmertum. Die Folge ist, dass Genossenschaften aus
vielen staatlichen Gründungsförderungen ausgeschlossen bleiben. Hier, so ihr überzeugendes
Plädoyer, gilt es schnellstens Abhilfe zu schaffen.
Schwerpunktthema Seite 7 bis 10